Eine kurze Geschichte der Gentrifizierung.

Alltag Wie sich der Kiez zwischen Berlin-Friedrichshain und -Lichtenberg verändert – und auch nicht.

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Im modernen Leben ist eines immer gewisser: die Ungewissheit. Nichts bleibt, wie es ist. Alles kommt anders, noch bevor man es denken kann. Vielleicht wird die Welt mal so schnell, dass sie schon fast wieder stillzustehen scheint. Manches davon wird mit dem Modewort Gentrifizierung bezeichnet: Stadtteile ändern sich rasant. Wo gestern noch ein kleiner Buchladen war, macht heute eine internationale Modekette ihre Geschäfte. Eckkneipen-Wirte weichen Franchisenehmern. Eingeborene, Zugezogenen. So ist der Lauf der Dinge. Unaufhaltsam wie ein Tsunami in Superzeitlupe.

Ich bin das gewohnt, lebe ich doch seit zehn Jahren in Berlin-Mitte. Ein stetes Kommen und Gehen. Eine steingewordene Luxusloftisierung eines Kiezes. Ich mittendrin im Auge des Orkans. So weit so gut. Seit kurzem arbeite ich am Ostkreuz. Das ist das östliche Ende von Friedrichshain, hinter den S-Bahngleisen beginnt Lichtenberg. Letztens las ich in einem Stadtmagazin, dass Lichtenberg der neue In-Kiez werden soll, weil sich da Studenten und Kreative die Mieten noch leisten können. Ich war geschockt. In den 90er war Lichtenberg der Vorhof zur Hölle: Fest in der Hand von Neo-Nazis und Ossis, die sich im Schatten der ehemaligen Stasi-Zentrale in der Normannenstraße sichtlich wohl fühlten. Man landete da nur, wenn man sich verfahren hatte oder Richtung Polen nach Osten hindurchfuhr. Und jetzt: Das neue Neukölln. Unglaublich.

Auch die Gegend, in der ich jetzt meine Arbeitstage verbringe, hat sich richtig gemacht: Läden mit skandinavischen Süßigkeiten, Jung-Designer und kleine Hausbrauereien. Alteingesessene und neue Bewohner in bunter Mischung. Ein angenehmes Lebensgefühl – und die Vorboten auf kommende Bauschilder, die den Menschen „Eigentumswohnungen für jeden Geschmack ab 500.000 Euro versprechen.“ Früher waren Baulücken in Berlin Möglichkeiten, jetzt werden sie Unmöglichkeiten. Sie gaben einem Platz, Raum für eigene Gedanken. Damals machten sie Spaß, heute eher Angst. Und jeder geht mit dieser Angst anders um.

Manche gehen in die innere Emigration, andere schreien ihre Wut raus. Und wieder andere greifen zu noch drastischeren Mitteln. In den letzten Wochen kündigte sich die Eröffnung eines aufwendig sanierten Cafes an. Unbekannte beschmierten daraufhin die Wände und Fenster. Sie klecksten wie einst der große Künstler Jackson Pollock in wilden Schwüngen Farbe über das Haus. Es ergab sich aber kein Bild daraus. Oder nichts, was den Betrachter faszinieren konnte. Es kam wie es kommen musste: Ein Anti-Graffiti Team säuberte das Haus und die neuen Besitzer räumten Tische, Stühle und anderes Mobiliar ein. Auch einen Namen bekam der Gastronomiebetrieb: „Cafe Smyrna.“ Smyrna ist der alte Name von Izmir – ein türkisches Cafe.

Kurze Zeit später, hatte sich wieder ein Hobby-Pollock auf der Wand verewigt. Wobei auch Ewigkeit sehr endlich sein kann, wenn „Dr. Graffiti“ und sein Putztrupp anrücken. Die Wand war wieder sauber und das Cafe Smyrna feierte Eröffnung. Draußen wirbelten Luftballons im ersten lauen Frühlingswind. Manchmal fragt man sich, ob Luftballons in Wahrheit nur für Eröffnungszwecke erfunden wurden. Sie sind ein Symbol für den Neuanfang, für dessen Zauber, aber auch für seine Vergänglichkeit: Schnell kann die Luft raus sein und man macht schlapp. Oder man schafft es und schwebt davon.

Einen Tag nach der Eröffnung hatte jemand an die Fenster des Cafes „Fuck“ geschrieben. Wie gesagt, wir reden hier von einem türkischen Laden, der Kaffee verkauft, und diverse Nüsse anbietet. Wir reden nicht von McDonalds, Subway oder anderen Weltkonzernen mit Herz. Die Besitzer wischten den Willkommensgruß der Nachbarn weg. Nachbarn eher im räumlichen, als geistigen Sinne. Wie sie da wischten und sich wohl fragten, wo sie hier gelandet sind, taten die Neu-Gastronomen mir wirklich leid.

Ein bisschen mehr sogar noch, weil zur gleichen Zeit einmal um die Ecke der Onlineversandhändler Zalando ein neues Büro mit mehreren hundert neuen Mitarbeitern eröffnete. Mittags schwärmen jetzt viele trendige Twentysomethings durch den Kiez, auf der Suche nach etwas Essbarem: Sie arbeiten an der Zukunft des Internets mit. Sie wirken zuversichtlich, unverbraucht und voller Ideale. Auch wenn man sich Ideale heute nicht mehr leisten kann. Sie tun einem irgendwie gut und irgendwie auch nicht. Sie verändern die Gegend, so wie Zalando insgesamt viele Gegenden verändert: Unabhängige Läden machen dicht, Fußgängerzonen verwaisen und Paketdienstautos parken die Straßen zu. So ist eben der Lauf der Dinge.

Übrigens wurde die große Zentrale von Zalando nicht beschmiert und es wurde auch kein „Verpisst euch Online-Teufel“ an die Häuserwand des Büros gesprüht. Schließlich brauchen ja auch Gentrifizierungs-Gegner was zum Anziehen. Oder schicke Sportschuhe, mit denen sie schnell wegrennen können. Am Ende vor sich selbst.

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Geschrieben von

siegstyle

Framstags kommt das Frams.

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