Helke Sander ist eine Ikone der westdeutschen Frauenbewegung – und eine der bedeutendsten deutschen Filmemacherinnen überhaupt. Sie war eine Pionierin des Feminismus: ihre zum legendären Tomatenwurf führende Rede im Jahr 1968 gegen die bornierten SDS-Macho-Klugscheißer auf dem Podium erntete unter den Männern im Saal Gelächter, doch für die Gesamtgesellschaft gab sie einen wichtigen Anstoß für die zweite „autonome“ Frauenbewegung der BRD.
Die Studentin am ersten (ebenfalls legendären) Regie-Jahrgang der Berliner DFFB rief 1973 mit Claudia von Alemann das erste (damals noch Filmseminar genannte) internationale Frauenfilmfestival ins Leben. 1976 war sie Mitgründerin der bis heute existierenden Zeitschrift Frauen und Film
rauen und Film. Diese „FuF“ ist heute vor allem ein Medium zum theoretischen Austausch. Damals, in Vor-Internet-Zeiten, war sie von großer Bedeutung als Quelle für Termine und Kontaktmöglichkeiten, erzählt Sander im Film. Doch es gab auch inhaltliche Kritik an der „Wirkungsweise des Sexismus in den Massenmedien“ oder der prekären ökonomischen Situation von Filmfrauen.Gleich zu Anfang des Films zeigt ein ausführlicher Besuch der Protagonistin in einem Bestattungshaus anschaulich und mit Humor den klaren, analytischen, beharrlichen und angstfrei um den besten Weg ringenden Charakter von Sanders. Nach der Besichtigung einiger ausgestellter Särge erklärt sie dem Bestatter, dass sie statt in einer Holzkiste lieber nur in einem Tuch begraben werden möchte. Auf die Antwort, dass dies in Deutschland derzeit nur Muslimen möglich sei, gibt sie dem Herrn die Aufgabe, in der – hoffentlich noch langen – Zeit bis zu ihrem Ableben doch bitte diese Option über seine Berufsorganisationen durchzusetzen.Die Szene könnte gemeinsam mit einem vorangestellten Filmausschnitt aus Die Deutschen und ihre Männer (1989) als Motto vor diesem dichten und intensiven Filmporträt stehen, das in seiner Machart nur leicht, aber doch entschieden (und erfrischend) von üblichen Porträt-Routinen abweicht. Denn Claudia Richarz (beziehungsweise die EditorInnen Martin Kayser-Landwehr und Magdolna Rokob) montieren lange Ausschnitte aus Sanders Filmen raffiniert mit aktuell gedrehten Interviews und wenigen würdigenden Kommentaren von Wegbegleiterinnen wie Luise Pusch oder Maren Kroymann. Da Sander in ihren Filmen oft in ihr selbst nachempfundenen Rollen mitspielt („insofern nutze ich mich als Material“, sagt sie einmal), sind die Übergänge zwischen den Erzählebenen fluide.Bei den sichtbar inszenierten Sitzungen spricht Sander etwa an ihrem Arbeitsplatz in einer Berliner Altbauwohnung in die von Richarz selbst gehaltene Kamera oder sie unterhält sich mit der Kollegin Gesine Strempel in der Weite des Tempelhofer Felds selbstkritisch darüber, wie sie als junge Frauen in den bewegten Zeiten damals ihren Kindern nach heutigen Maßstäben sicherlich nicht die angemessene Aufmerksamkeit zukommen ließen. Dann trifft sie den mittlerweile selbst im Rentenalter angekommenen Sohn Silvo zu einem Ostseeaufenthalt, der auch eine Reise in die Vergangenheit ist. Einmal sitzt Richarz’ Kamera dabei lange direkt gegenüber von Sanders Bett mitten im Hotelzimmer.Sander berichtet auch, wie schwer (anders als zuvor in Finnland) in Deutschland auch nach Erfolgen das Finanzieren ihrer Arbeiten blieb. Es ist ernüchternd, dass auch fünfzig Jahre später die Produktion dieses Porträts ganze fünf Jahre Hartnäckigkeit und Geduld brauchte. Claudia Richarz (Vulva 3.0, Abnehmen in Essen) war einst Studentin von Sander an der Hamburger HFBK, konnte den Film nach eigener Auskunft aber ganz ohne deren professorale Einrede realisieren. Nur der Titel Aufräumen sei ein Vorschlag von Sander selbst gewesen sagt sie. Denn diese ist nun in ihren Mittachtzigern dabei, auch jenseits der Sargwahl die beruflichen und privaten Hinterlassenschaften zu regeln. Das Aufräumen habe stets auch eine „innere Bedeutung“, sagt sie, „etwas Transzendentes“. Und holt dabei aus dem Küchenschrank eine alte Tasse aus Meißener Porzellan hervor, die die Feuernacht nach den verheerenden Bombenangriffen auf Dresden im Februar 1945 überlebte. Diese durchlitt auch Helke Sander mit ihrem kleinen Bruder und einer Mutter, der die Achtjährige zur Verhinderung eines Suizids die Pistole aus der Hand schlagen musste.Die Erzählung dieses traumatischen Erlebnisses wird im Film durch Archivbilder intensiviert. Auch sonst schont Sander sich nicht und öffnet sich in bemerkenswerter Weise. Schade nur, dass die bis heute wichtige Debatte um Sanders Film BeFreier und Befreite nur mit zwei viel zu kurz eingeblendeten Zeitungsausschnitten und einer abwiegelnden Bemerkung von Sander vorgestellt wird. Deutlicher sichtbar werden dagegen die inner-feministischen Konflikte, wo Sander jenen Flügel vertrat, der die Frage der Mutterschaft in den Fokus der Kämpfe stellte. Eine heutige Konsequenz dieses Ansatzes wird bei einem Auftritt der Jubilarin auf einer Feierstunde zum 50. Jahrestag ihrer SDS-Rede in Frankfurt sichtbar, wo Sander mit der ihr eigenen Geradlinigkeit und Vehemenz mehr Aufmerksamkeit für das Biologische einfordert und die „Gender-Bewegten“ abwertend von „Frauen im eigentlichen Sinn“ abgrenzt. Es spricht für Richarz’ dokumentarisches Ethos, dass sie solche Äußerungen und auch den folgenden Gegenprotest in ihrem Filmporträt nicht ausspart.Eingebetteter MedieninhaltPlaceholder infobox-1