Gier und die Rebellion dagegen

Bühne Von der Bühne auf die Leinwand und wieder zurück: In Berlin wird Richard O'Briens Musical "Rocky Horror Show" im Admiralspalast aufgeführt

Ein Blowjob hinter einer Schattenwand, Orgien feiernde Gestalten und ein mit Klopapier werfendes Publikum, das mit Zwischenrufen wie „Asshole!“ und „Boring!“ jegliche Umgangsformen vergisst – von Kultiviertheit ist die Rocky Horror Show weit entfernt. Gerade dadurch aber hat das Stück seit seiner Uraufführung 1973 in London einen eigenen Sog entwickelt, dem man sich kaum entziehen kann.

In den siebziger Jahren hat Richard O’Briens Musical für Aufregung gesorgt. Mit Strapsen, Korsagen und Netzstrümpfen bekleidet, tanzen weibliche und männliche Darsteller über die Bühne, eine Sexorgie nimmt ihren Lauf. Für Transsexuelle, Transvestiten, Homosexuelle war das Musical ein Befreiungsschlag. O’Brien, selbst bisexuell, wagte sich auf unbeschrittenes Terrain – auf einem schmalen Grad zwischen Parodie und Ernsthaftigkeit.

Seit der Verfilmung 1975 hat sich eine Fangemeinde etabliert. Der kommerzielle Erfolg blieb anfangs aus; es waren die Homosexuellen, die dem Film Respekt zollten. Erst nach einer Überarbeitung der Fassung zog es die Massen in die Kinos. Auch das Musical scheint seine feste Fanbase zu haben, kommen in Berlin viele in Lackstiefeln und Miniröcken – angelehnt an die Outfits der Protagonisten.

Orientiert an Science-Fiction-Filmen und B-Movies aus den fünfziger Jahren spielt die Rocky Horror Show mit übernatürlichen Mächten und Splatter-Gimmicks. Sam Buntrock, Regisseur der aktuellen Inszenierung, hält sich an das Original. Die Musik büßt in Buntrocks wie in der Original-Inszenierung an Wirkung ein. Aus Musicals wie Tanz der Vampire oder Grease sind Songs bekannt, aus der Rocky Horror Show kennt man nur The Time Warp.

Homunculus als Sex-Toy

O’Briens Musical lebt stärker von seinem kurzweiligen Plot und seinem Status als Mitmach-Stück. Letzteres verführt das Publikum im Berliner Admiralspalast zu Konzentrationslosigkeit, die Darsteller müssen gegen einen nicht zu unterschätzenden Geräuschpegel ankämpfen. Die Story ist – wie so oft bei Musicals – wenig kompliziert: Das frischverlobte Paar Brad Majors und Janet Weiss landet nach einer Autopanne im Schloss des exzentrischen Wissenschaftlers Frank’n’Furter, der sich gerade ein perfektes Wesen geschaffen hat: Rocky, einen muskelbepackten Schönling, der vor allem der sexuellen Befriedigung dienen soll.

Die Erzählerrolle übernahm in Berlin der Schauspieler Sky du Mont – und gab mit sanfter Stimme einen überzeugenden Märchenonkel und amüsanten Entertainer. Rob Morton Fowler in der Rolle des transsexuellen Frank’n’Furter geht gekonnt bis an die Grenzen des guten Geschmacks, sein Streben nach Macht und Sex bedeutet sein Ende.

Es sind zeitlose Themen, die in der Rocky Horror Show verhandelt werden: die Gier und die Rebellion dagegen. Seien es Diktatoren, die gestürzt werden oder Banken, gegen deren Macht protestiert wird. In der Inszenierung werden Franks Bedienstete Riff Raff und Magenta zu Aufständischen und brechen samt Schloss zum Planeten Transsexual auf.

Schließlich verlieren auch der Nerd Brad (hervorragend: Jon Hawkins), und die naive Janet in einer der zahlreichen erheiternden Szenen ihre Unschuld. So lustig die Verwirrungen und Wortgefechte auch sein mögen, so bitter ist das Resümee: „Und über unsere Erde rennen Insekten, die sich Menschen nennen.“

Rocky Horror Show. Noch bis 13. November im Berliner Admiralspalast

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