"Blade Runner" am Abgrund

Pistorius angeklagt Ein Model liegt am Valentinstag erschossen in der Wohnung ihres Freundes. Des vorsätzlichen Mordes wird verdächtigt der "Blade Runner", Oscar Pistorius.

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In den Morgenstunden des 14. Februar („Valentinstag“) wurde das Model Reeva Steenkamp mit vier Pistolenkugeln in Kopf und Oberkörper erschossen in der Johannesburger Wohnung ihre Freundes aufgefunden. Der mutmaßliche Täter ist kein geringerer als der südafrikanische Ausnahmeathlet ohne Unterschenkel Oscar Pistorius, auch bekannt als „The Blade Runner“. Dies wegen seiner extrem flexiblen Karbon-Prothesen. Pistorius ist bisher der einzige Sportler mit körperlicher Behinderung, der an Olympischen Spielen teilnahm. Er ist mehrmaliger Goldmedallien-Gewinner der Paralympics im Sprint. In Südafrika und international wurde er wegen seiner sportlichen Leistungen zum Superstar. Auf dem Gipfel seines Ruhms stürzt er nun jäh in einen schier bodenlosen Abgrund. Er ist des vorsätzlichen Mordes angeklagt an seiner Freundin Reeva Steenkamp.

Die Medien, die ihn hochschrieben, sind Detektiv, Forensiker, Ankläger und Richter zugleich. Immer neue (vermeintliche) Details und Gruselstories aus der Nacht vom 13. zum 14. Februar werden breitgeschrieben.

Doch der Fall Pistorius/Steenkamp ist einer von vielen. Eine junge Frau wurde getötet. Und doch ist dieser Fall hervorgehoben, weil der Delinquent ein so genannter Ausnahmesportler ist und von Werbeagenturen und Medien zum Superhelden, Vorbild für die Jugend, positiven Werbeträger usw. hochgepuscht wurde.

Es ist nun an der Justiz die Wahrheit über die Vorgänge am 13./14. Februar im Hause Pistorius herauszufinden. Zumindest eine Annäherung an die Wahrheit. Denn nur zwei Personen wissen wirklich, was geschehen ist, und von den zweien ist nur noch eine am Leben, nämlich Oscar Pistorius. Wird er vor Gericht die Wahrheit sagen? Keiner weiß es. Ich denke, er und seine Anwälte werden alles tun, damit er möglichst glimpflich aus der Sache hervorgeht. Das ist schließlich die Aufgabe von Verteidigern.

Wir alle werden warten müssen, was das Gericht am Ende herausfindet und wie es sich dann entscheidet.

Mir stellen sich ganz andere Fragen im Zusammenhang mit diesem Fall. Welche Rolle spielt der Leistungssport? Anders ausgedrückt: Was macht der gewaltige Leistungsdruck, unter dem diese Sportler stehen, aus einem Menschen? Im populären Radiosender Talk Radio 702 in Johannesburg war heute Morgen die Rede von anabolen Steroiden, die möglichwerweise zu einem erhöhten aggressiven Verhalten des Pistorius geführt haben. Spekulation, klar, ganz abwegig ist es aber nicht. Der mehrmalige Tour-de-France-Sieger Lance Armstrong ist nur ein jüngeres Beispiel von Drogenmißbrauch im Leistungssport. Bei geringer angesiedelten Tötungsfällen hierzulande sind Kommentatoren und Medien meist schnell und unwidersprochen bei der Hand mit dem Hinweis auf Drogen.

Ein weiterer Aspekt des Falles ist der private Waffenbesitz. In Südafrika sind geschätzte 5,95 Millionen Feuerwaffen in privater Hand. Es gibt 1,8 Millionen registrierte Waffenbesitzer und 3,737 Millionen registrierte Privat-Waffen (Quelle: http://www.gunpolicy.org). Die Dunkelziffer der tatsächlich vorhandenen Waffen ist vermutlich noch höher. Kriminelle geben ihren Waffenbesitz in der Regel nicht bei der Polizei an. Auch der „legale“ Waffenbesitz ist augenscheinlich schon höchst gefährlich. Insbesondere wenn die Besitzer eher instabile Persönlichkeiten sind, wie viele Beispiele, nicht nur in den USA, gezeigt haben. Es gab kürzlich in Südafrika den tragischen Fall eines Vaters, der seine Tochter aus Versehen in der Dunkelheit erschoss, weil er glaubte einen Einbrecher vor sich zu haben. Ich denke, wer eine Feuerwaffe besitzt, wenn auch „nur“ zur Verteidigung, wird irgendwann einmal davon Gebrauch machen. Die daraus folgenden Tragödien kann man dann in der Zeitung lesen.

Auch finde ich die moralische Empörung merkwürdig, die insbesondere aus wohlsituierten weißen Kreisen zu hören ist. Wie schlimm doch alles in Südafrika geworden sei seit „die Schwarzen“ regieren, man lebe „ständig am Rand“, sei sich seines Lebens nicht mehr sicher usw. usw. Klar, unter der Apartheid war es besser – für die Weißen. Das „schlimme Leben“ hatte die Apartheid in die Townships und Bantustans abgeschoben. Ständig in Unsicherheit und „am Rande“ (on the edge) zu leben war damals Alltag in den staatlich verordneten Ghettos der Schwarzen.

Und die Rolle der Werbeindustrie, die Sportler, Schauspieler, zuweilen sogar Politiker hochbezahlt in ihren Dienst stellt, um für allemöglichen Produkte zu werben? Der öffentliche Glanz des Erfolgs, scheint mir, wird gern verwechselt mit „Ohne-Fehl-und-Tadel“. Eine Fehleinschätzung, die zum Rohrkrepierer werden kann. Eine Nike-Werbung 2011 legte Pistorius die Worte in den Mund: „I am the bullet in the chamber” komplett mit Nike-Logo und Nike–Slogan „Just do it”. Autsch!

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