Karl Valentin in Berlin

Ausstellung In München gibt es ein kleines, verstecktes "Musäum", das sich wirklich so nennt, und in dem der Besucher etwa den Nagel besichtigen kann, an den ...

In München gibt es ein kleines, verstecktes "Musäum", das sich wirklich so nennt, und in dem der Besucher etwa den Nagel besichtigen kann, an den Karl Valentin seine Schreinerlaufbahn gehängt haben soll. Die akribisch zusammengestellte Ausstellung im Martin-Gropius-Bau in Berlin, die sich dem "Filmpionier und Medienhandwerker" Valentin nähert, ist weit davon entfernt, den Humor des großen Komikers auf diese Weise zu spiegeln. Nicht, dass es dort trocken und akademisch zuginge - gleich zu Beginn begrüßt eine Gipsmaske die Eintretenden, auf die vor schwarzem Hintergrund ein sehr Valentinscher Moment projiziert wird: Sein Gesicht mit den charakteristischen Segelohren und den weit auseinander stehenden kleinen Augen, die er in einer Grimasse als bedrohliche Kugeln hervortreten lässt.

These und Anlass der Ausstellung, die in sechs Räumen Valentins Entwicklung vom Tischler über den Bühnenkomödianten zum Filmschauspieler und erfolglosen Erbauer eines eigenen Panoptikums verfolgt, werden früh sichtbar: So, wie dieser Mann aussah, war er für das Bild, zumal das bewegte, wie geschaffen. 1882 in München geboren, erhielt Valentin 1908 in seiner Heimatstadt das erste feste Engagement als Volkssänger am Frankfurter Hof und arbeitete seine typischen Erkennungszeichen aus: Die Nase künstlich verlängert, die Beine nach innen verdreht, machte er sich einen Ruf als "armer magerer Mann". Ab 1911 nicht mehr von seiner Seite zu denken war Liesl Karlstadt. Eine große Zahl an Fotografien, Aufführungsplakaten, Manuskripten und meist hymnischen zeitgenössischen Kritiken belegen die sorgfältige Recherche der Filmmuseen in Düsseldorf und Frankfurt, die die Schau gemeinsam mit der Theaterwissenschaftlichen Sammlung Schloss Wahn zusammengestellt haben. Der sinnliche und informative Mehrwert dieser Stücke erschöpft sich aber relativ schnell.

Am stärksten ist die Ausstellung da, wo sie sich in der Analyse zurücknimmt und damit begnügt, eine Karriere zu nachzuzeichen. Etwa mit Tonbandaufnahmen, die Valentins Talent für das Schreiben gewitzter Dialoge belegen. Aussagen nimmt er wörtlich, verdreht so oft deren Sinn und testet damit neben den Nerven seiner Sketchpartner auch die Logik der sprachlichen Repräsentation. Und noch etwas kommt zum Vorschein, wenn man ihn reden hört: Da war einer am Werk, der wusste um die Alltagsnöte in einer als chaotisch empfundenen Moderne. "Ein komplizierter, blutiger Witz" sei er, sagte Bertolt Brecht, mit dem Valentin 1923 den surrealistischen Kurzfilm Die Mysterien eines Friseursalons fertiggestellt hat. Auffällig beliebt war Valentin augenscheinlich bei Menschen, die Kultur schufen und gleichzeitig an ihr verzweifelten. So outeten sich Kurt Tucholsky und Oskar Maria Graf post mortem als Fans.

Zu den eindrucksvollsten Exponaten gehört eine Leinwand, die in simplen Tableaus eine von Valentins Moritaten bebildert: In der erzählt er angesichts der heraufziehenden Weltwirtschaftskrise von einem Selbstmörder, dessen Suizidversuche an der gesellschaftlichen Armut scheitern: kein Gas im Haus, keine Züge fahren, der Löwe im Zoo ist schon verhungert - ein Schicksal, das dann schließlich auch den Protagonisten ereilt. Am besten aber lässt sich Valentins künstlerische Bandbreite in zwei kleinen Kinos erleben. Bis nachmittags laufen in einer Schleife über ein Dutzend kurze und im Anschluss dann drei lange Filme aus einer Schaffensperiode von 1913 bis zum Ende der dreißiger Jahre. 1929 drehte Valentin den ersten deutschen "Tonfilm", In der Schreinerwerkstätte. Während der Aufführung lärmten, sangen, sägten Karlstadt und er - vor den Zuschauern verborgen - zum Geschehen auf der Leinwand. Ein Visionär an der Werkbank, sozusagen.

Noch bis 21. April. Der Katalog ist bei Henschel erschienen und kostet 19,90 EUR

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