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Myanmar Die Sorge um die Rohingya-Minderheit kennt auf einmal keine Grenzen, nachdem diese zuvor weithin unbeachtet blieb. Das ist weder Zufall - noch humanitär motiviert.

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Die Rohingya sind praktisch. Sie tauchen scheinbar immer genau dann auf, wenn ein anderer Krisenherd aus den Schlagzeilen verdrängt werden soll. Im Mai 2015 waren das die Menschen, die übers Mittelmeer flüchteten - dieses Mal der Koreakonflikt. Genauso plötzlich, wie sie auftauchen, verschwinden die Rohingya kurze Zeit später auch wieder vom globalen Bewusstseinsradar. Worum es dabei wirklich geht, bleibt im Dunklen.

Aktuell ist die Rede von ‘Vertreibungen’ bzw. ‘ethnischen Säuberungen’, von ‘Massakern’, ‘Vergewaltigungen’ und ‘zerstörten Dörfern’ - es fehlt eigentlich nur der berüchtigte ‘Völkermord’-Vorwurf. Einige Medienberichte erwähnen in einem Nebensatz, dass bewaffnete Rohingya-Rebellen im Bundesstaat Rakhine gegen die Zentralregierung kämpfen. Das sollte hellhörig machen - und tatsächlich verschafft bereits die Lektüre des entsprechenden Wikipedia-Artikels etwas Aufklärung: Demnach haben seit der Unabhängigkeit Burmas von Großbritannien 1948 Mudschahedin (sic) für die Sezession bzw. des Anschluss der Region an Bangladesch gekämpft. In den Folgejahrzehnten gab es immer wieder Phasen heftiger Kämpfe, gefolgt von relativer Ruhe.

Neue Runde in einem alten Konflikt

Die derzeitige Eskalation begann demnach im Oktober 2016 mit einem Überfall auf mehrere Grenzposten, bei dem 13 Sicherheitskräfte getötet und Schusswaffen erbeutet wurden. Eine neue Gruppierung übernahm die Verantwortung: Sie nannte sich zunächst Harakah al-Yaqin (‘Faith Movement’), später Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA). Als Ihr Anführer gilt Ata Ullah, geboren in Karatschi, aufgewachsen in Mekka, wo er als Imam wirkte. Sein Sprecher betont im Asia Times-Interview, dass die Bewegung sich ausschließlich aus dem Leid der Minderheit speise und keine Verbindungen zu internationalen Dschihadisten habe. Vor knapp vier Wochen, in der Nacht zum 25. August, griffen Rebellen zahlreiche Polizeistationen und eine Militärbasis an, dabei kamen elf Polizisten, ein Soldat und 59 Aufständische ums Leben. Die Armee antwortete mit einer Offensive, der nach UN-Angaben hunderte Menschen zum Opfer fielen.

Ein genauerer Blick auf die Landkarte ist zum Verständnis von Konflikten nicht selten hilfreich. In diesem Fall zeigt er, dass es in Rakhine, wo die Rohingya leben, in den letzten Jahren einschneidende Veränderungen gab: In der Provinzhauptstadt Sittwe wurden Hafen und Marinestützpunkt ausgebaut, ersterer mit indischer, letzterer mit chinesischer Unterstützung. Und 2013/14 wurden eine Öl- und eine Gaspipeline ins chinesische Kunming fertiggestellt. Neben dem Ölterminal in Kyaukpyu baut ein chinesisches Konsortium einen großen Tiefwasserhafen samt Sonderwirtschaftszone; geplant ist eine Schienen- und Straßenanbindung an das wirtschaftliche Zentrum Myanmars sowie nach China. Jenseits der Grenze, in der Provinz Yunnan, ist die Autobahn bereits fertiggestellt, die Eisenbahn in Bau. Damit erhält die Region für Beijing eine immense geostrategische Bedeutung, da sie sich einerseits in die ‘Perlenkette’ von (potentiellen) Marine-Stützpunkten zur Kontrolle des Indischen Ozeans einreiht, andererseits Öl- und Gasimporte unter Umgehung der gefährlichen Straße von Malakka ermöglicht.

Der nächste Einsatzort für Dschihad-Globetrotter

Unter Berücksichtigung dieser beiden Elemente ergibt sich plötzlich ein ganz anderes Bild der Lage an der Küste West-Myanmars. Der bewaffnete Aufstand von Teilen der (allem Anschein nach tatsächlich diskriminierten) Rohingya ist ursprünglich ‘real’, im Sinne von autochton. Es spricht jedoch viel dafür, dass er heute von außen angefacht und instrumentalisiert wird, um die für China strategisch wichtige Region zu destabilisieren und im Bedarfsfall den Öl- und Gastransit unterbrechen zu können. Damit verlieren die Pipelines als ‘Backup’ für den Fall einer Sperrung der Straße von Malakka ihren Wert, was Chinas Abhängigkeit von dieser Engstelle und damit seine rohstoff- bzw. geopolitische Verwundbarkeit erhöht. Dieses Muster eines (auf den ersten Blick) absurden de-fakto-Bündnisses zwischen lokalen (muslimischen) Aufständischen und ‘westlicher’ Geostrategie ist aus Afghanistan, Syrien und vielen weiteren (Bürger-)Kriegen bekannt, scheint sich aber nie abzunutzen.

Die extreme mediale Präsenz des Konflikts und damit der ‘Unterdrückung’ der Minderheit, verbunden mit einer Internet-tauglichen neuen Organisation samt international vernetztem Anführer und schickem Logo, ist ein idealer Nährboden für die weltweite Rekrutierung von Mitstreitern und Förderern. Damit ist auch die bisher offene Frage beantwortet, wo die Kämpfer des ‘Islamischen Staats’ ein neues Betätigungsfeld finden können, wenn das Kalifat verschwindet. Ihre Herkunftsländer haben sicherlich kein Interesse an der Rückkehr tausender kampferprobter, ideologisch verblendeter und traumatisierter Dschihadisten - und das Reservoir von (arbeitslosen) ‘zornigen jungen Männern’ in der arabischen Welt ist keineswegs erschöpft. Wenn diese Rechnung aufgeht, werden mittelfristig Berichte auftauchen über bärtige Milizionäre in den Reihen der Rohingya, die so gar nicht südostasiatisch aussehen und sprechen.

Entsteht ein neuer ‘Schurkenstaat’?

Es fehlen eigentlich nur noch die weinenden, verletzten Kinder vor der Kamera, um die globale Entrüstung und den Ruf nach ‘entschlossenem Handeln der Weltgemeinschaft’ richtig in Schwung zu bringen. In dieser Situation wird jegliches Vorgehen der Armee in den Augen der globalen Öffentlichkeit zur ‘brutalen Vertreibung’ und zum ‘drohenden Völkermord’. Aus diesem Dilemma herauszukommen, also die Region unter Kontrolle zu behalten, ohne als ‘blutrünstige Schurken’ am Pranger zu stehen, könnte für Aung San Suu Kyi und die Regierung in Naypyidaw schwierig werden. Der Unterstützung Beijings kann sie sich bei ihren Bemühungen jedoch sicher sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

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