Ab in die Nische

Katholische Kirche Während die Aufarbeitung ihres Missbrauchsskandals ins Stocken gerät, wendet sich Community Mitglied snow_in_june in einem offenen Brief an die Katholische Kirche

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Liebe Katholische Kirche,

jetzt hast du die Zusammenarbeit mit dem kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen, welches deinen Missbrauchsskandal aufarbeiten sollte, beendet. Es gibt, wie das eben so ist, gegenseitige Schuldzuweisungen, viele zeigen sich überrascht. Ich bin nicht überrascht, im Gegenteil, für mich kam dieser Schritt viel zu spät!

Als die Zusammenarbeit im Sommer 2011 begann, habe ich mir ehrlich gesagt Sorgen gemacht um dich und um deinen Oberhirten (oder ist er Winzer?) in Rom. Ich habe gedacht, vielleicht haben ihn die Illuminaten entführt und nun zu einer Zusammenarbeit mit der Wissenschaft gezwungen. Mit der Wissenschaft!!! Da müssen doch deine Alarmglocken klingeln. Wissenschaft!!! Das heißt Charles Darwin, das heißt Herrschaft der Vernunft, der Logik, das heißt kein Respekt vor Autoritäten, das heißt kein Glaube sondern Wissen. Und die beauftragst du um deinen Skandal aufzuarbeiten? Also ehrlich, das konnte doch nicht gutgehen.

Ich finde ohnehin, dass die Menschen sich bei dir über die falschen Dinge wundern. Sie wundern sich, dass du immer noch was gegen Schwule hast, gegen Sex vor der Ehe, gegen Kondome, gegen Frauen. Sie wundern sich, dass du immer noch was gegen die Evangelische Kirche hast, sie wundern sich über deinen Alleinvertretungsanspruch.
Ich wundere mich über all das überhaupt nicht! Ich wundere mich, dass du überhaupt irgendwann mal salonfähig warst (merkst du, wie oft ich jetzt das Wort Wunder verwendet habe? Aber bitte, ich meine das streng im profanen Sinne, ehrlich).

Also, wenn wir mal ehrlich sind, dann bist du so abseitig, dass du eigentlich noch nie ins Zentrum unserer Gesellschaft gehört hättest, dass du eigentlich noch nie hättest salonfähig sein dürfen. Ich meine, die Sache mit den Wundern (jetzt in deinem Sinne), Brot und Wein, bei der Taufe gießt du kleinen Kindern Wasser über den Kopf, die Sache mit den sieben Tagen, der unbefleckten Empfängnis....

Mit abseitig meine ich, dass das alles so fern von dem ist, was wir Menschen tagtäglich erleben. Das kann doch eigentlich nicht funktionieren. Wie will man denn die Menschen überzeugen, wenn man sie nicht da abholt wo sie stehen. Verstehst du? Wir Menschen erleben in unserem Alltag eben keine Wunder, keine unbefleckte Empfängnis, Brot und Wein sind Brot und Wein, Wasser ist bloß Wasser und so was wie die Welt, das schafft man auch nicht in sieben Tagen.

Und jetzt gibt es schon seit Ewigkeiten diese Menschen, auch in deinen Kreisen gibt es die, die meinen, du müsstest dich Wandeln, du müsstest dich der Gesellschaft anpassen, um eine Zukunft zu haben. Diese Menschen waren das ja wahrscheinlich auch, die dich in die Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern getrieben haben. Ich frage nur: spinnen die?

Ich bin mir sicher, wenn du dich wirklich unserer Gesellschaft anpasst, dann verschwindest du, dann löst du dich auf, completamente. Ich meine: wer bist du denn noch, wenn die sieben Tage verschwinden, die unbefleckte Empfängnis verschwindet, die Wunder, die Ablehnung von Schwulen, Frauen usw.?

Die, die dir einen solchen Anpassungsprozess empfehlen, sind deine Feinde, lass es dir gesagt sein. Ich hingegen komme als Freund und als solcher mache ich dir folgenden Vorschlag: Stehe zu deiner Abseitigkeit, zu deiner Radikalität, zu deiner Absurdität, zu deinen kruden Ansichten. Dann kommst du vielleicht endlich dahin, wo du schon immer hingehörst. In die Nische. Ich bin sicher, es werden sich immer genug Radikale finden, die dich am Leben halten. Dort musst du dich dann auch nicht mehr darum scheren, was die Wissenschaft, was die Presse, was die Politik sagt. Dich schert das dann nicht mehr, genau so wie andere extremistische religiöse Gruppierungen das nicht schert. Dann sind die Verhältnisse in Ordnung. Glaub mir, in einem solchen Zustand lebt es sich besser.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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