Aus einer eigenen Welt

Justiz Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom heutigen Tag gibt Einblicke in die wundersame Welt des Strafverfahrens

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In einer Entscheidung vom heutigen Tag hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Verurteilung eines Jugendlichen wegen Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren durch das Landgericht Osnabrück bestätigt.

Zwar liegt die Entscheidung noch nicht in gedruckter Form vor, bereits die Pressemitteilung gibt jedoch einen guten Einblick in eine eigene Welt. In die Welt des Strafverfahrens:

Zunächst der traurige Anlass: Der damals 16-jährige Täter hatte im Juli des Jahres 2010 das damals 27-jährige Opfer im niedersächsischen Dörpen überfallen, schwer verletzt und vergewaltigt.

Im Rahmen der Ermittlungen rief die Polizei zu einem sogenannten Massengentest auf, an dem ca. 2400 Männer aus der Region teilnahmen. Während der später überführte Täter als Minderjähriger nicht die Kriterien erfüllte, nach denen die Männer für den Massengentest ausgewählt worden waren, nahmen sowohl sein Vater als auch ein Onkel an dem Test teil. Die Ermittler stellten die große Ähnlichkeit der DNA des Vaters und des Onkels einerseits und der von dem Täter sichergestellten DNA andererseits fest (sogenannter Beinahe-Treffer) und kamen zu dem Schluss, dass der Täter ein Verwandter des Vaters und des Onkels sein musste. So führte die Spur zu dem Täter, bei ihm wurde ebenfalls ein Gentest angeordnet und eine hundertprozentige Übereinstimmung festgestellt.

Der BGH hat die Entscheidung des Landgerichts Osnabrück bestätigt und dabei gleichzeitig das Vorgehen der Ermittler für rechtswidrig erklärt. Die Strafprozessordnung (StPO) erlaube zwar einen solchen, freiwilligen Massengentest, dieser dürfte jedoch nur in der Weise ausgewertet werden, dass nach Übereinstimmungen mit der DNA des Täters gesucht wird. Aus sogenannten Beinahe-Treffern dürften keine weiteren Schlüsse gezogen werden.

Dies wirft die Frage auf, warum der BGH das Urteil des Landgerichts Osnabrück dennoch bestätigt hat. Die Antwort hängt damit zusammen, dass nach Auffassung des BGH eine rechtswidrig erlangte Erkenntnis nicht unbedingt dazu führt, dass diese Erkenntnis vor Gericht dann auch nicht verwertet werden darf. Über die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Erkenntnis entscheiden vielmehr die Umstände des Einzelfalls. Der BGH wiegt ab zwischen den Rechten des Angeklagten und dem allgemeinen Interesse an der Aufklärung von Straftaten.

Bei dieser Abwägung spielt dann zum Beispiel die Frage eine Rolle, ob die Ermittler bewusst gegen ein Gesetz verstoßen haben oder nicht (der Tatort lässt grüßen). Ein bewusster Gesetzesverstoß führt dabei in der Regel zu einem Verwertungsverbot, ein unbewusster Verstoß kann demgegenüber durchaus zu einer Verwertbarkeit führen.

In der heutigen Entscheidung geht der BGH davon aus, dass der Umgang mit den sogenannten Beinahe-Treffern bisher von den Gerichten noch nicht eindeutig entschieden worden sei. Die damit einhergehende Unsicherheit habe dazu geführt, dass die Ermittler das Recht zwar verletzt hätten, nicht jedoch in willkürlicher Weise. Daher duften die rechtswidrig gewonnenen Erkenntnisse verwertet werden.

In Zukunft werden die Erkenntnisse aus den Beinahe-Treffern jedoch wohl nicht mehr verwertet werden dürfen, denn nach der heutigen Entscheidung ist die Sache klar. Der Täter, dessen Haftstrafe heute bestätigt wurde, hatte daher gewisser Maßen Pech. Wirklich bedauern mag man das nicht.

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