Der bewusste Spender

Alltag Der bewusste Spender spendet. Aber bei weitem nicht jedem

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Bettler sind im Straßenbild deutscher Großstädte ein fester Bestandteil. Auf der Seite derjenigen, die hin und wieder mal was geben, hat der bewusste Spender schon lange einen eigenen Beitrag verdient. Er unterscheidet sich von denjenigen, die eher willkürlich, vielleicht nach dem Kriterium der Sympathie, von Zeit zu Zeit etwas geben, dadurch, dass er sich mit der Frage beschäftigt, was mit dem von ihm gespendeten Geld passiert.

In unserer, von dem Gedanken der Nachhaltigkeit geprägten Zeit, hat der bewusste Spender Konjunktur. Es steht zu vermuten, dass der bewusste Spender auch sonst ein verhältnismäßig bewusst handelnder Mensch ist, ein Mensch, der in erster Linie auf die langfristigen Wirkungen seines Handelns schaut.

Der bewusste Spender weiß: Currywurst mit Pommes mag zwar lecker sein, auf lange Sicht macht sie jedoch krank und dick. Er weiß: Nur eine Mülltonne mag zwar praktisch sein, nur 4 bis 6 sind jedoch aus Gründen des Umweltschutzes vertretbar. Er weiß: Alkohol würde zwar vielleicht mal locker machen, lenkt aber letztlich von den wirklich wichtigen Dingen des Lebens ab, des bewussten Lebens.

Der bewusste Spender weiß auch, dass in Artikel 14 Grundgesetz steht: „Eigentum verpflichtet“. Er weiß, dass er die Verantwortung für sein Geld nicht verliert, sobald er es aus der Hand gegeben hat (und deswegen findet er es auch skandalös, dass seine Bank mit seinem Geld Rüstungsgeschäfte fördert). Schließlich weiß der bewusste Spender, dass der Bettler als solcher gerne mal Schindluder mit dem erbettelten Geld treibt.

Obdachlosenzeitungsverkäufer und Straßenmusiker zählt der bewusste Spender auch zu den Bettlern, denn die bieten zwar eine Gegenleistung, aber, mal ehrlich, richtige Zeitungen ließt der bewusste Spender dann doch lieber und das Opern-Abo stillt eigentlich das Bedürfnis nach Kunstgenuss.

Auch wenn der bewusste Spender Obdachlosenzeitungsverkäufer und Straßenmusiker als Bettler ansieht, mag er sie lieber als die klassischen Bettler. Denn der bewusste Spender ist beseelt von dem Gedanken, dass der Mensch etwas leisten muss in dieser Gesellschaft, dass der, der etwas will, erst mal in Vorleistung zu gehen hat.

Aber auch, wenn der bewusste Spender diesen uneigentlichen Bettlern lieber etwas gibt, gibt er den klassischen Bettlern hin und wieder auch etwas. Dies jedoch nur, nachdem er mit kritischem Blick geprüft hat, ob die klassischen Bettler eigentlich könnten, ob sie also einfach nur faul sind, oder nicht. Zwar kann der bewusste Spender den Bettlern nicht, wie auf dem Pferdemarkt, ins Maul schauen, aber über die Zeit hat er einen guten Blick bekommen.

Noch wichtiger als diese Gegenleistungs-Sache ist dem bewussten Spender aber die Verhinderung von Alkohol- und Drogenkonsum. Der bewusste Spender weiß: Wenn er für sich selbst erkannt hat, wie schädlich das ist, dann hat er auch gegenüber den Bettlern eine Verantwortung. Mit seinem kritischen Blick sucht der bewusste Spender daher bei jedem Bettler zunächst nach Anzeichen für Alkohol- oder Drogenkonsum. Dabei ist eines klar: Lieber einmal zu oft kein Geld geben als einmal zu selten.

Aufgrund einer neueren Entwicklung ist der bewusste Spender allerdings kurz davor, seine Karriere als Spender zu beenden. Es geht um das Auftreten der osteuropäischen Bettlerbanden. Dieses will der bewusste Spender auf keinen Fall unterstützen und ob hier sein kritisches Auge noch ausreicht, um die Guten von den Bösen zu unterscheiden, da zweifelt der bewusste Spender selbst.

Kürzlich saß der bewusste Spender in der S-Bahn, als folgende Durchsage des Zugführers kam: „Bitte geben Sie den zugestiegenen Männern nichts, es handelt sich um eine Bande.“ Da hatte der bewusste Spender richtig Angst. In der Oper hat er unter dem Titel „Mein Abendteuer in der S-Bahn“ davon erzählt und für ein großes Hallo gesorgt.

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