Die Abgeordneten und das Gewissen

Berlin Bei der Abstimmung über das Betreuungsgeld ist Cornelia Pieper ihrer inhaltlichen Überzeugung gefolgt und hat dagegen gestimmt. Das könnte ihr teuer zu stehen kommen.

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Am Freitag hat die Regierungskoalition im Bundestag das Betreuungsgeld beschlossen. Bei der Abstimmung über diese, von der Opposition spöttisch als „Herdprämie“ bezeichnete, Regelung gab es sechs Abweichler aus den eigenen Reihen, unter anderen die Staatsministerin im Auswärtigen Amt Cornelia Pieper.

Aber warum eigentlich Abweichlerin? Wovon genau ist sie eigentlich abgewichen?

Nicht abgewichen ist sie wohl von dem, was das Grundgesetz von ihr verlangt, nämlich von Aufträgen und Weisungen unabhängig zu sein und nur ihrem Gewissen zu folgen.

Abgewichen ist die Politikerin von der sogenannten Fraktionsdisziplin. Fraktionsdisziplin bedeutet, dass der einzelne Abgeordnete sich in der Regel der Mehrheitsmeinung innerhalb seiner Fraktion anschließt, im Interesse der Durchsetzbarkeit der gemeinsamen politischen Zielvorstellung.

Diese Form des gruppenmäßigen Handelns wird von Verfassungsrechtlern ganz überwiegend als verfassungsgemäß angesehen. Wenn der Abgeordnete sein Gewissen befragt, dann könne er dabei nicht nur seine eigene sachliche Überzeugung in Rechnung stellen, sondern auch eben das Interesse an einer handlungsfähigen Fraktion, die als Einheit und nicht als Sammelsurium einzelner Querköpfe auftritt.

Wenn der Abgeordnete also im Einzelfall seine eigene sachliche Überzeugung hintanstellen darf, dann heißt das nicht, dass er dieses auch in jedem Einzelfall tun muss.

Insbesondere wenn einem Parlamentarier eine Entscheidung so fundamental falsch vorkommt, dass er mit ihr „einfach nicht leben kann“, dann soll, ja dann muss er dieser inneren Haltung folgen, auch in Konfrontation zu der eigenen Fraktion.

Wie der Spiegel berichtete, war Cornelia Pieper im Vorfeld der Abstimmung einem erheblichen Druck aus den eigenen Reihen ausgesetzt. Hintergrund ist der Umstand, dass das Betreuungsgeld bei Leibe keine Herzensangelegenheit der FDP ist. Die bayerische Regionalpartei CSU hat auf das Betreuungsgeld bestanden, hat im Gegenzug der FDP eine Zustimmung zur Abschaffung der Praxisgebühr versprochen. Die Fraktionskollegen warfen Cornelia Pieper nunmehr vor, sich bei dieser Entscheidung zu profilieren und ihre Kollegen, die das Betreuungsgeld inhaltlich eigentlich auch ablehnen, durch ihr Beispiel bloßzustellen. Der Druck war, wie der Spiegel berichtete, immens, es drohte gar der Verlust der Stellung als Staatsministerin.

Damit hat die FDP-Fraktion ein fatales Signal an die Bevölkerung gesendet. Es ist mal wieder ein Signal, welches der Politikverdrossenheit Vorschub leistet. Der Bundestag ist die Volksvertretung, die einzelnen Abgeordneten sind die Volksvertreter. Sämtliches staatliches Handeln auf Bundesebene ist über den Bundestag demokratisch legitimiert. Für die Funktion als Volksvertreter ist die Unabhängigkeit, die Gewissens-Abhängigkeit, von entscheidender Bedeutung. Fraktionsdisziplin hin oder her, letztlich entscheidet das Gewissen, und wenn das Gewissen eine Fraktionsdisziplin im Einzelfall nicht zulässt, dann ist das eben so, dass sollten gerade die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag nicht vergessen.

Zu viel Fraktionsdisziplin lässt den Eindruck entstehen, in den Parlamenten dieser Republik sitzen bloß „Abnicker“, keine eigenständig denkenden Volksvertreter. In einer vielbeachteten Rede hat der Piratenpolitiker Christopher Lauer genau dies den Abgeordneten im Berliner Abgeordnetenhaus vorgeworfen. Er hat daran erinnert, dass Gesetzesinitiativen – wie übrigens auch auf Bundesebene – auch aus der Mitte des Abgeordnetenhauses kommen können. Er hat gefordert, die Verfassung dahingehend zu ändern, dass Gesetzesvorlagen nicht mehr vom Senat, sondern nur noch aus der Mitte des Abgeordnetenhauses (und aus einem Volksbegehrens) kommen können. Er hat gefordert, das Abgeordnetenhaus mit der Expertise auszustatten, die Gesetze zu schreiben, er hat gefordert, sachbezogen, über das „Klein-Klein“ der Parteigrenzen hinweg, zu diskutieren.

Damit hat Christopher Lauer auch ein Ende der Fraktionsdisziplin gefordert. Wenn ich die Wahl hätte, mehr Fraktionsdisziplin mit der FDP oder keine Fraktionsdisziplin mit den Piraten, ich würde mich mit Herzblut für das Letztere entscheiden, meine geschundene demokratische Seele würde aufatmen.

Vielleicht ist die FDP doch noch für eines gut: Wahlkampf für die Piraten zu machen.

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