Wer rettet die Retter?

Alltag im Rettungsdienst Überstunden, fehlende Kapazitäten, Alltagssexismus - Stress gehört im Rettungsdienst zum Programm. Zu Pandemiezeiten ist es da nicht entspannter...

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Es ist kurz nach 6 Uhr, wenn ich die Rettungswache betrete und in meinen 12-Stunden-Tag starte. 38,5 Wochenstunden sagt mein Arbeitsvertrag, doch die Realität sieht regelmäßig anders aus. Durch attraktive Vergütung versucht man uns zu freiwilliger Mehrarbeit zu motivieren. Immerhin besser als bei vielen anderen Hilfsorganisationen, denke ich oft, denn alle haben das gleiche Problem. Maximal 60 Stunden schreibt das Arbeitsschutzgesetz vor, eine magische Grenze an der jeder Mitarbeiter regelmäßig kratzt. Lieber zu wenig als die falschen Mitarbeiter eingestellt, versucht unser Chef das Betriebsklima über die Belastung hinweg zu loben. Mit einem Gähnen, das von einer Nacht großer Taten zeugt und einem Zwinkern aus freundlichen Augen über den tiefen Augenringen eines klassischen Schichtdienstmitarbeiters, der seit Jahren gegen seinen Biorhythmus arbeitet, erhalte ich dann Melder und Fahrzeugschlüssel vom Kollegen aus dem Nachtdienst.

Eine neue Dienstanweisung verpflichtet uns neuerdings zu Desinfektionsmaßnahmen bei Dienstbeginn und dem Tragen von FFP2 Masken bei jedem Patienten, lese ich in einem Aushang. Wegen Lieferengpässen müssen wir Ressourcen schonen, daher wird seit Wochen eifrig überlegt wie man optimal Patienten und Rettungspersonal schützen kann und gleichzeitig so wenig Schutzkittel, Masken, Desinfektionsmittel und Handschuhe verbraucht wie möglich. Fast täglich kommen neue Verfahrensanweisungen, Kompromisse müssen wir „draußen“ aber immer eingehen, Berufsrisiko wenn man im Gesundheitssystem arbeitet. Ich ziehe mir einen Kaffee und checke das Auto. Als Rettungssanitäterin und Fahrerin des 4,5 Tonnen schweren Rettungswagens, bin ich vor allem für die Fahrzeugtechnik zuständig. Gemeinsam mit meiner Kollegin, einer Notfallsanitäterin, die die medizinische Verantwortung für unsere Patienten trägt, prüfen wir alle medizinischen Geräte und die Ausrüstung auf dem Fahrzeug. Das ist unsere Lebensversicherung und die des Patienten. Nachdem die Einsatzbereitschaft hergestellt ist, erledigen wir die Tagesaufgaben auf der Wache. Neben Ordnungs- und Reinigungstätigkeiten, stehen auch medizinische und einsatztaktische Fortbildung sowie Instandhaltung und Materialbestellung auf der to-do Liste.

Über den Tag verteilt fahren wir zahlreiche Einsätze, kein Tag ist wie der andere und doch gibt es Situationen, denen man immer wieder begegnet. „Ach, zwei junge Frauen. Haben Sie denn keinen starken Mann dabei?“ Nein, denn Kompetenz ist glücklicherweise nicht von Körpergröße und Geschlecht abhängig. „Was, Sie fahren das große Auto? Ja sagen sie, können Sie das denn überhaupt??“ - Ja, ich kann das, denn ich habe einen LKW-Führerschein. „Ach Kindchen, schaffst du das überhaupt mich dort hinunter zu tragen?“. Gerne möchte ich darauf hinweisen, dass ich längst eine erwachsene Frau bin, dass ich trotz meines jungen Erscheinungsbildes ein Recht darauf habe, respektiert und gesiezt zu werden und dass ich mir diesen Beruf in vollem Bewusstsein über die körperliche Belastung ausgesucht habe. Doch stattdessen setze ich ein professionelles Lächeln auf. Natürlich ist das alles nicht persönlich gemeint. Wir haben ein breites, stabiles Rückgrat im Rettungsdienst… Für Beschimpfungen und Beleidigungen durch Patienten und Angehörige, für die Schwächen des Gesundheitssystems, die wir täglich erleben dürfen wenn wir einen Menschen, dem es schlecht geht, auf einer Liege am Ende des Flures einfach abstellen…

Zehn Minuten von denen das Überleben abhängt

Der Melder klingelt. Es geht zu einem älteren Mann in eine kleine Wohnung eines Mehrfamilienhauses. Er habe im Fernsehen einen Beitrag über Corona gesehen und nun selbst einmal Temperatur und Blutdruck gemessen mit erschreckenden Werten, denn auch nach erneuter Messung sei der Blutdruckwert bei ihm noch weiter angestiegen und nun befürchtet er an Sars-CoV-19 erkrankt zu sein. Beschwerden oder Kontakt zur Außenwelt verneint der Mann, der von einem ambulanten Pflegedienst zuhause versorgt wird. Wir nehmen uns Zeit, messen ebenfalls, können ihn beruhigen und klären auf, dass Aufregung und Bewegung den Blutdruck fälschlich ansteigen lassen können. Wir verweisen ihn an den Hausarzt zur Kontrolle seiner Medikamenteneinstellung. Währenddessen höre ich am Funk einen Rettungswagen aus dem Nachbarkreis, der sich auf dem Weg zu unserer Stadt befindet. „Eintreffen in ca. 10 Minuten, eine Person mit Herzkreislaufstillstand“, bestätigt er die Alarmierung. Der nächste freie Notarzt benötigt ebenfalls zehn Minuten. Zehn Minuten die entscheidend sind. Zehn Minuten von denen das Überleben des reanimationspflichtigen Patienten abhängen.

Ich höre meine Kollegin im Nebenraum mit unserem „Patienten“ diskutieren, freundlich geht sie auf die Ängste des Mannes ein. Von unserer Wache aus hätten wir zwei Minuten zur genannten Adresse mit der reanimationspflichtigen Person gebraucht. Ganz in der Nähe stirbt ein Mensch, während unser Patient bedauert, dass der Nachfolger seines Hausarztes ein wesentlich weniger sympathischer Arzt sei, den er doch ungerne aufsuchen möchte…

… neuer Einsatz…

Währenddessen meldet mein Kollege uns über die Leitstelle in der Klinik an. „Aschaffenburg oder Alsfeld?“ möchte er von mir wissen. „Wie bitte??“, in Gedanken überlege ich ob wir auf dem Weg an drei oder doch vier möglichen Kliniken vorbei kommen. „Sonst ist alles rot“, kommentiert mein Kollege die aktuelle Krankenhaussituation. Entgegen der weitläufigen Annahme, können wir als Rettungsdienst nämlich nicht einfach ein beliebiges Wunschkrankenhaus anfahren. Oft können wir nicht mal das nächstgelegene Krankenhaus mit der passenden Fachrichtung anfahren, da aufgrund der fehlenden Bettplatz- und Personalkapazität die Notaufnahmen der Kliniken „abgemeldet“ sind. Somit können wir über die Leitstelle unseren Patienten dort nicht anmelden, was besonders für kritisch Verletzte oder Erkrankte weitere Wege und somit eine zeitliche Verzögerung bedeutet. Zeit, die nicht nur instabile Patienten nicht haben, sondern die uns als primäres Rettungsmittel und rollende Intensivstation auch an einen somit länger andauernden Einsatz bindet und den Zeitpunkt verzögert, an dem wir uns wieder frei für neue Notfälle melden können.

Ich komme nach Hause. „Und wie war dein Tag, ist was besonderes passiert?“ werde ich von meinem Mitbewohner gefragt. Kurz überlege ich, wo ich anfangen soll, dann sage ich: „Nö, eigentlich alles wie immer.“

Dieser Text ist von Rebecca. Sie ist 21, macht eine Ausbildung zur Notfallsanitäterin und arbeitet als Rettungssanitäterin.

Dieser Beitrag ist die Meinung eines Linksjugend-Mitgliedes. In diesem Blog soll regelmäßig von Mitgliedern zu aktuellen Themen Stellung bezogen werden.

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