Sturmgewehre und Stossgebete

Philippinen Warum die Pandemie die politische Landschaft der Philippinen umzupflügen droht. Ein Lagebericht.

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Ich will gerade zurück zu unserem Haus gehen, da biegen wieder Feuerwehrleute im Gleichschritt um die Ecke. Sie tragen ein weisses T-Shirt, eine Gesichtsmaske, dunkelblaue Khakihosen und Kampfstiefel. Hier oben bei uns, in der Nähe des neu erbauten Klosters, befindet sich auch ein Schulungslager der Feuerwehr. Neben den Doppelkolonnen, die am Ende jeweils von einem Paukenmann abgeschlossen werden, trippelt ein Instruktor mit einer Standarte in der Hand und ruft den Feuerwehrfrauen- und Männern Parolen zu, die diese im Chor lautstark wiederholen müssen. Der Drill wirkt militärisch und gut einstudiert.

Als die Regierung im März den 3-monatigen Lockdown über die ganze Hauptinsel Luzon verhängt hat, tauchten plötzlich überall und wie von Geisterhand bewegt unzählige, schwer bewaffnete Soldaten und Polizisten auf und sperrten sämtliche Zufahrtstrassen zur Stadt ab. Kleinere Wege wurden verbarrikadiert. Jeder Einwohner erhielt einen Covid-Pass, den er an den Strassensperren den Sicherheitskräften jeweils unaufgefordert präsentieren musste. Es war eine unheimliche Zeit, auch wenn die Uniformierten stets freundlich zu mir waren. Einmal sah ich einen Soldaten im Zentrum, der, neben einer umgehängten, neuen Kalaschnikow mit Klappschaft, insgesamt sechst Stangenmagazine in den Brusttaschen seines Tarnanzuges bei sich trug. Das waren also, je nach Magazingrösse, zwischen 168 und 224 Schuss zusätzliche Munition- oder mehr als genug für ein längeres Feuergefecht!

Erst als die Feuerwehrleute vorbei marschiert sind, überquere ich die Strasse. Die Paukenschläge sind in der ganzen Gegend zu hören. Es ist heiss und derHimmel liegt wie eine dunkelblau glühende Fläche über der üppig grünen, tropischen Vegetation. Im ganzen Land wurde die Reisefreiheit mit dem Ausbruch von Covid-19 aufgehoben. Selbst innerhalb der eigenen Provinz benötigt man für die Fahrt zu einer weiter entfernten Destination einen amtlichen „Travel Pass“. Wer keinen dabei hat, muss damit rechnen, an einem Kontrollposten entweder eine hohe Busse bezahlen zu müssen-, inhaftiert- oder wieder zurück geschickt zu werden.

Ich öffne die Türe zu unserem Haus und will mir gerade einen Kaffee machen, da ertönt Kirchengesang. Seit Ausbruch der Coronakrise haben die Nonnen und Priester des neu gebauten Klosters, das unweit von unserem Haus steht, Lautsprecher auf dem Dom installiert um drei Mal täglich mehr als deutlich hörbar- oder gemessene 50 Dezibel laut- für das Wohl der Menschen zu beten. Auch ein ambitionierter, philippinischer Politiker- womöglich ein viel versprechender Präsidentschaftskandidat- hat kürzlich auf seinem Facebook-Account die Bewohner seiner Provinz dazu aufgefordert, im Kampf gegen Covid-19 zusammen zu beten und gemeinsam zu heilen („let us pray and heal together“). Die Macht der katholischen Kirche reicht hierzulande bis weit in die Politik hinein. Die Philippinen sind das einzige Land in Südostasien, dessen Bevölkerungsmehrheit christlichen Glaubens ist. Alljährlich lassen sich hier Menschen zu Ehren von Jesus Christus publikumswirksam an Holzkreuze nageln- unter den stets wachsamen, aber wohlwollenden Augen der katholischen Kirche natürlich.

Vor wenigen Wochen hat Präsident Rodrigo Duterte erreicht, dass der wegen der Coronakrise über das ganze Land verhängte Ausnahmezustand bis in den September des nächsten Jahres hinein verlängert wird. Damit behält er auch gleichzeitig seine umfangreichen Sonderbefugnisse, die ihm das Parlament zu Beginn der Gesundheitskrise zugebilligt hat. Diese geben ihm unter anderem das Recht, nötigenfalls das Kriegsrecht (Martial Law) über das ganze Land zu verhängen- und ganz nebenbei das Parlament zu entmachten, wenn er es für richtig hält. Letzteres wäre zwar widerrechtlich, doch zahlreiche Beobachter gehen davon aus, dass er sich diese Option insgeheim offen hält. Rodrigo Duterte ist ein grosser Anhänger von Ferdinand Marcos- wie überhaupt sehr viele seiner Landesleute ebenfalls. Fast zeitgleich wurde ein umstrittenes, neues Gesetz zur Bekämpfung von terroristischen Aktivitäten („Anti Terror Bill“) installiert.

Vor dem Zubettgehen nehme ich noch eine Dusche. Die Beleuchtung im Badezimmer flackert schon seit Tagen. Sie auszuwechseln ist zwecklos: Die Birnenfassung ist so stark eingerostet, dass sich die Birne gar nicht mehr herausschrauben lässt. Die Philippinen sind eines der ärmsten Länder der Welt und die Coronakrise hat die ohnehin schon prekären Lebenssituation sehr vieler Menschen hier dramatisch verschärft: Die offizielle Arbeitslosenquote liegt Corona-bedingt bei bald einmal 20%, die ansonsten erfolgreiche Wirtschaft- die Philippinen wiesen für lange Zeit eine der höchsten Wachstumsraten im ASEAN-Raum aus- ist so stark zusammen gebrochen, wie seit drei Jahrzehnten nicht mehr. 26% aller Geschäfte haben bis dato geschlossen, die Armutsquote, die schon vor der Krise rekordhoch war, ist nun gleich noch einmal explodiert. Das sog. Social Amelioration Program (SAP), das vergleichsweise bescheidene Zuwendungen in Form von Naturalien und z. T. auch Geldbeträgen selbst für die dünne Schicht des Mittelstandes umfasst, hat lediglich 75% der Bevölkerung erreicht. Nun hat die Regierung kein Geld mehr, wie Rodrigo Duterte immer wieder betont. Diese Verhältnisse bilden insgesamt den idealen Nährboden für eine zukünftige Diktatur.

Sehr viele Posten in hohen Regierungsämtern besetzt „Tatay Digong“ (Onkel Digong), wie Duterte von seinen Anhängern auch genannt wird, mit Ex-Militärs. Selbst die staatliche Krankenversicherung Philhealth wird nach einem Korruptionsskandal, der nach Angaben von Regierungskritikern bis weit ins Gesundheitsministerium hinein reicht, von einem Ex-General geführt. Der Kirchengesang ist mittlerweile verstummt. Dafür ertönen in der Ferne wieder Paukenschläge. Wer weiss, vielleicht wird es ja in Zukunft die Feuerwehr sein, die Brände legt? Rettungs- oder Löschübungen habe ich diese Feuerwehrleute noch nie machen sehen. Die Pauken und Parolen hingegen hört man oft und mehrmals jeden Tag.

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Reinkarnation

„Das Absurde kann jeden beliebigen Menschen an jeder beliebigen Straßenecke anspringen.“ Albert Camus

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