Die Schwäche Ideologie-getriebener Politik

Popanz Drohne Warum die deutsche Anti-Drohnen-Kampagne nicht überzeugen kann - aber es geht auch anders.

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Eine Radio-Sendung über Proteste gegen den US-Stützpunkt Ramstein. Ein älterer Herr äußert sich zum „Drohnen-Krieg der USA“, der von der pfälzischen US Base aus geführt werde. Er stellt den Bezug zur „Flüchtlingskrise“ her. Aus Afghanistan, weiß er, fliehen die Menschen, weil sie das Summen der todbringenden Drohnen über ihren Köpfen nicht mehr ertragen können. Es dürfte ihm schwer fallen, unter den zahlreichen afghanischen Geflüchteten und Fliehenden einen zu finden, der ihm dieses Fluchtmotiv nennen würde.

Vor ein paar Jahren entdeckte die deutsche Friedensbewegung die Drohnen als ihren Lieblingspopanz. Bis dahin wollte sie von der damals schon nicht mehr neuen Technologie der Bevölkerungskontrolle, einschließlich gezielter außergerichtlicher Tötungen, partout nichts wissen. Drohnen waren nämlich zunächst als vor allem von Israel für eine „Besatzung ohne Besatzung“ im Kontext der Räumung des Gaza-Streifens (2005) entwickelte Technologie bekannt. Die Bundeswehr übte bereits damals mit IDF-Kräften den Einsatz von Heron-Drohnen, und Thyssen-Krupp machte die israelische Drohne fit für den Einsatz in Afghanistan. Ähnliche Kooperationen gab es auch mit anderen Ländern, so zwischen Frankreich und Israel, und dort wie in Deutschland machte die internationale BDS-Kampagne darauf aufmerksam. Die deutsche Friedensbewegung war dafür nicht zu interessieren.

Bezüglich der Entwicklung der Technologie, die in zweiter Linie auch als Waffe eingesetzt wird, in erster Linie als Instrument der möglichst totalen Überwachung einer Bevölkerung, die rechtlos eingefriedet in Schach gehalten werden soll, ist – nicht zufällig – Israel weltweit Pionier und Vorbild, nicht nur, was die technische Entwicklung und effiziente Anwendung angeht. Israel hat auch ein Prozedere entwickelt, wie diese neue Technologie im Rahmen eines Rechtsstaats, unter Berücksichtigung des Internationalen Rechts angewandt und politisch legitimiert werden kann.

Was bekanntlich die Drohnen (und nicht nur sie) unter den modernen Kontrollsystemen und –technologien (und darüber hinaus ein ganzes Arsenal moderner Waffen) auszeichnet, ist das Prinzip der Fernsteuerung und somit die Schonung derer, die sie anwenden. Auf der Seite des beobachtenden, Daten erhebenden, womöglich auch tötenden Akteurs fließt also kein Blut. Der/Die Überwacher_in am Bildschirm und Bediener_in des Joysticks befindet sich in Sicherheit, weit weg vom Ort bzw. Objekt der Beobachtung und/oder des Angriffs. Dieser Umstand bringt es mit sich, dass eine solche Kriegführung (wenn sie denn diesen Namen verdient) nichts Heroisches mehr hat. (siehe Grégoire Chamayou).

Kritiker_innen des Drohnen-Krieges empören sich gelegentlich über die „Feigheit“ des wenig heldenhaften, unsoldatischen Vorgehens der Drohnen-Krieger_innen. Darin sind sie sich einig mit Soldaten, richtigen Männern, die es ja immer noch gibt. Solche, die auf den Schlachtfeldern dienen und für die „Schlappschwänze“ an den Bildschirmen fern des Kriegsgetümmels nur Verachtung übrig haben (US-Armee-Diskussionsforum, zitiert bei Chamayou).

Beim Drohnen-Einsatz fließt also auf der einen Seite gar kein Blut; auf der anderen ungleich weniger als bei Bombardements, Streubomben- oder Fassbombeneinsätzen, die keineswegs der Vergangenheit angehören. Die Zahl der bei einer gezielten Tötung eines als führend eingestuften Aufständischen mit diesem zusammen in den Tod Gerissenen oder Verletzten („Kollateralschäden“) ist deutlich geringer als die der Toten und Verletzten bei konventionellen Methoden der Aufstandsbekämpfung, wie sie von den USA seinerzeit in Vietnam, später (zusammen mit ihren Alliierten) im Irak oder aktuell mit ungeheuerlichem Gemetzel und flächendeckender Zerstörung das Assad-Regime und Russland in Syrien betrieben wurde.

Entwickler, Hersteller und Vertreiber von Drohnen ebenso wie die ihren Einsatz befürwortenden Politiker können also zutreffend darauf verweisen, dass Drohnen, verglichen mit anderen Mitteln Menschenleben schonen können. Wem es also vor allem darum geht, der sollte sich nicht ausgerechnet auf die Drohnen – einschießen.

Streubomben (um nur ein Beispiel zu nennen), massenhaft produziert (u.a. in Deutschland) und weltweit großzügig eingesetzt, werden häufig auch – feige! – von einem fernen, sicheren Ort aus per remote control abgeschossen, nicht um einen bewaffneten Feind empfindlich zu treffen, sondern um ein urbanes oder städtisches Gebiet nachhaltig für die Zivilbevölkerung unbenutzbar und unbewohnbar zu machen. Die Leidtragenden sind – oft noch lange nach Beendigung der Kampfhandlungen – fast ausschließlich Ziviliste_innen, die umkommen oder denen Gliedmaßen abgerissen werden, weil sie beispielsweise ihr Feld bebauen müssen, um nicht zu verhungern (siehe Laos, Libanon, Ex-Jugoslawien u.v.a.m.). Streubomben hinterlassen so etwas wie verbrannte Erde und sind somit ein besonders geeignetes Instrument im Rahmen andauernder Befriedungskampagnen, wie sie heute, auch mit deutscher Unterstützung, z.B. in Gaza, allenthalben geführt werden. Der israelische Anthropologe und Aktivist Jeff Halper beschreibt diese Art von Krieg in seinem jüngsten Buch. Auch Drohnen spielen dabei selbstverständlich eine Rolle, doch eingeordnet in ein vielschichtiges Geflecht von – nur unter anderen – militärischen Instrumentarien.

Selbstverständlich ist der Verweis etwa auf die viel verheerender wirkenden und flächendeckend eingesetzten Streubomben kein Plädoyer für den Einsatz der weniger zivile Opfer fordernden Drohnen und außergerichtliche gezielte Exekutionen. Es kann nicht sein, das Projekt der Beherrschung und Unterwerfung, dem sie – neben zahlreichen anderen Instrumentarien – dienen, überhaupt in irgendeiner Weise hinzunehmen oder zu rechtfertigen, unabhängig davon mit welchen Mitteln es verfolgt wird. Dies ist aber (vermutlich ungewollt) impliziert, wenn in den Friedenspolitischen Mitteilungen aus der US-Militärregion Kaiserslautern/Ramstein (vom 26.10.2015) immanente Kritikpunkte angeführt werden, etwa der, mit Drohnenschlägen würden möglicherweise wichtige Informanten (!) ausgeschaltet oder der, die Daten, auf denen die Entscheidung für eine gezielte Tötung beruhten, erwiesen sich oft als fragwürdig und folglich würden „der Falsche“ (!) und zahlreiche „Unschuldige“ (!) getroffen.

Sich gegen eine auf ideologischen Vorentscheidungen beruhende Diabolisierung der Drohnen zu wenden, bedeutet selbstverständlich nicht die Argumentation des „geringeren Übels“ (Hannah Arendt) zu befürworten, die etwa lautet: „Leider müssen gewisse Bevölkerungen kontrolliert und da, wo sie sind, festgehalten werden, und bedauerlicherweise muss vereinzelt auch getötet werden, falls sie sich erheben; tun wir das Notwendige, aber möglichst human und unter Einhaltung rechtsstaatlicher Vorgaben.“

Rund zehn Jahre mussten vergehen, seit Drohnen international ein Thema sind und in ihren vielschichtigen Anwendungen sowie Implikationen untersucht werden – bis sie die deutsche Friedensbewegung für sich entdeckt, allerdings unter konsequenter Nicht-zur-Kenntnisnahme dessen, was zum Thema schon gedacht wurde.

Im Bildzeitungsstil ereifern sich die oben zitierten Friedenspolitischen Mitteilungen unter der Überschrift „Der Mordkomplex“ über den „Drohnen-Krieg Obamas“. Es handelt sich um die stilistisch hochgerüstete Übersetzung eines Textes von Glenn Greenwalds Website The Intercept, der sich reißerisch auf „geheime Militärdokumente“ beruft. Darin wird beschrieben, wie ein Mensch in Afghanistan oder Pakistan auf die US-Todesliste gerät, um schließlich durch eine bewaffnete Drohne umgebracht zu werden. Dieses Verfahren gleicht bis in alle Einzelheiten dem in Israel seit Jahren angewandten und von Eyal Weizman 2007 in Hollow Land (deutsch: Sperrzonen – Israels Architektur der Besatzung; 2009) beschriebenen, was darauf verweist, wo sich die USA und andere bei der Entwicklung dieser Methode orientiert haben. Dazu gehört selbstverständlich auch das grundsätzlich rechtsstaatlich geregelte Verfahren, bei dem möglichst genaue Datenerhebungen und die oft jahrelange Beobachtung des Opfers dem tödlichen Schlag vorausgehen. Wer daran beteiligt ist, wie die Entscheidungsprozesse verlaufen und wann sie für abgeschlossen erklärt werden, erfuhr Weizman in direkten Gesprächen mit beteiligten Geheimdienstchefs und Militärs. Geheim ist natürlich wie jede Operation dieser Art, wer gerade gejagt wird, was man über sie/ihn zu wissen glaubt, wann und wo zugeschlagen wird. In den Mitteilungen heißt es dazu empört: „Es ist bekannt geworden, dass Präsident Obama die Aufnahme hochwertiger Zielpersonen in die Tötungsliste selbst genehmigt; aus der bisher geheimen ISR-Studie (des Pentagon, S.D.) ist nun aber zu ersehen, dass es eine "Kill Chain" (eine Befehlskette für Tötungen) einschließlich ausführlicher Anweisungen gibt, die vom Sammeln elektronischer und von Informanten gelieferter Erkenntnisse bis auf den Schreibtisch des Präsidenten reichen.“ Aha: Die Entscheidung über eine solche außergerichtliche Tötung geschieht also nicht leichtfertig. Sie steht am Ende eines genau geregelten, monate- bis jahrelangen Prozesses der Auswertung von (u.a. durch Drohnen) gesammelten Informationen, damit möglichst „der Richtige“ getroffen wird und die „Kollateralschäden“ möglichst gering gehalten werden. Selbst in Kreisen der Militärs und Geheimdienstler wurde die in bestimmten Fällen unzulängliche Datenerhebung und damit fragwürdige Entscheidungsgrundlage kritisiert, erfahren wir durch die Mitteilungen – weiterhin im Ton der Empörung. Wogen richtet sie sich? Gegen das Bemühen der Verantwortlichen, das Verfahren im Sinne des möglichst geringen Übels zu optimieren?

Von Drohnen lässt man (in gewissen deutschen Kontexten) solange die Finger, wie sie vor allem eine israelische Angelegenheit sind und Deutschland in dieser Sache – im beidseitigen Interesse – mit Israel kooperiert. Drohnen sind plötzlich von zentraler Bedeutung und des Teufels, sobald sie als Aspekt der „Kriegstreiberei“ der USA, des Westens und Deutschlands dargestellt werden können. Das gelingt allerdings nur, indem man Analysen und Tatsachen außen vor lässt, vor allem die, dass „der Westen“ und insbesondre Deutschland Krieg im Sinne von Gemetzel seit Jahren und weiterhin zu vermeiden versucht – und Drohnen tatsächlich auch kein Instrument dieser Art überkommener Kriegführung sind. Marx scheint recht zu behalten: Der große Zusammenhang, in dem wir alle leben, nennen wir ihn Kapitalismus, ist von faszinierender Lernfähigkeit und Flexibilität. Für die Aufrechterhaltung der Ungleichheiten, ohne die er nicht funktioniert, hat er längst andere Methoden und Mechanismen entwickelt als blutbefleckte boots on the ground, flächendeckende Bombardements, Mord und Todschlag oder auch „Regimechange“. Am Austausch von Regimes ist heutzutage niemandem auf der Seite der Macht gelegen, solange diese eine unterworfene Bevölkerung zuverlässig niederhalten. Haben etwa die USA die Aufstände gegen die arabischen Diktaturen mit Wohlgefallen gesehen und unterstützt? Arbeiten sie, übrigens auch Israel und Europa, nicht sehr gerne mit dem ägyptischen Regime zusammen, das den dortigen Aufstand zu ihrer vollen Zufriedenheit niedergeschlagen hat? Ließ und lässt man nicht Assad in Syrien gewähren, kooperiert gar mit ihm, in der Hoffnung, dass er seine Herrschaft über die aufständische Bevölkerung wieder festigt und nebenbei die islamistischen Geister, die er rief, wieder in ihre Schranken weist?

Im Übrigen, wir – die Gesellschaften in den kapitalistisch weit entwickelten Ländern – sind ganz überwiegend privilegierte Weicheier, die martialische Methoden alten Stils gar nicht mögen. Unsere politischen Eliten haben aus den Erfahrungen – Irak, Afghanistan – gelernt und betreiben eine humanitär abgefederte, das Völkerrecht „kreativ weiter entwickelnde“ und auf blutige Gewalt möglichst verzichtende Form der Absicherung ihrer/unserer Zone der Glückseligkeit. Das Sekuritäre und das Militärische verschwimmen. Moderne Technologien wie die der Drohnen passen zu diesem Konzept, weltweit Ungleichheit leise summend aufrecht- und uns die Ungleichen vom Hals zu halten. Geschäfte lassen sich auch mit diesen vielfältigen Instrumenten der Sicherheit machen, mindestens genauso gut wie mit schwerem Kriegsgerät. Die Rüstungs-, die Sicherheits- und andere Industrien, an denen unsere Arbeitsplätze hängen, sind im Übrigen kaum voneinander abzugrenzen.

Israel ist vermutlich der Staat mit dem reichsten und immer neu auf den Stand gebrachten Erfahrungsschatz und know-how in Sachen: Einfriedung, Besatzung ohne physische Präsenz, „lawfare“ und „warehousing“ (Jeff Halper) einer „überflüssigen“ Bevölkerung. Welche High Tech-Nation hat schon gleich nebenan ein Labor zur Verfügung, wie es die Israel ausgelieferte palästinensische Bevölkerung darstellt (siehe der Dokumentarfilm The Lab von Yotam Feldman)? Daher die besondere Rolle Israels im internationalen Befriedungsgeschäft einschließlich Drohnen. Zum Vorteil aller Beteiligten.

Wenn man glaubt, in Deutschland eine Kampagne gegen Drohnen führen zu müssen, kommt man wohl nicht umhin, über Israel und die deutsch-israelische Kooperation in diesem Kontext zu reden – mal ganz abgesehen davon, ob und wie eine Anti-Drohnen-Kampagne Sinn machen kann.

Nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern:

Eyal Weizman, Sperrzonen – Israels Architektur der Besatzung, Edition Nautilus 2009

Eyal Weizman, The Least of All Possible Evils – Humanitarian Violence from Arendt to Gaza; Verso 2012

Yotam Feldman, Doku The Lab; 2013

Grégoire Chamayou, Ferngesteuerte Gewalt – Eine Theorie der Drohne; Passagen-Verlag 2015

Jeff Halper, War Against the People – Israel, Palestine and Global Pacification; Pluto Press 2015

http://www.forensic-architecture.org/case/drone-strikes/

https://www.thebureauinvestigates.com/2014/05/23/get-the-data-what-the-drones-strike/

Beispiel für intelligente, kontextualisierte Anti-Drohnen-Aktivitäten:

http://mondoweiss.net/2015/08/activists-manufacturers-scottish/

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