Bei Nebenwirkungen lesen Sie das Grundgesetz oder fragen Sie ihr Bundesverfassungsgericht

Debatte zum BVerfG-Urteil Im Zuge des Urteils über den Nachtragshaushalt der Bundesregierung 2021, stellen sich Grundsatzfragen: ist die Schuldenbremse vernünftig und nachhaltig oder hängt sie Irrtümern über das Funktionieren von Volkswirtschaften an?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

"Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen."

Artikel 109 Abs.3 S.1 GG

Im selbigen Artikel des Grundgesetzes wird:

  • die Nettokreditaufnahme des Bundes auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukt beschränkt
  • die Nettokreditaufnahme der Bundesländer und Kommunen gänzlich verboten
  • nur in Ausnahmefällen, wie Naturkatastrophen oder Rezessionen, werden größere antizyklische Kreditaufnahmen erlaubt.

Ich fasse in eigenen Worten zusammen:

  • es wurden (außerhalb von Krisenzeiten) praktisch keine großen Investitionsprojekte mehr erlaubt
  • die Bundesrepublik wurde zentralistischer, da die Bundesländer keine Möglichkeit der eigenen Kreditaufnahme mehr gegeben wurde
  • die Kreditzinsen wurden erhöht, da nur in schweren konjunkturellen Zeiten, wenn die Zinsen steigen und die Kreditgeber mehr für ihr Geld verlangen, größere Kredite erlaubt werden.

Die Schuldenbremse wurde mit folgenden Argumenten 2009 eingeführt und 2011 umgesetzt:

1. Die Zinslast würde sich durch weniger Schulden verringern.

Realpolitisch hätte sich jedoch der Bund durch die 0-Prozent-Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) vor der Corona-Pandemie besonders günstig Geld leihen können.

2. Eine vermehrte Kreditaufnahme führe zu einer Inflation.

Empirisch ist das durch die Beispiele USA und Japan widerlegt, welche beide enorm hohe Staatsschuldenquoten haben, jedoch mit keiner, im internationalen Vergleich, sonderlich hohen Inflation zu kämpfen haben.

3. Eine zu hohe Verschuldung würde kommende Generationen ungerecht stark belasten.

Die Schuldenlast macht nur einen sehr kleinen Teil der Generationengerechtigkeit aus. Wichtiger ist, dass die Chancen der zukünftigen Generation durch fehlende Investitionen in Infrastrukur und Transformationsprozesse nicht verbaut werden darf. Zukunftsinvestitionen sind wichtiger, als eine hohe Schuldenlast, da letzteres keine dirkekten Auswirkungen auf individuelle Chancen hat.

Mit der Schuldenbremse wurde im negative Sinne auf die Wirtschaftkrise 08/09 reagiert und die reaktive Politik mit der Krisenkanzlerin Angela Merkel, die nur noch in Krisen und von Krisen zu Krisen Politik gemacht hat, geschaffen. Eine ähnliche negative Antwort, wie die US-Amerikaner, auf die Wirtschafts- und Bankenkrise hatte, als das oberste Gericht dort 2010 und 2014 Wahlkampfspenden als Meinungsäußerung deklarierte, und so der rechtspopulistische Strömung in den USA nahezu unbegrenzte finanzielle Mittel einräumte, was im Endprodukt zur Präsidentschaft von Donald Trump 2017 und dem Sturm auf das Kapitol 2021 führte.

Am 15.11.2023 hat nun das Bundesverfassungsgericht ein erster Urteil zu Schuldenbremse gefällt und die 60 Milliarden, die Ende 2022 nachträglich vom Krisenfonds der Coronapandemie in einen Klima- und Transformationsfonds umgeleitet wurden, als grundgesetzwidrig abgeurteilt. Die Konservativen um den Oppostionsführer und Hauptkläger Union fordern nun Kürzungen in empfindlichen Bereichen des gesellschaftlichen Miteinanders, statt die Irrtümer der Schuldenbremse zu sehen. Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung eine Änderung des Artikels 109 Abs.3 GG in Angriff nimmt, auch wenn dies zu einer Regierungskrise, aufgrund einer Regierungsbeteiligung der FDP, führen würde. Die Folgen von Kürzungen des Haushalts würden den sozialen Frieden gefährden und größere Investitionsprojekte, die es jetzt braucht, verhindern und damit ein viel größeres Übel darstellen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden