Don´t fuck with mother earth, bill!

Systemwechsel Vom kapitalistischen Geist, anderen Viren und globalen Zusammenhängen.

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Was hat der Geldschein mit ‚Mutter Erde‘ zu tun? Was deine Miete mit Lebensraum und Renditen? Was die ‚schwarze Null‘ mit Ferkelhaltung und Coronavirus?

„Die Tiere können nichts dafür“, schreibt Sonja Shah in der Le Monde diplomatique vom März zur Frage nach dem Ursprung des Coronavirus, der dem Kontakt mit infizierten Fledermäusen zugeschrieben wird. Und weiter: „Obwohl immer wieder Wildtiere als Ursprung zerstörerischer Epidemien dargestellt werden,1 ist die Annahme falsch, sie seien besonders häufig mit todbringenden Erregern infiziert, die jederzeit auf den Menschen überspringen können. Tatsächlich lebt der größte Teil der Mikroben in den Wildtieren, ohne ihnen im Geringsten zu schaden. Das Problem liegt woanders: Durch die immer massivere Abholzung der Wälder und die wachsende Urbanisierung haben wir diesen Mikroben Wege eröffnet, den menschlichen Körper zu erreichen und sich entsprechend anzupassen.“

Ist damit jeder Städter und jede Holzfällerin das Problem? Ein Rückblick zu vergangenen Epi- und Pandemien, wie der Vogelgrippe oder der Schweinegrippe, die u.a. mit extensiver Massentierhaltung in Verbindung gebracht werden, weist auf andere Schuldige hin. Sind es nicht vielmehr ungeschehene Taten, wie die einer Landwirtschaftsministerin der CDU, die beim Verbot von Kükenschreddern auf Zeit und Technologie statt ethischen Regeln und Tierschutz setzt? Ist es sinnvoll sich bei Schweinehaltung bzw. Tierwohl auf die Freiwilligkeit des Marktes zu verlassen, dem auch die Verantwortung für eine freiwillige Einführung von zucker- und fettärmeren Produkten für alle übertragen wird? Ist nicht eher ein System zur Verantwortung zu ziehen, das einen Inlandsflug billiger erscheinen lässt, als eine Bahnfahrt über Land und in dem ein Verkehrsminister die ihm zur Verwaltung überlassenen Straßen an private AkteurInnen und somit deren Eigeninteresse überlassen wollte? Ein System, das die verborgenen Kosten für einen Turnschuh ebenso in einen weniger geschützten Raum ausgelagert hat, wie dessen Produktion, aber bei möglichen Gewinneinbußen als erstes nach einem (Miet-)Schuldenerlass schreit?

Auf der Seite des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung liest man, z.B. zum „Tierwohlkennzeichen“, viel von Mehrwert, Markt und Anreiz, alles positiv konnotiert und freiwillig. Im „Agraratlas“ (2019) vom BUND erfährt man dagegen, wie sehr in der EU durch massive Agrarsubventionen diejenigen profitieren, die ohnehin schon profitieren, weil die Marktmacht auch marktextern durch staatliche Regulierungen beeinflusst wird. Die großen Betriebe wachsen und die kleinen geben auf. Klöckner und Co. wirken hier bewusst schwach und harmoniebedürftig, während sie etwa in Fragen der Migration und der ‚inneren Sicherheit‘ auf Härte und Regeln setzen – oder auf Spargel. Nicht-Regulierungen in der (Land-)Wirtschaft, wirken sich auf die Betroffenen ebenso aus, wie Zuschüsse, die sich an Quantität statt an Qualität orientieren. Die Betroffenen könnten so derselben Logik folgen, wie ihre politischen RepräsentantInnen. Nämlich der des Wachstums, der Profitmaximierung. Diese hat jedoch ihren Preis, für alle, und sei es in mikrobischer Form.

Die Arbeit von PolitikerInnen ist im Idealfall das ethisch wohlüberlegte Entscheiden für uns, wo wir dies nicht können, mit dem Ziel die systemische Veränderung hin zum Wohle Aller zu bewegen (was auch das Wohl der Tiere und Pflanzen miteinschließen sollte, da es unauflöslich mit dem menschlichen verwoben ist, wie wir erneut schmerzlich sehen). Dies kann der oder die Einzelne, quasi nebenberuflich, nicht immer leisten, er oder sie kann nicht alle Bedingungen ihrer Arbeit und ihres Konsums bedenken, geschweige denn in die grundsätzliche Veränderung dieser Rahmenbedingungen eingreifen. Die Wahl von ‚bio‘ im Supermarkt bricht nicht unbedingt mit der Produktionsweise des Supermarktes und seiner PartnerInnen und ebenso wenig nimmt sie den PolitikerInnen richtungsweisende Entscheidungen in einer solchen Debatte ab. Was nicht heißt, dass man sich nicht für einen entsprechenden Wandel einsetzen kann. Aber wenn diese genuine Aufgabe der EntscheidungsträgerInnen von Berufs wegen, den PolitikerInnen nicht wahrgenommen werden will, müssen sie unter Druck gesetzt werden, dann muss der Wandel „von unten“ kommen und d.h. gemeinsam von denen, die er betrifft.

Problematisch ist hier eine Vorstellung von Wirtschaft, die schon viel zu lange alle möglichen Entscheidungsmomente und Gesetzgebungen dominiert hat. Kapitalismus strebt unaufhörlich nach Wachstum. Er kennt kein Gleichgewicht. Er schafft hierarchische Abhängigkeiten, von Land zu Land, von Stadt zu Land und von Lohnabhängigen zu ihren Chefs. Er schafft Freiheit nur zu einem gewissen Preis und nicht um der Freiheit Willen. Er ist nicht wirtschaftlich nach dem eigentlichen Sinn, in dem die Versorgung eines Haushalts gemeint ist, welche wir aktuell wieder in einem anderen Licht sehen können. Diese kann nicht in einem unendlichen Wachstum aufgehen. Denn das gliche einem Virus, einem Krebsgeschwür.

Problematisch ist auch, dass globale Organisationen, wie die WHO vom selben Virus infiziert sind, wie die Politik. Trump reduziert die WHO-Beiträge und stellt ein Programm ein, das gerade die vorsorgliche Bekämpfung von Epidemien ermöglicht hatte (vgl. Shah ebd.). Zeitgleich wächst der Einfluss privater Spender und damit immer auch von deren Interessen (vgl.: Deutschlandfunk: Was gesund ist bestimmt Bill Gates). Dabei sind diese Interessen nicht immer schlecht, Bill Gates etwa möchte man vielleicht nicht die edle Absicht abstreiten, der Menschheit helfen zu wollen. Das Problem liegt jedoch tiefer. Nicht die Spende der Summen ist das Problem. Deren Existenz in zwei bzw. vier Händen ist es.

Warum können Bill und Melinda Gates in ihren wenigen Lebensjahren überhaupt einen solch immensen Reichtum anhäufen – von Fleiß und Erfindungsreichtum abgesehen? Im italienischen Fernsehen wird während den Nachrichten eingeblendet, dass Jeff Bezos 100 Millionen Euro spenden wolle. Aber hallen darin nicht auch die Stimmen der unterbezahlten PaketbotInnen oder der Konkurs der lokalen Buchhandlung wider? Noch konkreter: Laut finanzen.net nahm er wohl krisenbedingt 1,8 Milliarden Dollar in zwei Tagen durch Aktienverkäufe ein. Und so kann man sich auch fragen, ob ein Gatessches Vermögen, das Coca-Cola-Aktien im Wert von 500 Millionen hält, sich für eine bessere Gesundheit einsetzen wird, auch wenn dies einen Wertverlust für ebenjenes Zuckerwunder bedeuten würde? Oder entspringt dieses Geld nicht eher aus extrem ungesunden und ungerechten Weisen des Denkens, der Ernährung und des Wirtschaftens, denen auch Frau Klöckner bisweilen zu erliegen scheint? Wie kommen Adidas oder H&M, die als Unternehmen wahrscheinlich wie alle auf Zulieferung angewiesenen Großunternehmen von einem der Krise geopferten, nicht angewandten Lieferkettenschutzgesetztes profitieren, dazu in ihrer Überheblichkeit die Miete nicht bezahlen zu wollen? Häuser denen die drin wohnen, ja, aber nicht denen die bisher Milliarden darin umgesetzt haben.

Das Problem ist eine Politik, die den Kapitalismus als Herrschaftsform verinnerlicht hat, eine Firmenpolitik, die keine Visionen hat wie es auch anders gehen könnte. Dass die ‚schwarze Null‘ auch ein magisch-rationaler Fetisch ist, den Schäuble an Scholz weitergab ist momentan mehr als deutlich. Man kann nicht von den Regulierungen einer produktiven EU profitieren und ihr bei Problemen die nötige Hilfe verwehren – Stichwort Reziprozität. Was für Menschen, Wälder und Tiere gilt, gilt auch für Bündnisse zwischen Ländern. Einseitige Ausbeutung rächt sich.

Und wenn wir schon dabei sind: Die kapitalistische Logik durchbrechen heißt auch, dass man nicht nur ein festes Grundeinkommen für alle ermöglichen könnte, sondern etwas anderes, das diese Einkommen obsolet macht. Denn was helfen 1000 Euro, wenn die Miete auf 800 Euro steigt, um die Krise für die Besitzenden abzufedern? Güter und Dienstleistungen, die allen nützen, die auch alle verdienen (Gesundheit, Bildung, Wohnen, ÖPNV etc.), müssten vom monetären Wert befreit und als Gemeingut zur Verfügung gestellt werden, so wie die Parks, die Seen und – trotz Scheuer – die Straßen auch denen zugänglich sind, die keinen Euro mehr für diesen Monat haben. Denn so wie manche die Polizei in Anspruch nehmen (während andere unter ihr Leiden) ohne danach zu fragen, ob sie ihr Guthaben für dieses Recht vielleicht nicht schon mit dem letzten Verkehrsunfall aufgebraucht haben, so sollte man auch selbstverständlich zur Ärztin und danach in die eigenen vier Wände gehen können. So wie die Kosten der ‚ökologischen Kollateralschäden‘ selten mit den Produkten der großen Firmen verrechnet werden, wird auch der positive Anteil der Gesellschaft am (kollektiven) Wissen und der materiellen Vorarbeit ignoriert, aufgrund derer die Erfindung, Herstellung und der globale Siegeszug eines Computers möglich sind. Wenn die Politik solche Zusammenhänge nicht herstellen, geschweige denn beeinflussen kann, ist ihr Nutzen für die Vielen fraglich. Die sollten sich danach fragen, was sie selbst tun können, wie sie Politik und damit die Welt gestalten wollen. Eine begrenzte Welt, die nicht exponentiell wachsen kann.

Dabei heißt nicht, dass die Einzelnen die Schuld für das bisherige Versagen trifft (abgesehen von klaren Fällen, wie bei Andreas Scheuer). Die Städter, die gerne dort leben, leben nicht automatisch auf Kosten der Umwelt dort. Sie kaufen vielleicht Billigfleisch, weil die teure Monatskarte eben sein muss. Die BäuerInnen auf dem Land sind nicht automatisch blind für Fragen des Umweltschutzes oder des Tierwohls, sie haben vielleicht eher gelernt sich an den Verteilungsmechanismen der EU-Gelder zu orientieren, anstatt am Jahresrhythmus einer symbiotischen, nachhaltigen Ökologie. Es heißt aber auch nicht, dass der oder die Einzelne frei von Schuld ist, frei von der Macht etwas zu tun. Es bedeutet, dass genau hingeschaut werden muss, wer welche Entscheidungen in der Politik und in der Gesellschaft allgemein trifft, dass der oder die Einzelne auch gegen die dominante Logik verstoßen kann und sollte, in der Hoffnung, dass andere es ihm oder ihr gleichtun. Die Solidarität mit den Schwachen, den Schweinen und den Schattengewächsen muss ansteckend werden. Nur so gibt es Heilung. Don´t fuck with mother earth, könnte die neue Entscheidungsgrundlage sein, die wir brauchen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

S.Peng

Severin Penger, Kultur- und Sozialanthropologe

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