Von „Climate change is more real than your wife’s orgasm” zum Acid-Kommunismus?

Klima-Protest Über das Potential und die bittere Notwendigkeit von FFF als Protestkultur

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„Climate change is more real than your wife’s orgasm“ lese ich auf einem kleinen Plakat einer sehr jungen, selbstbewussten Frau im „Jugendblock“. Dieser ist Teil einer großen, bunten Demo der Fridays For Future an einem sonnigen Freitag in der sonst so sauber durchgentrifizierten, wenig anstößigen Münchener Innenstadt. Trotz des Namens dieses, mir neuen Blocks seien aber „auch andere Generationen willkommen“, wie es inkludierend heißt. Zentral sei hier die Verbindung von Klima-Protest mit Sozialem. Der provokante Plakat-Spruch einer modisch an die 1990er erinnernden, protestierenden Frau sitzt. Weil er unter die Gürtellinie geht und gleichzeitig zeigt, dass der drohende Untergang der Menschheit tatsächlich noch immer (!) solche Sprüche braucht, um politisch wahr- bzw. ernstgenommen zu werden. Obwohl Europa, ja die Welt bereits brennt. Diese vermeintliche politische Ohnmacht, die viele fühlen, könnte man auch mit einer gläsernen Decke oder mit Mark Fishers capitalist realism vergleichen. Bloß dass der kapitalistische Realismus – wie der durch Suizid verstorbene, britische Theoretiker des Neoliberalismus, alias k-punk, zu zeigen versuchte – hier keinen Aufstieg innerhalb des Systems verhindert, sondern gar die Entwicklung von Alternativen, von anderen Lebensweisen selbst.

Doch diese Decke, so meine Hoffnung, bekommt neue, zusätzliche Risse durch diesen Protest und eine Generation, die nicht auf sich selbst bezogen bleiben will. Und so kann man(n) viel von ihm und ‚dieser Jugend‘ lernen. Obgleich er – beinahe entgegen seinem zentralen Slogan vom „system change“ noch zaghaft an manchen systemischen Fragen kaut.

Auf der Höhe des Brandhorst-Museums, schaut eine Mitarbeiterin interessiert aus dem Fenster. Zwei junge Freund*innen gehen vorbei, auf einer Tasche lese ich in Glitzerschrift: „Trans-Women are Women“. Wie für viele andere Teilnehmer*innen spielen starre Grenzen hier keine große Rolle, sie sind selbstverständlich fluide. Manche politischen Fragen stellen sich also hier nicht wirklich oder sie werden souverän von dieser neueren, ästhetischen Protestkultur beantwortet – während andere Fragen noch im Werden sind. Die Musik wechselt zwischen Gute-Laune- und Protestmusik hin und her, ist aber meist doch beides. Rio Reisers „Der Traum ist aus“ wird leider weitergeklickt, wahrscheinlich zu ernst, zu angestaubt für den Anfang. Ansonsten dominieren K.I.Z. mit „Hurra die Welt geht unter“, Kraftklub mit „3 Schüsse in die Luft“ oder die Antilopen Gang die akustische Atmosphäre. Sogar ein alter Anti-Nazi-Hit der Ärzte erschallt laut vor der Bayerischen Staatsbibliothek.

Der so sympathische wie zaghafte Redner wiederholt vorsichtig seine Rede, die er vom Smartphone abliest, um die Lücke zwischen den Songs zu füllen. Die Zustimmung ist da, aber noch verhalten, obwohl oder weil er doch kein Profi-Politiker ist. Und doch traut er sich hier viel mehr als diese. Er schlägt vor: Übergewinnsteuer, Preisdeckel bei Energie, Mietenstopp, Förderungen für Studierende und Geringverdienende, raus aus der Kohle – das sind zentrale Forderungen, die im Rahmen einer unkreativen bis untätigen Realpolitik einer Ampelkoalition zwar revolutionär klingen mögen, aber eigentlich der Grundkonsens einer heutigen parlamentarischen (Sozial-)Demokratie sein müssten.

Es wird staatliches und sogar ‚unternehmerisches‘ Handeln gefordert, ein regulierendes Eingreifen, das die Lage entschärfen soll – anstatt aufzuzeigen, dass uns gerade dieses nationale, unternehmerische Staats- und Machtdenken seit Jahrhunderten tiefer in die multiplen, aber zusammenhängenden Krisen treibt. Zwar wird indirekt das perverse, aktuelle Ausmaß des Kapitalismus in Frage gestellt, denn er soll stark reguliert werden. Aber es wird nicht die Entmachtung der regierenden Parteien und Klassen, nicht eine völlige Neuorientierung der Wirtschafts-, Beziehungs- und politischen Organisationsweisen gefordert, wie sie unweigerlich notwendig werden wird, wenn wir alle überleben wollen.

Dennoch trägt die kurze Rede dieses Potential in sich: Dem Verwalten der autoritären Partei-Politik werden (noch) unbefugte, demokratische Stimmen gegenübergestellt. Das ist der – hier durch Musik begleitete – Schrei der Unzufriedenen, der den Ausgangspunkt jeglicher Politik bildet. Die Forderungen sind als konkreter Vorschlag gedacht, „den wir vorbringen müssen“, „weil die Politiker*innen nicht handeln“. Hier schwingt noch immer Überraschung mit, dass auch diese Regierung nicht viel anders ist als die vorherige. Ihnen wird nicht die grundsätzliche Legitimität abgesprochen, aber sie werden kurzerhand daran erinnert, dass sie eben nicht vier Jahre tun und lassen können, was sie wollen. Sondern dass ihnen auf die Finger geschaut wird. Und dass man auch kein parteipolitischer oder berufstätiger Thinktank sein muss, um überhaupt mitreden zu können. Außerdem setzen sich hier bereits andere Muster als die der patriarchalen, klassistischen und sozial ausgrenzenden Söder-Bierzeltkultur durch, die keine besseren Sündenböcke zu kennen scheint als ‚Arbeitslose‘. Während gerade Gier und Wachstum à la Elon Musk den Kollaps weiter anheizen. Zentral für einen anti-kapitalistischen Kampf ums (bessere) Leben muss also der um Zeit sein.

Die heutigen Vorschläge sind keine eitlen, ausgearbeiteten Programme, die es einmalig anzunehmen oder abzulehnen braucht, um die Karriere der Berufspolitiker*innen mit politischem Leben und dem Anschein von Tatkraft zu füllen, sondern die Forderung geht darüber hinaus: Wir wollen dauerhaft mitbestimmen! Die Zeit der Profi-Politiker*innen tickt. Das sind die Risse im (Staats-)Kapitalismus, die cracks von denen der in Mexiko lehrende, unorthodoxe Marxist und Aktivist John Holloway spricht und die überall auf der Welt und in allen Bereichen des Lebens verbunden werden müssen. Das heißt das provokative Schild dieser jungen Frau im Jugendblock muss auch ein Schild gegen den Ayatollah im Iran sein. Denn das Kapital ist Holloway zufolge eine Beziehungsform und kann so jederzeit auch ent-tan, undone, werden.

Und genau das macht der Jugendblock vor. Er hat zwar keine strengen Dogmen, theoretische Grabenkriege, die manchmal auch Klarheit über Protestformen, Lösungsansätze, neue Modelle etc. mit sich bringen können, aber eben zur Unattraktivität von vielen kommunistischen oder sozialistischen Gruppen führen kann. Der Jugendblock ist inklusiv und fragt, ob es „auch allen gut geht“, freut sich „dass alle dabei sind“, erinnert daran „Wasser zu trinken“. Das könnte man als politische Unreife abtun. Aber es ist eben wichtig, ob man auch gerne mitmarschiert, ob man sich willkommen fühlt, ob der oder die Sprecher*innen fertige Schein-Lösungen liefern sollen oder lieber einen gemeinsamen Anfang machen, zuhören und handeln wollen. Damit setzt der Jugendblock um, was die von Holloway oft zitierten, mexikanischen Zapatistas vorleben: „Fragend schreiten wir voran“! Denn wenn der Jugendblock der FFF vieles noch nicht ist, also potentiell offen bleibt, so ist er bereits vieles und das auf sehr stabile Weise. Er ist klar anti-rassistisch. Er ist anti-klassistisch. Er ist anti-extraktivistisch. Er ist anti-ageistisch. Er ist anti-homo und anti-trans-feindlich.

Auf der Ludwigstraße sieht man dann beinahe die ganze Größe des Protests. Kleine Kinder laufen spielend neben Anti-Atom-Rentner*innen und tanzenden Schüler*innen. Die Polizei hält sich glücklicherweise dauerhaft zurück – anders al beim Anti-G-7-Protest, wo anscheinend unter dem Vorwand, einen gesuchten ‚Schwarzfahrer‘ aus dem Block herausgreifen zu können massive, einseitige (Staats-)Gewalt eingesetzt wurde. Wahrscheinlich um damit den ganzen Protest zu delegitimieren und durch Gewalt in die ‚gewalttägige Ecke‘ zu drängen – oder einfach die eigenen, teuer antrainierten Gewaltphantasien auszuleben. Denn was bei vielen Berichterstattungen gerne ignoriert wird: Auch die Institution Polizei ist eine politische, mit einer eigenen, machtzentrierten Agenda. Dass das bei diesem Klima-Protest zu weit gehen würde, scheint sie zu wissen. Dennoch laufen neben den bemüht freundlich wirkenden Fahrradpolizist*innen auch die martialischen Steroid-USKler rum und man fragt sich, ob der hier gewährte Frieden auch hält, wenn sich das Macht-System tatsächlich grundsätzlich ändern muss. Die politisch motivierten, juristischen Strafaktionen gegen die Proteste der Münchener IAA vor kurzem verheißen anderes (SZ vom 07.09.22). Aber vielleicht haben manche Einsatzkräfte ja auch eigene Kinder, die ihr autoritäres Verhalten in Frage stellen oder gar selbst für das Klima mitmarschieren?

Der Vorwand jemanden wegen früher einmal fehlendem Fahrschein zu verfolgen, würde durch den hier geforderten und so wichtigen kostenlosen ÖPNV auf jeden Fall schon mal ein (Pseudo-)Problem lösen. Ansonsten müssen vielleicht in Zukunft auch zwei zukunftsorientierte Blöcke voneinander lernen: der Schwarze und der Jugendblock. Als schwarz-bunte Solidarität, die eine Art ‚Acid-Kommunismus‘ ermöglicht, wie sie Fisher vorschwebte. Dieser ist Provokation und Versprechen zugleich, eine mögliche Fusion, von Klassenbewusstsein mit einer sozialistisch-feministischen ‚Erhebung des Bewusstseins‘ und einer Ästhetisierung des Alltagslebens, die sich gegen die Lohnarbeit auf die Freiheit richtet. Damit eine inklusive, internationalistische, anti-hierarchische, anti-kapitalistische und klimafreundliche Welt erkämpft wird, in der wir nicht nur länger, sondern auch besser leben können als jetzt. Fragend schreiten wir voran. Oder wie ein anderer Slogan der FFF lautete: „We are unstoppable – another world is possible“! Denn die Risse im kapitalistischen System sind da. Wir müssen sie nur erweitern.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

S.Peng

Severin Penger, Kultur- und Sozialanthropologe

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