Anklam ist arm an Bourgeoisie

Bühne Das Theater Anklam zeigt das Künstlerpaar „Frida Kahlo und Diego Rivera“. Er: dick, ein Riese, sie: klein, zart, zierlich. Bedrückende Szenen einer sich bäumenden Kranken

Das Theater ist klein. Der große Frank Castorf hat sich hier seine Sporen verdient, nichts erinnert daran. Anklam ist nach über 20 Jahren Wegkloppen der Kleinindustrie und Entvölkerung nun gänzlich Provinz. Neonazis krauchen herum.

Abends ist es wie in allen Kleinstädten des Nordostens zappenduster. Immerhin Licht auf dem menschenlosen Marktplatz. Auch das Haus der Städtischen Bühne hat Licht. Etwas Trübes. Man spart Strom. Anklams Theater-Etat dürfte knapper als knapp sein. Das Angebot verrät es. Es ist passgerecht, auf die Dürftigkeit der allgemeinen Lebensverhältnisse bezogen, die der sinnlichen Aufmöbelung bedürfen.

Bissige Experimente, politisch orientiert wie zu Castorfs Zeiten, finden nicht statt. Die Bühne spielt für die Leute hierorts, was natürlich richtig ist und genauso einseitig und falsch sein kann, für Kind und Kegel, für Mutti und Vati und für die Arbeitslosen mit und ohne Hund, wenn die einen Kulturpass haben. Ob auch für ein Bürgertum? Komme doch ein Bourgeois mal vorbei und überzeuge sich.

Übelste Verbalinjurien

Angesagt ist Zerstreuung. Komödien genießen den Vorzug (Der letzte der feurigen Liebhaber, Der Streit, Die Olsenbande dreht durch), Kinderstücke (Der Teufel mit den drei goldenen Haaren), Märchenadaptionen (Zank und Streit im Märchenwald), gelegentlich Kabarett. Das Haus der Vorpommerschen Landesbühne, so der präzise Name des Theaters mit den zwei Spielstätten (die andere ist die „Blechbüchse“ in Zinnowitz nahe der dortigen Schauspielschule), liegt an einer Straßenkurve.

Nebenan fällt das Restaurant ins Auge, das geschlossen hat, wenn unter der Rubrik „Bühne Buffet“ Künstlerinnen und Künstler porträtiert werden, in Kleinstbesetzung. Da dürfen dann allenfalls 30 Besucher rein (Eintritt 25 Euro). Am Wochenende hatte dort Frida Kahlo und Diego Rivera Premiere. Nicht als Stück, wohl aber in einer Version, die Sprechradio und Video vermischte.

Ort: eine Zimmerecke, eng, mit Tisch, Mikro, PC, Videowand und einer großen als Diego Tequila getarnten Flasche Wasser mit zwei Gläsern. Es roch nach Küche und den schalen Schwaden des Abendmahls, das zuvor im selben Raum stattfand. Verstreut allerlei Utensilien, die auf das berühmte Künstlerpaar aus Mexiko hindeuten. Bildbände mit Werken und Texten der beiden. Nicht fehlen durfte Frida Kahlos Kochbuch, das vor Jahren erschienen ist. Man muss Geduld mitbringen. Erst das Essen. Hernach lange Pause. Als Mann mit wenig Zeit, der was sehen will, wird man unruhig, auch etwas knurrig.

Auftritt zu späterer Stunde. Zu dem ist eigentlich nicht viel zu sagen. Die Biografien des Paares passieren Revue. Die Sprecher Anna-Maria-Gesine Schreiber und Torsten Schemmel geben ihr Bestes. Und sie geben über 90 Minuten ein erstaunlich umfassendes Bild des Künstlerpaares, das ungleicher nicht sein konnte. Diego: dick, ein Riese, Schöpfer monumentaler Fresken, Vertilger von Frauen, Kommunist, Trotzkist (er nahm den Verfolgten auf). Frida: klein, zart, zierlich, von körperlichen Leiden lebenslang geplagt, ihr ganzes Selbst mitsamt den auch seelischen Qualen in ihre Bilder legend, Kommunistin, Stalinistin, mit Trotzki kurze Zeit verbandelt.

Filmausschnitte mit den beiden Darstellern zeigen bedrückende Szenen einer sich bäumenden Kranken, ihren ehelichen Widerpart als verständnislosen Wüstling, übelste Verbalinjurien. Tolle Leistung der Schreiber und des Schemmel, diesen langen Abend voller Intensität und Einfühlungsvermögen durchgesprochen zu haben.

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