Die lächerliche Finsternis

Theater Das Hörstück nach "Francis Ford Conrads Herz der Apokalypse" von Wolfram Lotz inszeniert Daniela Löffler an den Kammerspielen des DT als Reigen kurioser Situationen.

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Realität oder Fiktion, das ist die Frage, die politisch denkende Theatermacher derzeit umtreibt. Während Rimini Protokoll die reale Welt in den fiktionalen Raum des Theater holen, greifen Theaterautoren wie Wolfram Lotz mit Mitteln der ins Absurde getriebenen Fiktion die Realität an. „Das Theater ist der Ort, wo Wirklichkeit und Fiktion aufeinandertreffen, und es ist also der Ort, wo beides seine Fassung verliert in einer heiligen Kollision.“ Für Lotz sind Theaterstücke Anleitungen für die Wirklichkeit. In seiner „Rede für das unmögliche Theater“ plädiert er für das Theater als Ort, „an dem Fiktion in Wirklichkeit umgesetzt wird.“

Das Verhältnis von Wirklichkeit und Möglichkeit ist daher wieder besonders interessant für das Theater. Wird der Zuschauer im HAU 2 beim Video-Stück Situation Rooms von Rimini Protokoll als in einer Installation fiktiv handelnde Person in reale Zusammenhänge verstrickt, denen er sich nicht, ohne das Spiel bewusst zu verlassen, entziehen kann, bringt Wolfram Lotz in seinem Hörspiel Die lächerliche Finternissdie als real empfundene Welt des Zuschauers mit seinem fiktiven Text in Unordnung, um Realität neu verhandeln zu können. Wobei Regisseurin Daniela Löffler am Deutschen Theater dieser Verunsicherung die entsprechenden Bilder entgegenzusetzen versucht. Ein Unterfangen, das in beiden Fällen fast zwangsläufig zu Wahrnehmungsproblemen führen sollte.

Dass irgendwie alles mit allem verbunden ist, weiß man spätestens seit der Chaosforschung oder den rhizomatischen Denk- und Weltbeschreibungsmodellen der Postmoderne. Festgefügte Begriffe wie Logos, Ursprung, Wahrheit und Vernunft lösen sich auf und beginnen zu gleiten. Nichts hat Anfang und Ende. Früher sprach man mit Heraklit: „Alles fließt.“, oder besser: „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.“ Nur, dass die Einheit aller Dinge, wie Heraklit sie noch sah, heute einen ontologischen Knacks bekommen hat.

Foto DT-Schaukasten

http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2014/12/Die-l%C3%A4cherliche-Finsternis_DT-Schaukasten-3.jpgDas Rhizomatische an Wolfram Lotz‘ Geschichte ist, dass sie wie Rimini Protokolls Situation Rooms Zusammenhänge sichtbar machen will. Nur das Lotz dazu in die Trickkiste greift und zwei bereits aufeinander beruhende Fiktionen miteinander verschränkt, indem er sie gleichzeitig in unsere Gegenwart holt. Im Untertitel nennt der Autor seine Bezüge. Das Hörspiel Die lächerliche Finsternis nach Francis Ford Conrads Herz der Apokalypse fußt auf dem Afrika-Roman Das Herz der Finsternis von Joseph Conrad und dem Vietnamfilm-Klassiker Apokalypse Now von Francis Ford Coppola.

Die Neuadaption von Lotz versetzt das Geschehen nach Afghanistan an den Hindukusch, in der Annahme, so die Annäherung an die Vorlagen, dass dieser ein Fluss sei. Zwei Bundeswehrsoldaten, der Hauptfeldwebel Oliver Pellner und der Unteroffizier Stefan Dorsch, fahren mit einem Boot in den Dschungel Afghanistans, auf der Suche nach dem abtrünnigen Oberstleutnant Deutinger, der mehrere Soldaten im Wahn getötet hat. Das Wasser ist dabei das alles verbindende Element, wie auch der Transportweg aus der sicher geglaubten westlichen Zivilisation in die Irre der Finsternis aus wirtschaftlichen Verflechtungen und Kriegen. Kein Tablet weist hier den Weg zurück in die Realität. Aus dieser Verunsicherung wird eine ganz neue Realität erschaffen.

Lotz macht trotz bissiger Satire und jeder Menge surreal komischer Momente schon im Prolog des somalischen Piraten klar, dass es ihm durchaus auch ernst ist. Meist mit angeklebtem Schnurrbart darf Kathleen Morgeneyer hier alle übrigen männlichen Rollen verkörpern, u.a. eben auch die des Somaliers Ultimo Michael Pussis, der sich wegen des durch westliche Fischereiflotten leergefischten Meers vor Somalias Küste mit seinem Freund Tofdau als diplomierter Pirat verdingen muss. Morgeneyer setzt dabei vor dem geschlossenen Eisernen Vorhang ganz in schwarz ohne das übliche Blackface zu einer recht poetischen, in ruhigem Ton vorgetragenen Verteidigungsrede vor einem Hamburger Strafgericht an.

Dagegen werden dann Hauptfeldwebel Pellner (Alexander Khuon) als desinteressierter Zyniker und Unteroffizier Dorsch (Moritz Grove) als anscheinend zu kurz gekommenen Ossi, der seine einzige Aufstiegschance bei der Bundeswehr sieht, vorgestellt. Pellner behandelt den verzweifelt um Anerkennung Ringenden stets von oben herab. Die Spielszenen mit den Beiden sind geprägt durch Slapstick mit einem Radio, das als einziges Requisit noch an den Ursprung des Stücks als Hörspiel erinnert. Die Feldverpflegung besteht ausschließlich aus Bananen, aus Plastikflaschen klatscht man sich Wasser unter die Achseln und an die Brust. Besonders schweißtreibend ist das Unterfangen der beiden die meiste Zeit auf einer Art in Kunststofffolie eingepacktem Floß schwebenden Soldaten aber eher nicht. Die lyrische Metapher des Flusses in die Finsternis geht im Klamauk unter.

Immer wieder kreuzen skurrile Typen die Fahrt der Soldaten. Es begegnen ihnen italienische Blauhelmsoldaten, die Coltan abbauende Einheimische (zu dem Thema hatte Roland Schimmelpfennig schon am Deutschen Schauspielhaus Hamburg ein poetisches Rührstück in den afrikanischen Bühnensand gesetzt) beaufsichtigen. Man isst Pizza und wirft den unzivilisierten „Eingeborenen“ (hier uns Zuschauern) ein paar Brocken zu. Ein in einer Aluminiumkiste vorbeischwimmender Händler vom Kriegsschauplatz Balkan bietet mitten im Dschungel den üblichen Ramsch der Zivilisation an und geht dafür mit dem Unglück seiner Familie hausieren. Ein lüsterner Missionar lässt sich über den Islam aus und kultiviert Wilde. Ein sprechender Papagei sagt die bittere Wahrheit als antrainiertes Kunststück und im Gleichnis vom Lippenbär und dem Mädchen Paya spiegelt sich der westliche Sextourismus. Die Statisterie des DT bietet dafür noch ein paar stramme UNO-Blauhelme auf und engelsgleich umherhuschende Wilde mit goldigem Lametta-Haar.

Im Großen und Ganzen karikiert Lotz hier die Klischees des in der westlichen Welt sozialisierten wie zivilisierten Kleinbürgers über das ihm Unbekannte, das zu erklären er aber nie müde wird. Während Dorsch noch um etwas Anteilnahme bemüht ist, versucht Pellner sichere Distanz zu wahren. Die Figuren verstrickten sich hier eher beiläufig in lächerliche Situationen. In allzu große Zweifel werden sie dabei aber kaum gestürzt. Dass am Ende der Abtrünnige Deutinger doch noch in der Gestalt von Kathleen Morgeneyer im kleinen Schwarzen auftaucht und Pellner sich die Bühne mit dem auf dem Meeresgrund dahergelaufenen Tofdau teilen muss, spielt da eigentlich nur eine kurios numerische Nebenrolle. Der Irsinn des Krieges als arithmetische Gleichung mit mehreren Unbekannten.

Es ist schon so schwierig mit dem Stück, aber fast unmöglich mit der Inszenierung von Daniela Löffler klar zu kommen. Am besten ist da noch das Bühnenbild von Claudia Kalinski. Es geht mit diesem kleinen Wolken/Wellen-Schiffchen solange rauf und runter, bis alles zerfließt, was uns als sicher erscheint und nichts mehr da ist, was es zu verhandeln gäbe. Da kommt Regisseurin Daniela Löffler, die schon so verschiedene Gegenwartsstücke wie Das Ding von Philipp Löhle oder Rebekka Kricheldorfs Alltag & Ekstase auf die Bühne gebracht hat, der Intension des Autors schon sehr nahe. Eine absurde Überhöhung der Realität, die uns eh nur aus Medien-Bildern bekannt ist.

Leider ist in der Inszenierung auch nichts wirklich lächerlich Finsteres zu sehen, außer der Lächerlichkeit unserer Welt selbst. Und die ist ja wohl auch ohne dem meist ziemlich finster. Vielleicht ist das ja die Absicht des Autors. Nur wird das in der Inszenierung nicht wirklich deutlich. Lotz will absurd sein und mischt Fiktion mit der Wirklichkeit, wobei beides trotzdem immer klar erkennbar bleibt. Daraus macht Löffler hilflose Maskerade und Farce. Die beabsichtige Verunsicherung bleibt aus und es wirkt alles eher uninteressant. Das ist dann eben leider genau das "Pimmelschwäne-Theater", von dem Lotz in seiner Rede zum unmöglichen Theater spricht.

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Die lächerliche Finsternis (21.12.2014)
von Wolfram Lotz
Regie: Daniela Löffner, Ausstattung: Claudia Kalinski, Musik/ Sounddesign: Sebastian Purfürst, Licht: Marco Schwerle, Dramaturgie: Ulrich Beck.
Mit: Alexander Khuon, Moritz Grove, Kathleen Morgeneyer, Andy Kubiak, Patrick Sommer, Marof Yaghoubi.

Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

Premiere in den Kammerspielen des Deutschen Theaters war am 14.12.2014

Termine: 03., 10. und 23.01.2015

Infos: www.deutschestheater.de

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock