Je suis Jeanne d’Arc

Premierenkritik Mikaël Serre dekonstruiert am Maxim Gorki Theater Berlin frei nach Friedrich Schillers Drama den nationalen Mythos der Jungfrau von Orleans

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Was bedeutet uns eigentlich heute noch Die Jungfrau von Orleans, diese romantisch pathetische Tragödie, die Friedrich Schiller 1801 unter dem Einfluss der Kantischen Pflichtethik und des Strebens nach einem deutschen Nationalstaat schrieb? Ein Zeichen von Anmut, Würde und Erhabenheit sicher nicht. Aktualität bekommt das Drama aber gerade wieder in Hinblick auf ein neu erwachendes deutsches Nationalgefühl, das allerdings eher als dumpfer patriotischer Nationalismus daherkommt als Reaktion auf die vielen Flüchtlinge, die sich momentan auf dem Weg nach Europa befinden. Rechte Kräfte wie Pegida oder die AfD schüren dabei kräftig bestehende Ängste und Ressentiments gegen alles Fremde.

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In Frankreich, der Heimat der Nationalheldin Jeanne d’Arc, sieht es da nicht viel besser aus. In Folge von islamistischen Terroranschlägen in Paris, denen im letzten Jahr elf Redaktionsmitglieder des Satiremagazin Charlie Hebdo und am 13. November diesen Jahres sogar 130 Menschen zum Opfer fielen, rückt die Republik immer weiter nach rechts außen. Patriotische Sammlungsbewegung ist hier vor allem der von Marine Le Pen geführte Front National. Hatte Schiller den Nationalismus seiner Jungfrau noch ethisch-moralisch legitimiert, nutzt der Front National geschickt den Mythos um das fromme Bauernmädchen Agnes Sorel, das um 1430 im Hundertjährigen Krieg gegen England dem Dauphin und späteren König Karl VII. zum Sieg verhalf, um die Einheit Frankreichs gegen den Islam zu beschwören. Und das neuerdings nicht nur in einem christlich-katholischen Sinn, sondern auch unter der Beibehaltung des in Frankreich üblichen Laizismus, der Trennung von Kirche und Staat.

Nachdem sich Sebastian Nübling am Maxim Gorki Theater mit den Nibelungen bereits den deutschesten aller deutschen Stoffe vorgenommen hat, seziert Mikaël Serre mit Je suis Jeanne d’Arc nun die nationale Lichtgestalt Frankreichs. Seine Schauspieler tragen zunächst noch historische Kostüme, und die Bühne von Nina Wetzel ist ganz kathedralenähnlicher Raum mit Leuchtstoffröhrenkreuz an der Rückwand, über die ein Schäferidyll mit Engelserscheinungen flimmert. Jedoch obwohl das französische Ritter-Trio (bestehend aus Falilou Seck als Roi Charles, Afram Tafreshian als La Hire und Till Wonka als Bâtard Dunois) am Anfang noch etwas ungelenk echten Schiller spricht, ist dem französischen Regisseur nicht unbedingt nach einem „Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude!“ Aus ihren Gedanken um das bedrohte Frankreich reißt sie unsanft Aleksandar Radenković (im Spielzettel als Bourgogne geführt), der in einer Nonsenstirade von Charles über Charlie Hebdo bis Charlie Brown verfällt, den kulturellen Genozid beschwört und nach trockenem Burgunder verlangt.

Was folgt, ist eine gnadenlose Dekonstruktion von Schillers edlen Zielen der Aufklärung, von Menschlichkeit und Empathie und natürlich dem Mythos der Heiligen Jungfrau. Radenković gibt hier den arabischen Sohn, vergessen und verrottet in den Pariser Banlieues. Per Kickbox bläut er den anderen seine wütenden Statements ein. Die französische Aufklärung, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen wollte, hat an den Kindern der Vorstädte versagt. Anschauliches Beispiel dafür ist auch der gerade im Kino gestartete Cannes-Sieger Wunder und Dämonen, der von diesen verkommenen und gewalttätigen Parallelwelten Frankreichs aus dem Blickwinkel eines tamilischen Bürgerkriegsflüchtlings erzählt.

Als endlich die Jungfrau (Marina Frenk) selbst zur 80er-Jahre-Hymne Maid Of Orleans von der Synthiepop-Band OMD in Erscheinung tritt, spricht sie wie in Rage. „Mich treibt die Götterstimme.“ oder „Tödlich ist‘s der Jungfrau zu begegnen.“ Der Jungfrauenkult treibt im Video seine Blüten bei Aufmärschen mit französischer Flagge, und man tanzt mit Schweinekopf- oder Marine-Le-Pen-Maske. Aber obwohl die Inszenierung sich doch hier so ziemlich in einigen Albernheiten wie Jungfrauentest, rassistischen Witzchen und einer Kindergeburtstags-Krönung verliert, bekommt sie doch immer wieder die Kurve hin zu erschreckend klaren Aussagen. Serre verschneidet sein ziemlich dürftiges Schillerfragment mit Zitaten von François Hollande, Stalin, Marine Le Pen und französischen Philosophen von links bis ganz rechts. Ihnen allen ist eines gemein: der nationale Zusammenhalt.

Und wie sich in Frankreich kaum noch links von rechts unterscheiden lässt, wird ein vermeintlich französisches Lied Avancer, Avencer zum islamischen Hymnus: Vorwärts, mit dem Schwert in der Hand. Letztendlich verweigert sich hier die Jungfrau aber dem Männer-Gruppenbild mit Fahne und zieht lieber nach Kobane zu den kämpfenden kurdischen Frauen. Warum man, um den Deutschen das verständlich zu machen, unbedingt den alten Schiller bemühen muss, bleibt allerdings recht fraglich. Insgesamt ist das aber eine Inszenierung, die sich popkulturell ganz gut ins Gorki-Programm einfügt

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Zuerst erschienen am 18.12.2015 auf Kultura-Extra.

Je suis Jeanne d’Arc
frei nach Die Jungfrau von Orleans von Friedrich Schiller
Regie: Mikaël Serre
Bühne und Kostüme: Nina Wetzel
Musik: Nils Ostendorf
Video: Sébastien Dupouey
Dramaturgie: Holger Kuhla, Daniel Richter
Mit: Aleksandar Radenković, Falilou Seck, Aram Tafreshian, Marina Frenk, Till Wonka

Premiere war am 17.12.2015 im Maxim Gorki Theater

Termine: 27.12.2015 / 08. und 14.01.2016

Infos: http://www.gorki.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

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