Lauschangriff 18/03

Kolumne Früher, als ich noch schlechter zuhören konnte, weil ich von absolut nichts eine Ahnung hatte, kam sie mir wie delikates Geklimper vor, die ...

Früher, als ich noch schlechter zuhören konnte, weil ich von absolut nichts eine Ahnung hatte, kam sie mir wie delikates Geklimper vor, die Klaviermusik Claude Debussys; wenn ich meinen assoziativen Tag hatte, sah ich bunte Wasserschäume vor Augen, die strömten und prickelten, glitzerten und perlten. Im Konzertsaal, wenn jemand Gutes einen von Debussys Klavierzyklen spielte, konnte es mir passieren, dass ich mich nach einer Weile in der Bar des Hotel Abgrund wähnte, vor mir ein dämmersatter Bordeaux, um mich herum, zu Füßen des Barpianisten, lauter Endzeittrunkene. Nicht übel für den Anfang. Nur auf Dauer zu wenig.

Irgend wann machten mir dann kluge Menschen klar, wie dumm es eigentlich ist, Debussys Musik, nur weil sich in ihr all das verflüssigt und verflüchtigt, was vor Debussy nach strengen Regeln schöne Melodien und markante Rhythmen gebildet hatte, in eine Schublade zu packen. Man nennt sie üblicherweise Impressionismus, weil sie musikalisch den selben Auflösungsprozess von Flächen und Konturen in ihre nur mehr wissenschaftlich fassbaren Bestandteile beschreibt wie die Malerei gleichen Namens.

Normalerweise ist die Analogie zur Malerei eine feine Sache und hilft weiter, wenn man sich kein Bild machen kann von einer Musik, die bis dato fremd und schräg im Ohr lag. Eine Ahnung von der Idee hinter Arnold Schönbergs Zwölftonkompositionen mag sich beim Anschauen von Kandinskys Bildern einstellen, den gegenstandslosen versteht sich, die ungefähr zur selben Zeit entstanden wie Schönbergs erste Werke jenseits herkömmlicher Tonalität. Beim Versuch der Zusammenstellung von solchen Paarungen kommt man auf gute Gedanken; zum Beispiel den, dass die Engführung von Malerei und Musik für die Renaissance schon mal nicht funktioniert, weil die Entwicklung erst mit Ende des 18. Jahrhunderts einigermaßen parallel verlief (Sebastian Bach und Watteau passen nicht nur der verschiedenen nationalen Ausprägungen des sogenannten Barock nicht zusammen). Über das Paar Mozart/Goya wäre indes so fruchtbar nachzudenken wie - vielleicht noch stimmiger - über Paarungenvorschläge wie Brahms/Courbet oder Mahler/Klimt.

Mit Debussy allerdings stimmt die Sache so lange nicht, wie man ihm einen der landläufigen Impressionisten beigesellt, etwa Monet oder gar Renoir. Die wurden zwar auch ausgelacht von den Dumpfbacken ihrer Zeit. Sie trugen dennoch, die sogenannten Divisionisten (Seurat) einmal ausgenommen, nicht viel zum Kunstfortschritt ihres Metiers bei. Um die Fortschrittsträchtigkeit Debussys zu veranschaulichen, müsste man mindestens die Bilder Cezannes aufbieten, der indes nicht recht passt, weil er im Vergleich zu Debussy bewusst auf Qualitäten wie Eleganz und Höchstverfeinerung der Mittel verzichtete.

Allerdings, wie bei Cezanne beginnt bei Debussy mit dem Zusichkommen des Materials die Moderne. Das Kunstwerk bedarf nicht länger des äußeren Anlasses einer sichtbaren oder gedachten Welt. Debussy oder Cezanne, die genau diese Welt auf höchst reizvolle Weise ästhetisch neu erschaffen, fügen ihr damit zugleich ein autonomes Stück Kunst hinzu.

Wenn also Pierre-Laurent Aimard (Douze Études+Images pour Piano; Warner Classics) das debussysche Strömen und Perlen pianistisch unvergleichlich kristallklar zu formen versteht, dann provozieren Akkorde und Harmonien, Tonketten und Linien zwar assoziative Reflexe. Aber wie die Äpfel auf den Bildern Cezannes, die unverderblich sind, weil sie nicht mehr den Gesetzen der Natur unterliegen, sondern nur mehr denen der Kunst, bilden Debussys Formen keine Kadenzen und Tonarten mehr, sie scheinen sich oft sogar dem Prozess der Zeitlichkeit zu entziehen und gehorchen nur mehr Gesetzen, die nur ihnen selbst innewohnen.

Der finnische Dirigent Jukka-Pekka Saraste weiß den Genuss dieses flüchtigen Kosmos´ detto dialektisch zu steigern, indem er ihm mittels wohl organisierten Orchesterklangs feste Strukturen verleiht (La Mer+Image pour orchestre+Prélude a l´apres midi+Jeux u.a.; EMI/Virgin Classics). Beide Platten zusammen verschaffen auf hoch gespanntem Niveau einen vorzüglichen Überblick übers Werk dieses leisen und bescheidenen Vorbereiters musikalischer Zukunft.

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