Johannette. Der Vorname hat etwas Biedermeierliches: Aber vielleicht klingt das nur in deutschen Ohren so. Vielleicht hat auch die Art, wie Johannette Zomer Schubertlieder singt, nichts damit zu tun, dass die Holländerin, bevor sie Gesang studierte, Mikrobiologin war.
Ihre Stimme klingt mädchenhaft, sie hat die „manierliche“ Empfindsamkeit der Schubertzeit. Was immer dahinter steckt: Wer nicht gerade komplett abwesend oder ratlos verhärtet ist, muss ihr zuhören. Die Stimme will nicht imponieren; Zomer dosiert ihr Vibrato fast gefährlich sparsam, es entsteht Raum für Vermutungen. Nirgends ist Glätte, überall Charakter. Wenn sie Goethes Mignon-Lieder vorträgt, weiß nicht nur, wer die Sehnsucht kennt, was der Mensch leidet, der da spricht. Auch wer sich dem Stimmklang, den Farben öffnet, mit denen Zomer die Mignon-Lieder belebt, meint etwas zu ahnen von der Einsamkeit und romantischen Zerrissenheit im Zeitgefühl der Epoche. Eine Ahnung davon, wie seltsam aktuell dieses Gefühl ist, vermittelt Schuberts Kunst.
Vieles erscheint unüblich auf dieser CD: Die Auswahl, gegliedert durch kurze Instrumentalstücke Schuberts, beschränkt sich auf Goethe und drei Vertonungen von Gedichten Walter Scotts. Der Hammerflügel, selbst an Stellen, wo sich die Begleitung extrem heftig gibt, deckt die Stimme nie zu.
Ein kostbarer Fund: Ellens erster Gesang. Zomer inszeniert ihn in der uralten Volkskunst-Dialektik von Wiegen- und Antikriegslied. Ellens dritter Gesang, Scotts romantische Paraphrase des Ave Maria, erscheint durch Zomer erfrischt in einer Art vokaler Entkatholisierung. Schuberts Begleitung in aufgelösten Dreiklängen wirkt da wie die witzige Konfrontation weiblichen Keuschseins mit – männlicher – Dreifaltigkeit.
Eine andere, nicht minder beeindruckende Form von Besonderheit gibt die Sopranistin Christine Schäfer allem mit, was sie künstlerisch treibt. Auf ihrer aktuellen CD wird sie dabei, statt von den Tasten eines Flügels, von den viermal vier Saiten des Petersen Quartetts begleitet.
In der Verbindung von Streichquartett und Vokalstimme liegt offenbar die Idee dieser CD. Erstmals in der Musikgeschichte hat Arnold Schönberg im dritten und vierten Satz seines 2. Streichquartetts den Streichern einen Sopran hinzugefügt. Alban Berg schrieb, motiviert durch eine unglückliche Liebesaffäre, einen Text aus Charles Baudelaires Blumen des Bösen unter die Noten des Largo desolato seiner instrumentalen Lyrischen Suite, den der amerikanische Komponist George Perle später als Gesangsstimme einrichtete. Einzig Anton Weberns spätromantisches Frühwerk Langsamer Satz für Streichquartett hat Gesang, ohne dass die Menschenstimme erklingt.
So kühl und schön, filigran gearbeitet und dramatisch avanciert wie Schönbergs berühmter Satz Ich fühle Luft von anderem Planeten flippt sonst wohl kaum eine Musik in emotionale wie kompositorische Exaltationen aus. Wobei Christine Schäfers Kunst das scheinbar Widrige integriert. Die Perfektion ihres Vibrato besteht in seiner Natürlichkeit, in der Geschmeidigkeit, mit der sie es dem anpasst, wovon sie musikalisch jeweils spricht. Sie widerlegt die verbreitete Ansicht, die Schönberg-Schule habe, einem Beethovenwort folgend, nur „mit dem Verstand gehört werden“ wollen. Schönberg und seine Jünger waren, unbeschadet der extremen Klarheit in ihren Köpfen, allesamt Expressivo-Musiker par excellence.
Franz SchubertKennst du das Land? Johanette Zomer, Artur Schoonderwoerd; ALPHA/note1 044 Arnold Schönberg Streichquartett Nr. 2, strong>Anton Webern
Langsamer SatzAlban BergDie geheime Gesangsstimme
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