Gerechtigkeit neu denken

Politische Philosophie Anerkennung und Umverteilung müssen konsequent zusammen gedacht werden laut der Philosophin Nancy Fraser. Dies sollte die deutsche Linke ernst nehmen.

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Wenn man sich wirklich um Gerechtigkeit schert dann muss man Umverteilung und Anerkennung zusammen denken sagt die amerikanische Philosophin Nancy Fraser. Es erscheint zunächst einmal logisch Anerkennung und Umverteilung gegenüberzustellen.

In der Verteilungstheorie geht es um soziökonomische materielle Ungleichheiten während es in der Anerkennungstheorie um soziokulturelle immaterielle Ungerechtigkeiten geht. Die Idealtypen der Benachteiligten unterscheiden sich auch bei beiden Theoriesträngen, so geht man in der Verteilungstheorie eher von Klassen im Marxschen Sinne und in der Anerkennungstheorie eher von Weberschen Statusgruppen aus. Ein weiterer Unterscheidungspunkt liegt im Verhältnis zu Gruppendifferenzen, also den Unterschieden zwischen verschiedenen sozialen Gruppen. Während die Verteilungstheorie diese möglichst beseitigen möchte, geht es in der Anerkennungstheorie ja um eine Anerkennung dieser Differenzen, also letztendlich um die Stärkung dieser.

Die Frage, die sich nach dieser dichotomen Gegenüberstellung Fraser stellt, ist inwieweit soziale Gruppen unter Anerkennungs- und Umverteilungsproblemen gleichzeitig leiden. Hierzu wird der Begriff des sozialen Geschlechts betrachtet. So ist in der liberalkapitalistischen Gesellschaft das Geschlecht das Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen bezahlter und nicht bezahlter Arbeit. Außerdem gibt es vorwiegend soziale Berufe in denen überproportional Frauen arbeiten, die aber jedoch deutlich schlechter bezahlt werden als „klassische Männerberufe“. Somit weißt das Geschlecht klassenähnliche Merkmale auf. Es gibt jedoch zusätzlich noch in der Statushierarchie begründete Ungerechtigkeiten welche das Geschlecht betreffen. Maskuline Werte werden gesellschaftlich überprivilegiert dies lässt sich nicht mit herkömmlichen Umverteilungsmechanismen bekämpfen. Es benötigt vielmehr eine Dekonstruktion des Geschlechterbegriffes und den damit vorherrschenden Werteschemata. Die Ungerechtigkeiten die Frauen wiederfahren lassen sich also nur in Kombination von Anerkennungs- und Umverteilungsmechanismen beseitigen. Eine weitere soziale Gruppe die man nur zweidimensional Erfassen kann sind Migranten. Es gibt ökonomische Ungerechtigkeiten, da Migranten deutlich häufiger schlechter bezahlte Hilfsarbeiten ausführen und über Anerkennungsungerechtigkeiten braucht man in Zeiten eines von Rechtspopulisten geschürten Islamhasses nicht zu reden. Auch Arbeiter also an sich die klassische soziale Gruppe der Verteilungstheorie sind zweidimensional zu betrachten. Die ökonomischen Ungerechtigkeiten müssen nicht erläutert werden, es gibt zusätzlich aber auch Ungerechtigkeiten, die den Status betreffen. Arbeiter werden gesellschaftlich stigmatisiert und von daher muss auch hier mit Anerkennungsgerechtigkeit gearbeitet werden.

Es lässt sich also feststellen, dass Anerkennung und Umverteilung sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern, dass sie sich sogar gegenseitig bedingen, wenn es darum geht Gerechtigkeit ernsthaft zu denken. Das muss auch anhand von immer wieder aufkommenden Debatten in linken Parteien bedacht werden. Gerechtigkeit bedeutet nicht nur Umverteilung und es ist schon gar nicht förderlich Anerkennungspolitik dem unterzuordnen oder um den rechten Stimmen abzujagen, diese Anerkennungsungerechtigkeiten weiter zu befeuern

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Geschrieben von

Stefan Söhngen

Student der Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte, Mitglied in der Partei Die LINKE

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