Einseitig?

AUSSTELLUNG Betrifft »Aktion 3« - Deutsche verwerten jüdische Nachbarn

Das Projekt verfolge »keinen genuin wissenschaftlichen Zweck, sondern eine einseitige und so nicht akzeptable Aufklärungsabsicht«, fasste Susann Morgner vom Präsidialamt der Humboldt-Universität zu Berlin das dreiseitige Gutachten der Expertengruppe unter der Leitung von Professor Ludolf Herbst zusammen. Das Absageschreiben vom 29. Februar 2000 an den Veranstalter liegt dem Freitag vor. Es ist ein nicht überraschender Skandal.

Paradox, aber die Reaktionen auf die Klemperer-Tagebücher, die Wehrmachtsausstellung und Daniel Goldhagen haben bereits daran gewöhnt, dass massiv abgewehrt wird, wer den Blick auf das lenkt, was vor Au- sch- witz lag: »eliminatorischer« Antisemitismus (Goldhagen) - und Bereicherungslust. Die Ausstellung, der die Humboldt-Universität ihr Foyer nicht zur Verfügung stellen will, zeigt die vielfache Gier auf den Besitz deportierter Juden - und sie nennt Namen.

Von der Villa bis zur Zahl der Schlüpfer listeten Finanzbeamte allen Besitz auf und versteigerten ihn dann billig zugunsten des Fiskus. So hatten beide etwas davon: der Staat und die Bevölkerung. Clever kalkuliert, um sich trotz Bombenangriffen auf deutsche Städte die Anhängerschar zu erhalten. Der Vorgang wurde von den Nazis transparent gestaltet. Jeder wusste, dass es um jüdischen Besitz ging. Die einfachste Art des Widerstands wurde nicht genutzt: die Versteigerungen zu boykottieren. Sondern gierig gingen die Volksgenossen auf Schnäppchenjagd.

Der Politikwissenschaftler Wolfgang Dreßen, Leiter der Arbeitsstelle für Neonazismus an der Fachhochschule Düsseldorf, entwickelte die Ausstellung - und schwärzte in den gezeigten Dokumenten keine Namen. Ohnehin ist die Veröffentlichung der Dokumente illegal. Denn die Belege und Akten der Enteignung, die in Finanzämtern der Bundesrepublik, Österreichs und der Schweiz lagern, wurden erst für 30 Jahre, und dann 1988 - mit dem wenig plausiblen Verweis auf das Steuergeheimnis - auf 80 Jahre für die Öffentlichkeit gesperrt.

Möglich wurden Dreßens, zu Beginn auf Köln begrenzte und inzwischen ausgeweitete Recherchen erst auf Druck der grünen Bundestagsfraktion. Gegenwind kommt seither vom (Entschädigungsklagen fürchtenden?) Bundesfinanzministerium, der Nachfolgeaufsicht der zugunsten des Fiskus versteigernden Finanzämter. Die »Wiedergutmachung« lag oft wieder in den Händen desselben Finanzbeamten, der wenige Jahre zuvor die Enteignung verantwortet hatte. In Köln forderte die Oberfinanzdirektion vom Oberbürgermeister, die Ausstellung Ende 1999 zu verbieten. Auch aus den Kommunen, in denen die Ausstellung gezeigt werden soll, kommt Gegenwehr. Denn die Gier des einen oder anderen Verwandten wird dokumentiert. Klebrig sind die Schreiben der braven Familienväter, die ein frei werdendes Haus kaufen wollten. Auch die Rolle der peniblen Finanzbeamten, deren Kinder und Enkel noch im Ort leben, soll nicht öffentlich gemacht werden. Deshalb werden Dreßen Ausstellungsorte verwehrt - wegen fehlender Lampen oder weil in der Stadtbibliothek Berlin-Mitte schon so viele Bücher seien, dass man nicht auch noch Dokumente ausstellen wolle.

Aber ein Schriftstück wie das von der Humboldt-Universität ist bisher einzigartig. Die Argumentation erinnert sehr an Peter Gauweilers Feldzug gegen die Wehrmachtsausstellung. Die »Aktion 3« und die »Aktion M« (die Versteigerung jüdischen Besitzes aus eroberten Ländern im Westen) selbst waren »einseitig«. Soll nun eine Komponente »Widerstand« hinzugefügt werden, wie es für die Wehrmachtsausstellung immer gefordert wurde - oder wie will das Gutachterteam den »einseitigen« Charakter der Ausstellung verändert sehen? Würde mit solcher Verfälschung ein »genuin wissenschaftlicher Zweck« verfolgt, wäre dann die Aufklärungsaufsicht »akzeptabel«? Es gibt Anlass zu Mutmaßungen, dass Professor Ludolf Herbst sich weigert, sein dreiseitiges Gutachten der Presse zur Verfügung zu stellen. Ein Wissenschaftler, der seine Erkenntnisse nicht öffentlich machen will. Die Vermutung, dass nicht die Ausstellung, sondern das Gutachten »einseitig« ist und nicht der Aufklärung dient, liegt auf der Hand.

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