Mutig

PLANET DIALECTICS Der Norden als irritierte, aber dominante Fehlentwicklung

Planet Dialectics"* ist der Gegenentwurf zu Paul Kennedys "Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert", die radikale - und zugleich konstruktive - Absage an die Wachstums- und Wohlstandsideologie westlicher Industrienationen. Brachte Kennedy die Nationen an die Startlinie eines Wettrennens, das nur eine Richtung kannte, zeigt Wolfgang Sachs, Wissenschaftler am Wuppertal Institut und zeitweiliger Berater des UN-Entwicklungsprogramms, dieses Rennen im absurden Licht eines Rennens, das zum Abgrund führt. Dabei wissen die "guardians of the growth machine" stets, weshalb sie was tun. Beispielsweise wozu sie statt eines G7-Treffens den Earth Summit von Rio einberiefen, bei dem sie per Rückgriff auf das Bevölkerungswachstum in Entwicklungsländern den Fokus auf sie lenken konnten. Obwohl der einzelne Mensch dort unverhältnismäßig weniger Ressourcenzerstörer ist als ein Amerikaner. Der vielgerühmte Gipfel von Rio - Sachs offenbart ihn als Ablenkungs- und Verzögerungsstrategie.

"Planet Dialectics" ist eine Sammlung aufeinander aufbauender Essays, eine kritische Zivilisationsgeschichte, die Erlebnisse und Beobachtungen auf verschiedenen Kontinenten in Beziehung zueinander setzt, Äußerungen von Slumbewohnern ebenbürtig mit neuester Forschung. Durchgängig ist die Kritik am "new tribe of global ecocrats", Sachs Kollegen-Spezies, die glaubt, allein mit einer Effizienzrevolution könne man die Umweltprobleme "managen". Die Ressourcen- und Schadstoffeinsparungen würden durch die global wachsende Zahl der Konsumenten sofort wettgemacht, das Rennen auf besserem Boden fortgesetzt. An die Stelle des "ökologischen Rucksacks" eines Produkts - den das Wuppertal Institut meist bemüht - tritt bei Sachs das sehr viel politischere Bild des "ökologischen Fußstapfens": Ein Bürger des Nordens verbraucht so viel Ressourcen, dass er wie ein Imperialist auf Land des Südens tritt und es für seine "Bedürfnisse" beansprucht. 90 Prozent unseres Fußes trampelt auf Länder des Südens, legt man die Forderung einer 90prozentigen Ressourcenreduzierung im Norden zugrunde, die der Direktor des UN-Umweltprogramms, Klaus Töpfer, erhebt.

Sachs stellt heilige Kühe wie Entwicklungsidee und Entwicklungshilfe in Frage. Indem sie an Trumans Unterscheidung in entwickelte und unterentwickelte Länder festhalte, hindere sie Menschen in Gujarat oder Zanzibar daran, sich das Recht oder die Freiheit zu nehmen, sich selbst nicht als unterentwickelt, sondern als entwickelt zu klassifizieren, ihre eigene Kultur wertzuschätzen und sie zum Blühen zu bringen.

Fundamental ist Sachs Kritik an der sonst hochgelobten Brundtland-Kommission und ihrem Kompromiss des "sustainable development": Natur werde nur als Reservoir für die Nutzungsinteressen des Menschen gesehen. Die Kommission verharre in der ideologischen Setzung, Wachstum bringe Entwicklung und Entwicklung sei ohne Wachstum nicht erreichbar. Gerechtigkeit innerhalb einer Generation komme zu kurz gegenüber der Gerechtigkeit zwischen den Generationen: An welche Bedürfnisse denke man denn da - an das Recht auf Nahrung oder das Recht auf Flugreisen? Fatal sei die Vorstellung, man könne den Ökokollaps durch bloßes Management abwenden.

Sachs hält Selbstbeschränkung und ein neues, vielfältigeres Wohlstandsmodell für unerlässlich, aber auch für zivilisatorisch-kulturell erstrebenswert. Selbstbeschränkung sei auch die Freiheit, sich einer aufgedrängten Überfülle zu entziehen: mehr Zeitwohlstand, Raum für Kreativität und Vielfalt, für ganzheitlichere Lebenserfahrungen, für Widerstand gegen eine wesentliche Konsequenz der Globalisierung: sprachliche und kulturelle Monokultur der "one world". Sachs kritisiert die Entzauberung der Welt durch die Dialektik der Aufklärung, die den Globus zum satellitenwachten und computergesteuerten Bergwerk machen will, als Selbstüberschätzung. Das Buch ist ein Plädoyer dafür, wieder Kultur hervorzubringen statt bloß Wachstum des Bruttosozialprodukts - ein durchaus genussorientiertes Ziel.

Ob eine deutsche Übersetzung vorbereitet wird, ist noch offen. Das intellektuelle Feuer, der essayistische Stil, die klare Sprache und die einprägsamen Bilder versprechen jedoch auch denen Lesegenuss, die vielleicht seltener englische Bücher rezipieren.

Wolfgang Sachs, Planet Dialectics, Explorations in Environment and Development, Zed Books, London Dezember 1999, 12 Pfund.

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