Ein anderes Deutschland ist möglich

Ehe für Alle Es sind die kleinen Sätze, die manchmal sehr große Wirkungen entfalten. Das spürte zuletzt Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Brigitte Podium.

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Sie wolle die Debatte um die Ehe für Alle „in die Situation führen, dass [sie] eher in Richtung einer Gewissensentscheidung [geht], als dass ich jetzt hier per Mehrheitsentscheidung etwas durchpauke", sagte sie. Damit brachte sie einen Stein ins Rollen, dessen Auswirkung ihr scheinbar nicht bewusst war und nun ein ganzes Land verändert. Die Ereignisse überschlugen sich. Nachdem sich am Montagabend die sozialen Medien mehrheitlich euphorisch zeigten, erwischte es die CDU kalt von der Seite. Diese Situation nutze SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz am Dienstag in der Bundespressekonferenz, um zu verkünden, dass man die Ehe für Alle mit oder ohne CDU-Koalitionspartner noch in dieser Woche (der letzten offiziellen Sitzungswoche des Bundestages) im Parlament zur Abstimmung bringen wird. Der Ankündigung folgten Taten. In ihrer Fraktionssitzung beschloss die SPD, dem Bundesratsantrag zur Öffnung der Ehe des Landes Rheinland-Pfalz zuzustimmen.

Währenddessen gab die CSU ihren Abgeordneten die Abstimmung frei und Volker Kauder sprach vom Vertrauensbruch des SPD-Koalitionspartners. Nur wenige Momente später machten die Onlinemedien auf: „Kanzlerin gibt Abstimmung frei“. Ganz augenscheinlich ein Zustand totaler Lähmung der Unionsfraktion. Nun muss am Mittwoch der Rechtsausschuss des Bundestages den Gesetzentwurf ins Plenum überweisen. Dass sich eine parlamentarische Mehrheit für die Öffnung der Ehe finden wird, gilt als wahrscheinlich und ist längst überfällig.

Noch vor wenigen Tagen machten CDU/CSU und SPD klar, dass sie das für schwule und lesbische Menschen so wichtige Projekt nicht in dieser Wahlperiode beschließen werden und vertagten einen Antrag der Grünen zum 30. Mal, was diese zum Anlass nahmen vor dem Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung über die Abstimmung zu erzwingen. Zunächst erfolglos.

Den Stein ins Rollen brachten zuletzt die Grünen auf ihrem Bundesparteitag in Berlin. Auf Antrag des Bundestagsabgeordneten Volker Beck beschlossen die Grünen, dass die Ehe für Alle eine Grundvoraussetzung für mögliche Koalitionen sei. Wenige Tage ließ auch FDP-Chef Christian Lindner wissen, dass er seiner Partei vorschlägt nur mit diesem Vorhaben in eine Koalition zu gehen.

Doch wollte Merkel, dass die Ehe für Alle noch in dieser Legislaturperiode kommt? Vermutlich nicht. Es ist davon auszugehen, dass sie in ihrer Manier des Abwartens und Draufsetzens Themen der politischen Mitbewerber*innen neutralisieren wollte, um die Konkurrenz kleinzuhalten und das Versprechen nach der Wahl einzulösen. Doch sie verkalkulierte sich. Sie machte Fehler. Aus CDU-Kreisen heißt es dazu, dass sie nicht wusste, dass dem Rechtsausschuss drei fertig beratene Gesetze vorlage, die nur noch ins Plenum des Bundestages überwiesen werden müssen. Ulrich Schulte schrieb zuletzt in der taz, dass man die Risse in Merkels (un)politischer Teflonschicht ausfindig machen muss, um sie zu besiegen. Den linksliberalen Parteien wird dieser Punktsieg hoffentlich gelingen. Es zeigt sich: Merkel ist nicht unfehlbar; ja sie macht Fehler.

Am Donnerstag oder Freitag stimmt der Deutsche Bundestag also über die Ehe für Alle ab. Das Ergebnis wird ein liberaleres, diskriminierungsfreies und familienfreundlicheres Deutschland sein.

Seit gestern spürt man es, es liegt Euphorie in der Luft: Ein anderes Deutschland ist möglich!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Krabbes

Blogger & Speaker zu Digitalisierung & Demokratie.twitter: @stefankrabbes

Stefan Krabbes

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