Widerstand braucht Theorie

Streitraum Michael Hardt hätte gern einen bessere Analogie für die neue Weltordnung gefunden als das Imperium Romanum. In der Berliner Schaubühne diskutierte er mit Carolin Emcke

Kann man mit so jemandem streiten? Michael Hardt ist auf charmante Art zurückgenommen. Sein Vortrag beginnt mit einer Entschuldigung. Toni Negri habe leider nicht kommen können. Und einen derart leidenschaftlichen Vortrag, wie ihn sein italienischer Mitautor üblicherweise bietet, könne er nicht liefern. „Ich bin anders“, sagt Hardt und lächelt dabei. Später bekennt er sich augenzwinkernd zur „lästigen Angewohnheit“, seinem Gegenüber zuzustimmen. Aber wie hat Moderatorin Carolin Emcke einleitend und treffend gesagt? Der „Streitraum“ sei kein „Fight Club“.

Klugerweise setzt die Veranstaltungsreihe an der Berliner Schaubühne nicht auf rhetorischen Krawall. Stattdessen wird hier der konzentrierte Austausch von Argumenten gepflegt. Das beginnt bei der reduzierten Raumgestaltung. Auf der Bühne stehen zwei schlichte Holztische vor schwarzem Hintergrund. Der wohl gefüllte Saal liegt im Halbdunkel, lediglich Hardt und Emcke werden ausgeleuchtet. Die Moderatorin ist gut vorbereitet und führt mit ihren systematischen Fragen in eine offene Diskussion.

Michael Hardt behält sein sympathisches Understatement die gesamten zwei Stunden bei. Er legt erkennbar keinen Wert darauf, dass man in ihm den Professor einer Elite-Universität erkennt. Die Duke University gilt aufgrund ihrer geografischen Lage an der amerikanischen Ostküste als „Harvard des Südens“. Hardt lehrt dort Literatur und Italienisch. Seit Empire, das vor gut zehn Jahren erschienen ist, gilt er obendrein als einer der bekanntesten Philosophen der Welt. Fast möchte man meinen, das amüsiert ihn mehr als es ihm schmeichelt. Sprache und Habitus verraten jedenfalls weniger Standesbewusstsein als Selbstironie.

Er nenne die drei mit Negri verfassten Bücher die „Empire-Trilogie“, sagt Hardt, „weil das mehr nach Science-Fiction klingt“. Tatsächlich wünsche er sich, sie hätten einen besseren Begriff für die neue Weltordnung gefunden als die Analogie zum Imperium Romanum. Wie zutreffend aber die dahinter stehende Beschreibung ist, habe zuletzt der Weltklimagipfel vergangenen Dezember in Kopenhagen gezeigt. Weder können die USA allein die Weltpolitik bestimmen, noch kann es ein neues Blocksystem etwa unter Einbeziehung Chinas. Dazu sei nur jenes Netzwerk ungleicher Kräfte in der Lage, die zusammen das Empire bilden: monarchische Mächte wie die USA, eine Aristokratie aus schwächeren Staaten und Multinationalen Konzernen sowie scheinbar demokratische Mächte wie NGOs. Sie alle haben in Kopenhagen verhandelt, wenn auch erfolglos.

Hardt mag Koautor eines Buches sein, das – wie Common Wealth es fulminant tut – die Konturen einer möglichen anderen Gesellschaft aufzeigt. Er erliegt aber nicht der Versuchung, Losungen auszugeben. Er verzichtet auf jene pathetischen Wendungen, die durch Dämonisierung oder Beschwörung den schnellen Applaus Gleichgesinnter provozieren würden. Lieber lässt er sich beim öffentlichen Denken zusehen.

So entsteht ein angeregter Dialog mit Moderatorin Carolin Emcke. Sie diagnostiziert eine seltsame Ruhe in Europa und Nordamerika. Wo bleibe die Wut angesichts der Krise? Revolten ereignen sich nicht dann, wenn wir es erwarten, entgegnet Hardt. Außerdem sei das Unbehagen doch sichtbar. Italiens immer noch aktive Studierendenbewegung beispielsweise habe schon Ende 2008 skandiert: „Für eure Krise zahlen wir nicht“. Intellektuelle sollten nicht fragen, warum Menschen Widerstand leisten oder wie man sie dazu ermuntern könne. Es gehe darum, diese – nicht zwangsläufig auf Befreiung gerichteten – Revolten zu begreifen.

Zeichnet sich hier eine neue Aufgabe für linke Theoretiker ab? Lange Zeit, so Emcke, sei es vorrangig darum gegangen, menschliches Leiden überhaupt zu thematisieren. Heute sei es medial omnipräsent. Der Widerstand hingegen bleibe oft unsichtbar. Ihn müssen die Theoretiker nun ans Licht bringen. Ja, antwortet Hardt, vielleicht könne man das so sagen.

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