„Wichtig für das richtige Gespür und Verständnis“

Bundestagsabgeordnete Dass sein Augenmerk für Soziales größer ist als bei anderen in der CSU, hat der Abgeordnete Dr. Jonas Geissler seiner Großmutter zu verdanken, einer SPD-Stadträtin. Seit er im Bundestag ist, kam das Thema Menschenrechte für ihn neu dazu.

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Jonas Geissler ist mit sichtlichem Wohlbehagen in die Berliner StäV zum Morgengespräch der Veranstaltungsreihe „bwg sitzungswoche Sprechstunde“ gekommen. „Ein ganz tolles Ambiente“, findet er, so echt Berlin für alle, die sich für Politik interessieren. Da muss Moderatorin Diana Scholl vom Bundesverband Deutsche Berufsförderungswerke (BFW), eine echte Berlinerin, dem Oberfranken doch erst mal widersprechen, dass eine rheinische Kneipe typisch Berlin sei.

Seine Heimat charakterisiert Geissler als von viel Natur und Wandermöglichkeiten, Schlössern, Burgen und Fachwerk geprägt. Als Lieblingsorte nennt er die Festung Rosenberg in Kronach und die Veste Coburg mit ihren reichhaltigen Kunstsammlungen.

Dann will Scholl von ihm wissen, wie es denn so sei mit dem ständigen Pendeln. Das sei für ihn nicht Neues, denn er sei schon jahrelang aus der Vestestadt nach München gependelt, wo er im bayerischen Ministerium für Wohnen, Bau und Verkehr gearbeitet und auch die Social Media der Behörde betreut hat. Deswegen sei auf der Wunschliste für die Ausschussarbeit, die alle Abgeordneten zu Beginn der Wahlperiode ausfüllen, der Verkehrsausschuss ganz oben gestanden. Auf Bitten der Wirtschaft in seinem Wahlkreis wollte er auch gern in den Ausschuss für Klimaschutz und Energie, aber er wurde gebeten, als einziger CSUler in den Menschenrechtsausschuss zu gehen. Eine Thematik, die ihm ganz neu war und in die er sich schnell einarbeiten musste. Denn als einziger CSU-Vertreter muss er bei jedem Tagesordnungspunkt zu diesem Thema für seine Partei ans Rednerpult.

Im Ausschuss für Klimaschutz und Energie ist er nun stellvertretendes Mitglied. Bedingt durch die Heizungsdebatte ist aber auch dort so viel Arbeit auf ihn zugekommen, wie er es sich für einen Stellvertreter nie hätte vorstellen können, berichtet Geissler mit angedeuteter Verzweiflung. Seine gute Laune hat es dem studierten Geschichts- und Politikwissenschaftler aber offenbar nicht verhagelt.

Politisch hat der in einer angeregt diskutierenden Familie Aufgewachsene sich schon früh engagiert. Nach Durschicht der Parteiprogramme trat er in die CSU ein und wurde schon bald in den Coburger Stadtrat gewählt, dem er bis heute angehört. Was der größte Unterschied zwischen Kommunalpolitik un d Bundespolitik sei, wollte Scholl wissen. „In der Kommunalpolitik lehnt man keine guten Anträge ab, nur weil sie von einem anderen kommen“, meinte er lakonisch. In der Bundespolitik lehne man gute Anträge aus anderen Parteien ab, nur um sie wenig später leicht umformuliert selbst einzubringen, ist seine ernüchternde Erfahrung im Parlament im Reichstag. Deshalb fühle er sich auch im Menschenrechtsausschuss so wohl, denn dort gehe es eher pragmatisch zu wie in der Kommunalpolitik.

Wichtige Themen im Wahlkreis? In einem Gebiet, das neben der Natur bei Arbeitsplätzen wesentlich auch von großen Autozulieferern (Brose) und der Coburger HUK, deren Kerngeschäft die Kfz-Versicherung ist, bestimmt wird, stünden die Frage der Entwicklung der Automobilindustrie und der Energiekosten sowie einer womöglich weniger unfallträchtigen Zukunft des autonomen Fahrens vorne an. Autonomes Fahren scheint Geissler besonders zu interessieren. Deshalb möchte er sich darüber in China informieren, wo die Entwicklung schon viel weiter sei als in Deutschland. „Ich bin mal gespannt, ob ich als Mitglied des Ausschusses für Menschenrechte überhaupt einreisen darf“, fügt er grinsend hinzu.

In seinem Wahlkreis findet man ihn auch schon mal nachts als Begleiter einer Polizeistreife, morgens um vier Uhr bei einem Bäcker mit Energiesorgen oder als Hafenpraktikant in Bamberg. „Das ist ganz wichtig für das richtige Gespür und Verständnis.“ Der Ausbau der Mainschifffahrt liegt ihn seither am Herzen, das gesehen hat, wie viele Güter mit besserer CO2-Bilanz auf dem Wasser transportiert werden könnten. „Mehr Politiker in der Praxis wäre gut.“

Politischer Dialog mit Diktaturen müsse sein, auch dem Handel mit diesen Ländern könne man sich nicht völlig entziehen, aber man könne sich breiter aufstellen und wirtschaftlich – und politisch - weniger abhängig werden. Rein touristische Reisen in Diktaturen lehnt er aber ab, Sanktionen bei Krieg und Verletzung der Menschenrechte befürwortet er. Der Angriff auf die Ukraine und die Zukunft in der China-Taiwan- und Uiguren-Frage treibe ihn derzeit am meisten um, gibt er Scholl gegenüber zu. Und man müsse sich anschauen, welche Länder dabei hülfen, Sanktionen zu umgehen, wie unter anderen die Türkei, wo ihn der Wahlausgang sehr frustriert hat. „Vielleicht braucht man ein anderes Sanktions-Monitoring“, aber, so räumt er ein, meist müsse es indes sehr schnell gehen.

Schlussfrage von Scholl: Ein Wunsch? Persönlich alle drei Wochen ein freies Wochenende, politisch Frieden in der Ukraine, antwortet Geissler.

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Die Veranstaltungsreihe „bwg sitzungswoche – Sprechstunde“ ist eine Kooperation von bwg Berliner Wirtschaftsgespräche, sitzungswoche Unabhängiges Netzwerk für Politik, Wirtschaft und Medien, StäV Ständige Vertretung Berlin, Wöllhaf Gruppe und OSI Club mit Unterstützung von Studio Schiffbauerdamm, Landau Media und berlin bubble.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Susanne Stracke-Neumann

Susanne Stracke-Neumann ist freie Journalistin. Für die meko factory berichtet sie über Veranstaltungen.

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