Gibt es eine Zeitenwende in der öffentlichen Kommunikation?

Public Affairs Corona-Lockdowns, digitale Tools, Regierungswechsel und ein Krieg in Europa - hat das zu einer Zeitenwende in der Kommunikation geführt? Eine Umfrage unter PR-Agenturen und Lobbyisten über Wege, ihre Anliegen in die Politik einzubringen.

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Bundeskanzler Olaf Scholz hat nach dem russischen Überfall auf die Ukraine eine „Zeitenwende“ ausgerufen. Gibt es nach den Jahren der Corona-Pandemie mit ihrem „Social Distancing“ und den Lockdowns sowie nach dem unerwarteten Kriegsausbruch in Europa auch eine „Zeitenwende“ in der Öffentlichkeitsarbeit? Das wollte die internationale MSL Group, die sich als „Netzwerk für Public and Influencer Relations für strategische Kommunikation“ begreift, in ihrer 21. Umfrage von Lobbyisten und PR-Profis wissen. Die Ergebnisse stellte die MSL Group am 15. November bei einer Veranstaltung von „Young + Restless“ im Basecamp von Telefónica in Berlin vor: „#Zeitenwende in der Kommunikation?

Die Corona-Zeit hatte massive Auswirkungen auf die Lobbyarbeit. Überwiegend digitale Tools kamen wegen der Ansteckungsvermeidung zum Einsatz. Mehr als vier Fünftel der Befragten erwarten, dass diese digitalen Kontaktaufnahmen auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen werden, darunter auch die Lobbyarbeit auf den Social Media wie Instagram oder Twitter, wobei allerdings Twitter seit der Übernahme durch Elon Musk als Werbeträger gerade einen Vertrauenseinbruch erlebt. Aber das persönliche Treffen steht bei den PR-Leuten wieder unangefochten auf dem ersten Platz ihrer Mittel der Wahl, um die „politischen Stakeholder“ von ihren Anliegen zu überzeugen.

Gute Noten gaben die PR-Agenturen im Befragungszeitraum Juli/August 2022 für ihre Kommunikation zwei Grünen, der Außenministerin Annalena Baerbock und dem Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck, während der Kanzler eher ein schlechtes Zeugnis erhielt. Wie Konstantin Holtkamp und Julia Ebell von MSL im Basecamp erklärten, sahen nur ein Viertel der Befragten eine „Zeitenwende“, was ihre PR-Arbeit betrifft. Gewinner in der Bewertung seit Regierungsantritt waren die Grünen, die Union blieb stabil, die FDP bezeichneten die beiden als „eindeutigen Verlierer“ der Umfrage.

Für den früheren Grünen-Politiker Volker Ratzmann, heute im Dienst des gelben Paketzustellers und weltweiten Logistikunternehmens DHL, hat sich die Kommunikation mit Politiker*innen nicht erst seit Kriegsbeginn im Februar 2022 geändert, sondern schon in der Pandemie. Der Austausch ist nach seiner Beobachtung intensiver geworden, die „Einsicht in die Kooperationsnotwendigkeit größer“. Deutschland habe gegenüber anderen Ländern einen „Nachholbedarf beim Austausch von Politik und Wirtschaft“.

Als multinationales Unternehmen habe man Verantwortung weltweit. „Wir erleben die tiefgreifendste Transformation seit Beginn der Industrialisierung“, sagte Ratzmann und verwies auf den Klimawandel als eine Frage des Überlebens. „Kein großes Unternehmen kommt mehr an dem Thema Nachhaltigkeit vorbei.“ Ob Themen wie Transformation zurzeit nicht „eher auf dem Rücksitz geparkt“ seien, wollte Moderatorin Alice Greschkow, selbst mit digitaler Transformation befasst, von Ratzmann wissen. Dem widersprach Ratzmann: Als weltweites Logistikunternehmen sei man besonders betroffen von Lieferkettenproblemen und Fachkräftemangel: „Multiple Krisen erfordern multiple Handlungsstränge.“

Der sächsische Staatssekretär Conrad Clemens denkt bei der Kommunikation in Corona-Zeiten nicht nur an positive Intensität, sondern auch an Fackelzüge vor Politiker-Häusern. Als „zweischneidig“ bezeichnet er die Kommunikation im Land: Zum einen die Diskussion in Berlin, zum anderen die Menschen „draußen“, die zwar „unmittelbar betroffen“ seien, „aber nur wenig Verständnis für die Berliner Debatten“ hätten. Clemens sieht in Sachsen eine leichte Verschiebung in der Aufmerksamkeit. „Kleinere Themen wie kommunaler Straßenbau rücken in den Hintergrund, aber die großen Themen und multiplen Krisen versuchen wir gemeinsam anzugehen.“

Die Kommunikation der Bundesregierung lobte der CDU-Politiker als „neuen Stil, raus aus den Hinterzimmern“, und kritisierte die Kampagne der „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“, die im Wahlkampf Annalena Baerbock als Moses mit Verbotstafeln als Anzeigen geschaltet hatte, als „schlechten Stil.“ Zur Kommunikation in Sachsen meinte Clemens: „Da hinken wir in Sachsen noch ein bisschen hinterher beim Informationsfreiheitsgesetz und beim Transparenzgesetz.“

Amelie Hipp von MSL begrüßte in der Diskussion „alles, was mehr an Transparenz“ bringt. Natürlich sei es immer „ein Ringen um Aufmerksamkeit“, müsse man immer „gucken, wo der Kunde Anschluss an die politischen Themen findet“. Das neue Lobbyregister beim Bundestag, das per Gesetz im April 2021 eingeführt wurde, befürwortete Hipp, betonte aber, MSL-Beschäftigte hätten auch schon vorher offen gesagt, für wen sie tätig würden. Was sich durch das Lobbyregister verändert habe, müsse man eher die Politker*innen und Verwaltungen fragen, meinte Ratzmann, der fürchtet, dass sich Verwaltungen den Anfragen mehr verschließen könnten. Für die Lobbyisten sei es ein großer bürokratischer Aufwand, der sich jährlich wiederhole. Da seien vielleicht Nachjustierungen nötig.

Die PR-Branche, resümierte Amelie Hipp, müsse in diesen bewegten Zeiten weg von langfristiger Planung, agiler werden und „sich trauen, offener, ehrlicher und lösungsorientierter zu kommunizieren.“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Susanne Stracke-Neumann

Susanne Stracke-Neumann ist freie Journalistin. Für die meko factory berichtet sie über Veranstaltungen.

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