Respekt statt Toleranz

Toleranzwoche Im Vorfeld der ARD Themenwoche geben Vertreter verschiedener Minderheiten Meinungen zum Thema Toleranz ab. Einige sind charakteristisch, andere wirken erstmal verstörend

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Im Vorfeld der ARD Themenwoche "Toleranz" wurden Vertretern diverser Minderheiten in Deutschland die gleichen Fragen zum Thema "Toleranz" gestellt. Dabei haben die Vertreter der Protestanten, Muslime und Juden ganz ausgesprochen charakteristische Antworten gegeben:

Der Pfarrer findet unsere Gesellschaft "sehr tolerant", auch wenn sie bei "arme[n], schmutzige[n], ausgegrenzte[n] oder fremde[n] Menschen" "noch toleranter" sein könnte. Ihm ist aber wichtig, beim Thema Toleranz zwischen Handlungen und Menschen zu unterscheiden. Offenbar will er jedem Menschen tolerant gegenüber sein, aber nicht jeder Handlung. Ein bisschen habe ich das Gefühl, dass er den Begriff "Toleranz" selbst nicht so genau kennt. Auf den Begriff Respekt kommt er nicht zu sprechen, immerhin aber auf den Begriff der Würde, die jeder Mensch hat.

Der Imam hält Toleranz für "die Vorstufe bzw. Voraussetzung für Respekt, Anerkennung und Akzeptanz" , er fordert "mehr Toleranz gegenüber Unterschieden, dem Fremden und gegenüber dem Unbekannten". Er sieht sich unter anderem dann als tolerant an, wenn er es erduldet, dass der Islam aktuell (wegen ISIS und Salafisten) unter Generalverdacht steht.

Für den Rabbiner ist "Toleranz" kein vernünftiges Konzept und er würde es am liebsten gleich durch Respekt ersetzen (also die Zwischenstufe der "Toleranz" ganz weglassen). Er kritisiert, »dass der Tolerierende über dem Tolerierten steht und das die Möglichkeit für einen Dialog eher begrenzt«. Nur in einem Prozess des Respekts seien alle Menschen auf der gleichen Ebene. Er ist (im Gegensatz zum Imam) nicht bereit, zu tolerieren, dass der Islam aktuell (wegen ISIS und Salafisten) unter Generalverdacht steht.

Welche Auffassung ein Mensch zur "Toleranz" hat scheint massiv davon abzuhängen, ob er sich selbst zu den "Tolerierenden", oder den "Tolerierten" zählt oder ob er gar regelmäßig mit Diskriminierung, Ressentiments, Feindseligkeit, etc. konfrontiert ist.

Der Pfarrer ist dabei in der Rolle des privilegierten Teils der Bevölkerung, der nie die Erfahrung gemacht hat, als "Minderheit" gegen seine Unterdrückun kämpfen zu müssen, sondern sich stattdessen als "normativ", "Leitkultur", etc. betrachten kann und dem es deshalb völlig genügt, "anderen" gegenüber nur "tolerant" zu sein, da sie ja trotz (sic!) ihres Andersseins immernoch Menschen mit Herz und Seele sind. Auch wenn dem Pfarrer unbedingt zugute zu halten ist, dass er es "gut meint", so ist doch auch klar, dass eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Toleranz nicht stattgefunden hat.

Der Imam ist in der Rolle einer Minderheit, die zunächst von der "Toleranz" der Gesellschaft profitiert hat und sie deshalb lange nicht zu hinterfragen brauchte, nun aber merkt, dass sich das mit der Toleranz gegenüber einer Minderheit ganz schnell ändern kann (und sei es nur wegen ein paar 1000 gewalttätigen Dummköpfen). Er begreift so langsam, dass es auf Dauer mehr braucht als nur "Toleranz". Nichtsdestotrotz toleriert er aber die an sich intolerable, einseitige Berichterstattung über Muslime und den Islam in den Medien.

Der Rabbiner hingegen wird bereits sein ganzes Leben mit Antisemitismus konfrontiert sein. Er hat längst begriffen, dass "Toleranz" nichts zum Besseren verändert, sondern Ressentiments gegen ihn und Mitglieder anderer Minderheiten im besten Fall für eine gewisse Zeit verdeckt bzw. verschleiert. Entsprechend pfeift er auf diese Maske und setzt stattdessen gleich auf gegenseitigen Respekt‬.

Schließlich hat sich mit Heiner Geißler auch ein Vertreter der konservativen Minderheit in Deutschland zur "Toleranz" geäußert und beim ersten Lesen seiner Definition von "Toleranz" ist mir übel geworden:

Tolerieren heißt, die Last zu ertragen, die eine andere Person, Meinung, Weltanschauung, Religion, Volkszugehörigkeit, Rasse für meine Überzeugung, meine Identität; mein Ehrgefühl, meine Religion bedeutet.

Es lohnt sich aber, noch ein weiteres Mal darüber nachzudenken, denn eigentlich kann man Herrn Geißler für diese klare Antwort nur dankbar sein. Zeigt sie doch wie keine andere Definition, wieso immer mehr Minderheiten es gründlich satt haben, nur "toleriert" zu werden. Denn wie, wenn nicht entwürdigend, muss man es empfinden, wenn man erfährt, dass die eigene, bloße Existenz bereits als "Last" empfunden wird? Und wie wohl kann man sich in einer Gesellschaft fühlen, die einen das auch noch regelmäßig spüren lässt?

Tovia Ben-Chorin hat Recht: Toleranz stellt den Tolerierenden über den Tolerierten und konstruiert damit ein inakzeptables Machtgefälle, das einem Dialog eher abträglich ist. Keiner Minderheit unserer Gesellschaft und auch keinem sich "Mehrheit" nennenden Zusammenschluss aus Minderheiten kann das Recht zugestanden werden, andere Minderheiten nur zu "tolerieren" und sich damit über diese zu stellen.

Anstelle von Toleranz brauchen wir deshalb gegenseitigen Respekt. Und ich möchte hinzufügen: die Bereitschaft zu einer offenen Auseinandersetzung auf Augenhöhe und das ehrliche Bemühen, einander zu verstehen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tekay

Differenziert, nachdenklich und mit klarer Haltung zwischen allen Stühlen.

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