Der Idiotentest: die staatliche Geldmaschine

Alkoholpolitik Eine zu strenge Politik in dieser alkoholisierten Gesellschaft? Nein, wenn die hohen Kosten nicht wären. Eine persönliche Zusammenfassung nach 3 Jahren MPU-Prozess

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Der Idiotentest: die staatliche Geldmaschine

Foto: Brendan Smialowski/AFP/Getty Images

„Auf berufliche und finanzielle Ängste, auf wachsende soziale Ungleichheit und Befürchtung des sozialen Scheiterns, auf zu hoch geschossene eigene Erwartungen mit dem Griff zum Glas zu reagieren könnte nicht normaler sein. In gewisser Hinsicht ist dieses Verhaltensmuster sogar eine Stütze unserer Gesellschaft. Es gehört zum Schmieröl, das die Kapitalismus-Maschine am Laufen hält und uns ihr Knirschen immer wieder überhören lässt. Das Trinken ist die einzige vollumfänglich anerkannte Abschaltstrategie der Stressgesellschaft unserer Tage und als solche wird es aufs Bitterste verteidigt.“
Daniel Schreiber in
"Nüchtern - Über das Trinken und das Glück"

Wenn man selber nicht erwischt wird dann kennt man Freunde oder Bekannte die erwischt wurden. Vor allem in diesen meist versoffenen Studentenkreisen, in denen es „normal“ ist im Vollrausch mit dem Fahrrad nach Hause zu kurven.

Manche haben das Glück (oder auch das Pech) und werden nie erwischt. Ich würde fast behaupten, dass diejenigen, die eine gezwungene und teure Auseinandersetzung mit dem Thema Drogen bitter nötig hätten, dem Ganzen meistens entkommen. Vater Staat ist da nämlich sehr pingelig, vor allem in den Studentenstädten wie Freiburg, Göttingen oder Münster, in denen das Fahrrad das Hauptverkehrsmittel ist. Interessant dabei ist auch, dass es da kaum Unterschiede gibt, ob Fahrrad, Auto oder zu Fuß. Ab einer bestimmten Promillezahl ist jeder dran. Es sei denn man erwischt ausnahmsweise nette Beamte, die ihre Gutmütigkeit an die große Glocke hängen wollen und sagen: „Schieb' dein Rad nach Hause und schlaf' deinen Rausch aus.“

Aber mal ehrlich, eigentlich hat es ein Großteil unserer Bevölkerung nötig. Denn dieser Alkohol ist eine sehr beliebte Gesellschaftsdroge. Sie ist in allen Altersklassen und Schichten zu finden. Wann hast du das letzte Mal getrunken? Vor einer Stunde? Vor einem Tag? Vor einer Woche? Es kommt selten vor, dass man länger grübeln muss, um herauszufinden, wann man das letzte Mal getrunken hat.

Diese ganze MPU-Sache hat nur leider einen Haken, sogar einen ziemlich großen: Der Staat spielt mit unterschiedlichen Regelungen zu Promillegrenzen, weil so die Chance steigt, dass Menschen die auf deutschen Straßen unterwegs sind, erwischt werden. So können deftige Strafen verteilt werden, wie Bonbons auf dem Karnevalsumzug. Eine 0,0% Regelung? Niemals! Da fragt man sich warum? Ganz oder gar nicht. Wäre für jeden Beteiligten eine klare und einfache Sache. Wenn man Fahrer ist, trinkt man nicht einen Tropfen Alkohol und muss nicht überlegen, ob man jetzt noch ein Bier trinken möchte oder nicht. Die Begründung der Verkehrspsychologen lautet da: „Man kann den Menschen ja nicht alles vorschreiben. Sie müssen lernen, sich selbst zu kontrollieren.“ Interessante Argumentation, in einem modernen "Überwachungsstaat", der sich Demokratie nennt.

Wer diese MPU Laufbahn hinter sich gebracht hat (Verkehrspsychologen, Abstinenzprogramme mit Pipi-Proben, MPU, zusätzliche Kurse), weiß, wie es sich anfühlt einen Stempel auf der Stirn zu tragen. Und zwar den Alkoholiker-Stempel: Jeder Anruf, jeder Behördengang, jede Kontoüberweisung sagt einem: Du bist ein Nichts – ein alkoholkrankes Nichts. Und da frage ich mich regelmäßig, wenn ich vor einer/m Sachbearbeiter/in sitze: Na, wie oft und wie viel Alkohol trinkst du eigentlich so pro Woche?

Wären diese unverschämten Preise nicht, könnte man dieses ganze System zum Teil als was Gutes sehen. Denn wenn das der Auslöser für das eigene Reflektieren bezüglich des Alkoholkonsums ist, kann es einem aus diesem Suchtschlamassel raushelfen. So ging es mir. Ich konnte meinen Konsum nicht mehr auf das freie und wilde Studentenleben schieben. Oder die Ausrede benutzen: Wir sind jung, wir müssen das machen, wir dürfen nichts verpassen. Denn eigentlich ist es bei jedem eine Kompensation von Problemen, denen man sich nicht stellen möchte. Nach einem halben Jahr Abstinenzprogramm und dem Vorsatz „kontrolliert“ zu trinken, ging ich also zur MPU. Nur teilbestanden, denn ich sei ja immer noch gefährdet. Meine Zukunft und Freiheit wird also von einer einzigen Person abhängig gemacht, die meint, meine Persönlichkeit und mein Leben innerhalb von 45 Minuten einschätzen zu können. In diesem Fall wird auch wieder die Gutmütigkeit betont. Um seinen Führerschein wiederzubekommen, darf bzw. muss man einen Kurs nach §70 belegen, um seinen eigenen Konsum nochmal zu reflektieren. Der Spaß kostet 480€. Oh!Vielen Dank, dass sie mir noch einmal diese Möglichkeit dazu geben. Was hätte ich nur ohne sie getan!?

Die Verkehrspsychologen in diesem Kurs sind so freundlich und zeigen einem, wie man die Promille berechnen kann, um mögliche alkoholisierte Fahrten zu vermeiden. So eine schwammige Formel ist ja zum Glück nicht völlig individuell, wenn man mal Tagesform, Ernährung und genetische Veranlagung zusätzlich beachtet. Ich, als eine Person, die sich nach dem MPU-Ergebnis aus eigenen Stücken dafür entschieden hatte, mit dem Alkohol für immer Schluss zu machen, fühlte sich in diesem Kurs vorerst ganz schön verarscht. Dann höre ich schon auf zu trinken, nachdem ich mich zu Genüge mit diesem Thema auseinandergesetzt habe und dann nochmal einen Kurs?

Im Nachhinein muss ich gestehen, dass dieser Kurs eine gute Sache war. Allerdings ist das sicher auch abhängig von dem/der jeweiligen Verkehrspsychologen/in, da hatte ich wirklich Glück! Es hat mir noch einmal den letzten Motivationsschub gegeben, mit dem Alkohol für immer Schluss zu machen und man wird ausführlich und ausdifferenziert über die Folgen von Alkohol aufgeklärt. Es herrscht die Schweigepflicht, man kann offen reden und mit der Teilnehmerbescheinigung kann man endlich den Führerschein von der Behörde abholen.

Wie ihr merkt, ein persönliches aber dennoch gesellschaftlich wichtiges Thema, was mit einigen Widersprüchen versehen ist - sowohl auf persönlicher wie auch auf inhaltlicher Ebene. Einerseits macht dieser persönliche MPU-Prozess absolut keinen Spaß, wenn man Kosten und Anstregungen bedenkt. Andererseits kann es einen persönlich wirklich weiterbringen. Einerseits besteht diese irgendwie abusrde, überwachende Geldmaschine MPU. Andererseits ist Deutschland gleichzeitig eines der tolerantesten Länder in Europa oder vielleicht sogar auf der Welt, was den Alkoholkonsum betrifft.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tessa Loniki

B.A. Europäische Ethnologie; Skandinavistik M.A. Interkulturelle Bildung, Migration, Mehrsprachigkeit

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