Die Anwesenheit von Paraguays Präsident Fernando Lugo, Uruguays Staatschef José Mujica und Boliviens Evo Morales bei der Abschlusszeremonie des Forum Social de las Américas am 15. August in Asunción reichte nicht aus, um ein bestimmtes Gefühl zu vertreiben. Es hat etwas damit zu tun, dass sich zwischen den sozialen Bewegungen und den linken Regierungen in Lateinamerika ein Graben auftut. Ein zentrales Thema des Forums war „die Herausforderung des Wandels“. Es führte zu heftigen Debatten zwischen Fürsprechern dieser Regierungen und ihren Kritikern.
Bei mehreren Sessionen des Forums verurteilten die sozialen Aktivisten das Festhalten der progressiven Regierungen an einem ökonomischen Modell, das auf Rohstoffindustrien, besonders aber der Monokultur genetisch veränderter Pflanzen wie Soja und Zuckerrohr (immer mehr für Biotreibstoff genutzt) basiert. Es ging um „Gemeingüter“ wie Wasser und Artenvielfalt, die sich multinationale Unternehmen nach wie vor aneignen, was die Ernährungssouveränität der Bevölkerungen untergräbt.
Anti-Terror-Gesetz
beschlossen
Die besorgniserregende Lage in Haiti sieben Monate nach dem Erdbeben und die Menschenrechtsverletzungen in Honduras ein Jahr nach dem Staatsstreich gegen Präsident Zelaya gerieten angesichts der Enthüllungen paraguayischer Bauern in den Hintergrund. Sie berichteten von alltäglicher Gewalt, der sie im Norden des Landes ausgesetzt sind, einer Region, die das Militär unter dem Vorwand kontrolliert, gegen eine mutmaßliche Guerilla namens EPP (Paraguayanische Volksarmee) zu kämpfen. Ende April verhängte Präsident Lugo in fünf Distrikten für 30 Tage den Notstand. Kurz danach verabschiedete das Parlament ein Anti-Terror-Gesetz, das selbst die Armee als zu weitreichend kritisierte.
So hinterließ das Forum den Eindruck, dass sich die linken Präsidenten beim Volk zwar immer noch großer Beliebtheit erfreuen können, die sozialen Bewegungen jedoch unzufrieden sind und sich von „ihren“ Regierungen zu distanzieren beginnen. Mehrere Führungsfiguren der bolivianischen sozialen Bewegungen, die in Asunción die größte Einzeldelegation stellten, betonten zwar, sie unterstützten noch immer „unseren Bruder Präsident“, doch zugleich verlangen sie, er solle seine Versprechen gegenüber den indigenen Völkern halten.
Vorhandene Grenzen aufgezeigt
Diego Faldin, Vorsitzender der Nichtregierungsorganosation (NGO) Coordinadora de Pueblos Étnicos de Santa Cruz, die vor Monatsfrist einen 35-Tage-Marsch für die Autonomie der Indigenen organisierte, erklärt, wo für ihn der Kernpunkt des Konfliktes liegt: „Wir wollen Selbstbestimmung, wir wollen, dass unsere Bodenschätze von den Indigenen und ihren Gemeinden verwaltet werden und nicht von den kommunalen Behörden.“
Eine neue Generation von Konflikten belastet die Beziehung zwischen den Regierungen und den indigenen Völkern in Venezuela, Bolivien und Ecuador, die ein anderes Entwicklungsmodell anstreben. In Argentinien ist die Soja-Produktion das Hauptproblem. Sie vertreibt Tausende Kleinbauern von ihren Ländereien und drängt sie in städtische Slums oder Bergwerksbetriebe, von denen die Flüsse vergiftet werden. In Brasilien lehnen die in der Landlosen-Bewegung MST organisierten Kleinbauern die Produktion von Zuckerrohr für Biotreibstoff und den Bau gigantischer Wasserkraftwerke ab, den Lulas Regierung unter allen Umständen durchsetzen möchte, um das Land in einen Global Player zu verwandeln.
Solche Konflikte sind unvermeidlich, da die „Regierungen des Wandels“ sich für ein ökonomisches Modell entschieden haben, das jenen ähnelt, die in den neunziger Jahren für eine Welle des Protests gegen den Neoliberalismus sorgten. Keine der Bewegungen schlägt zu diesem Zeitpunkt jedoch den Sturz der Regierungen vor; noch genießen sie großen Rückhalt im Volk. Verbesserte Konjunkturindikatoren und ein gehobener Lebensstandard der Armen sind nicht zu leugnen. Im Moment kommt es nicht zu offenen Konfrontationen, die Vorgänge sind subtiler: Die sozialen Bewegungen haben begonnen, den Regierungen Grenzen aufzuzeigen. Das könnte der Anfang einer neuen Beziehung sein – oder aber eine Rückkehr zu Zeiten der Instabilität.
Der Uruguayer Raúl Zibechi ist Schriftsteller und publiziert regelmäßig über soziale Bewegungen in Lateinamerika
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