Zunächst kamen die Chinesen mit einer Flugzeugladung an Ausrüstung und sechs medizinischen Experten nach Belgrad, um bei Serbiens Corona-Politik zu helfen. Ein emphatischer Präsident Aleksandar Vučić küsste dankbar die chinesische Flagge und kritisierte die EU für mangelnden Beistand. Dann kamen die Russen mit Militärjets, um ebenfalls Hilfsgüter einzufliegen. Dann erst meldeten sich die Europäer und wiesen darauf hin, die ganze Zeit schon da gewesen zu sein und finanziell wesentlich mehr geleistet zu haben als Russland und China zusammen. In Serbien, einem EU-Beitrittsaspiranten, ist deutlich sichtbar, wie sich konkurrierende Virus-Diplomatie überschneidet.
Die EU ist um den Beweis bemüht, dass es sich bei Werten wie Solidarität nicht nur um leere Worte handelt. Sie will dort nachziehen, wo Peking und Moskau vorgelegt haben. Russland setzt im Vergleich zu China bescheidenere Mittel ein, um eine größtmögliche Wirkung zu erzielen, wenn es Konvois mit Hilfsgütern durch Italien fahren lässt oder ein Flugzeug mit medizinischer Ausrüstung in die USA geschickt wird. Was man in New York entlädt, ist teilweise durch mit Sanktionen belegte Firmen hergestellt. Die USA, die sich unter der Trump-Administration vornehmlich mit der Lage im eigenen Land beschäftigen, sind im Spiel der Virus-Diplomatie weitgehend außen vor.
Verärgert über von der Leyen
In Serbien begann alles am 15. März, als Präsident Vučić den Ausnahmezustand ausrief und Ursula von der Leyen als Präsidentin der EU-Kommission in einer Rede am selben Tag offenbar ein Exportverbot medizinischer Güter aus der EU vorzuschlagen schien, was Vučić zur Weißglut brachte. „Bei europäischer Solidarität handelt es sich um ein Märchen. Ich habe mich in einem Brief an die Einzigen gewandt, die helfen können, nämlich an die Chinesen“, erklärte Vučić seinen Landsleuten. Er bat um Vorräte, Ausrüstung und Rat im Kampf gegen die Pandemie – bald darauf landete das erste Flugzeug in Belgrad.
„Sollte sich eine Regierung so verhalten, die stets beteuert, sie tue ihr Möglichstes, in die Europäische Union zu kommen?“, so ein Diplomat der EU mit Sitz in Belgrad. Aber selbst in Spanien und Italien war man über das Fehlen koordinierter europäischer Antworten auf das Virus verärgert. Und von denen, die wie Serbien jenseits der Staatenunion stehen, wurde dies erst recht als Manko empfunden. „Die EU war anfangs etwas ungeschickt. Das passiert ihr häufig, natürlich kann sie nicht so schnell und interventionistisch vorgehen wie China oder Russland“, versucht sich Milena Lazarević vom European Policy Centre in Belgrad an einer Erklärung.
Aber China sprang gern in die Bresche. Dessen Experten beraten inzwischen dem Vernehmen nach die serbische Regierung in Sachen Corona. Im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern folgt das Land dem chinesischen Modell, selbst leichte Erkrankungen in großen Feldhospitälern zu isolieren, statt darauf zu vertrauen, dass sich die Menschen freiwillig in Quarantäne begeben.
Sehr spendabel
Die Chinesen empfahlen auch die in Wuhan praktizierte totale Abriegelung, doch wurde dies in Belgrad mit der Begründung abgelehnt, die serbische Öffentlichkeit werde das nicht akzeptieren. Mittlerweile jedoch gelten strenge Ausgangssperren und die Auflage, dass die über 70-Jährigen permanent zu Hause bleiben müssen.
Seit dem Wutausbruch von Vučić ist die Europäische Union auf den Nachweis bedacht, Serbien nicht vernachlässigt zu haben. Es seien in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehr als 200 Millionen Euro an Zuschüssen und 250 Millionen an Darlehen für Bau und Ausstattung medizinischer Einrichtungen geflossen. Ein von Brüssel finanziertes Labor, das ursprünglich der Qualitätskontrolle von Lebensmitteln dienen sollte, wurde zur Teststation für Corona-Viren umgewidmet. 93 Millionen Euro seien mittelfristig zur Abwehr des Virus zugesagt.
Kurzum, es wird zu Corona-Zeiten mehr denn je um Herzen und Köpfe der Serben gerungen. Eine Umfrage vom Dezember hat gezeigt, dass viele Serben Russland oder China für die spendabelsten Geldgeber halten, während die EU in Wahrheit ein Vielfaches von dem gegeben hat, was bisher aus Peking und Moskau kam.
Aleksandar Vučić lobt inzwischen auch die EU-Hilfe, aber die großen Gesten der Chinesen werden wohl mehr in Erinnerung bleiben. Premierministerin Ana Brnabić teilt mit, sie lasse der serbisch-chinesischen Freundschaft ein Denkmal setzen, sobald die Pandemie vorüber sei, während eine Plakatwand in Belgrad, die von einer regierungsfreundlichen Boulevardzeitung bezahlt wird, die Botschaft verkündet: „Danke, Bruder Xi“.
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