Der Ast, auf dem er saß

Yvo de Boer Yvo de Boer, lange Jahre faktisch der UN-Weltklimabeauftragte, zieht die Konsequenzen aus dem gescheiterten Klimagipfel von Kopenhagen und demissioniert

Selbst wenn die Dinge bei den UN-Klimaverhandlungen ausnahmsweise einmal gut liefen – was nicht oft der Fall war –, blickte Yvo de Boer grimmig drein. Wer das in der chaotischen letzten Verhandlungsphase in Kopenhagen beobachten konnte, empfand spontan das Bedürfnis, diesen Mann in den Arm zu nehmen. Minister und Presseleute dagegen verstanden es, einen weiten Bogen um ihn zu machen, während Diplomatenkollegen anerkennend einräumten, dass es nahezu unmöglich sei, 192 Regierungschefs bei einem so komplexen Thema wie dem Klimawandel zu einem Konsens zu bringen. Auch wenn de Boer bei den bisweilen leidenschaftlich geführten Klima-Talks oft eine einsame Figur blieb, so zollte man ihm doch Respekt für seine Unvoreingenommenheit und am Ende auch für seine Verteidigung des UN-Prinzips, dass Beschlüsse einstimmig gefasst werden müssen. Selbst als die mächtigsten Länder im vergangenen Jahr versuchten, das Kyoto-Protokoll zu Fall zu bringen und einen neuen Gesetzesrahmen mit neuen Prinzipien und Bestimmungen ausarbeiten wollten, verteidigte de Boer das einzig legale Arbeitsmodell zum Abbau der Treibhausgase von internationalem Rang. „Man sägt nicht an dem Ast, auf dem man sitzt“, sagte er damals.

Neue Verhandlungsgremien

Während seines vierjährigen Vorsitzes des United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) traten zuletzt grundlegende Differenzen offen zutage und das Misstrauen nahm zu. De Boers Sekretariat wurde in regelmäßigen Abständen von den G 77-Staaten vorgeworfen, es räume den Anliegen der Reichen mehr Platz ein als denen der Armen. Natürlich durfte auch der entgegengesetzte Vorwurf nicht fehlen. Der größte Fehler in Kopenhagen bestand darin, dass de Boer einigen Ländern erlaubte, einen Textentwurf quasi im Geheimen auszuhandeln. Die Sache endete mit einer unbefriedigenden rechtlichen Konfusion, der nur wenige etwas abgewinnen konnten. Trotz all seiner Fähigkeiten als Verhandlungsführer in Sachen Klimaschutz und als altgedienter Diplomat konnte de Boer entgegengesetzte Positionen nicht versöhnen.
Wer auch immer seine Nachfolge antritt, wird sich sofort großem Druck von allen Seiten ausgesetzt sehen. Die reichen Länder unter US-Führung streben die Kontrolle über die weltweiten Klimaverhandlungen an und wollen diese mit kleineren und besser beherrschbaren Gruppen wie den G 20 oder dem Major Economies Forum on Energy and Climate führen, in denen die am meisten emittierenden Länder vertreten sind.

Nachfolge umstritten

Die von China, Indien und Brasilien geführte Gruppe der ärmsten Länder lehnen beue Gesprächsgremien strikt ab. Der Verhandlungsprozess innerhalb der UNFCCC sei offen und multilateral. Die UN bleibe der einzig legitime Ort für die komplexen Klimaverhandlungen, aus denen noch ein abschließendes Fazit gezogen werden müsse.

Da de Boer sein Amt 2006 bereits von einem anderen Niederländer übernommen hatte, dürfte der Druck auf die UN groß sein, für seine Nachfolge jemanden aus einem Entwicklungsland auszuwählen. „Ich würde gern jemanden aus dieser Staatengruppe auf jenem Posten sehen, so der Vorsitzende der Abteilung Umweltmärkte der niederländischen Finanzgruppe Fortis, Seb Walhain. Da so viel auf dem Spiel steht und die Gespräche sich bereits in einem derart fortgeschrittenen Stadium befinden, dürfte es wohl einen harten Kampf um die Nominierung geben.

Die Mitgliedsstaaten werden auf eine schnelle Entscheidung drängen, was aber aufgrund des mühseligen Auswahlverfahrens der UN schwer zu haben sein wird. Der Nachfolger dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit aus den Reihen der UN kommen, wobei aber nur wenige diplomatisch akzeptabel erscheinen und die nötige Autorität besitzen dürften, sich gegen einzelne Staatsoberhäupter durchzusetzen und eine für alle akzeptable Übereinkunft zu erzielen.

Übersetzung: Holger Hutt

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Geschrieben von

John Vidal | The Guardian

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