Die geheime Welt der Vermögensverwalter

Geld Sie sind empörend loyal und skrupellos erfinderisch, und sie werden immer mehr: die Köpfe hinter den Steuervermeidungsstrategien der Superreichen
Ausgabe 43/2016

In den Vereinigten Staaten zählen die Pritzkers zu den reichsten Familien. Ihr Vermögen von rund 15 Milliarden Dollar haben sie auf 60 Firmen und 2.500 Fonds verteilt. Dabei folgen sie einer Strategie, die selbst das Magazin Forbes, der Cheerleader des Geldadels, in ungewohnt moralischem Ton als „schattig“ bezeichnet – „konstruiert, um externe Überprüfungen zu verhindern, und brillant im Ausnutzen von Schlupflöchern im Steuerrecht“.

Ersonnen haben eine derart komplexe Vermögensstruktur nicht die Pritzkers selbst, sondern ihre Anwälte und Buchhalter, ihre Steuer- und Anlageberater. So wie zehntausende andere Superreiche in aller Welt nutzt Familie Pritzker die Dienste von „Wealth-Managern“, Vermögensverwaltern. Diese Experten schirmen nicht einfach Reichtum gegen Besteuerung ab, sondern sie verschleiern die Konzentration von Wirtschaftsmacht, indem sie es schwer, wenn nicht unmöglich machen, die wahren Eigentümer von Vermögenswerten zu ermitteln.

Die Wealth-Manager selbst beschreiben ihre Arbeit gerne als Verteidigung gegen die Auswüchse des „Beschlagnahmungsstaats“. Zumeist sind sie in einer ethischen Grauzone aktiv – formal rechtmäßig, gesellschaftlich verantwortungslos. Ein Beispiel ist der Rückgriff auf Stiftungen oder auch Briefkastenfirmen, um Steuern, Schulden oder Unterhaltskosten nicht zahlen zu müssen. Im Nachhall der Finanzkrise und vor allem seit den Panama Papers stehen diese Taktiken zunehmend am Pranger.

Die Zunft der Vermögensverwalter, offiziell vertreten durch die in London ansässige Society for Trust and Estate Practitioners (STEP), wurde mittlerweile in mehreren Ländern, in denen staatliche Ermittlungen zu Steuervermeidung, Geldwäsche oder auch wachsend ungleicher Vermögensverteilung liefen, als Hauptschuldige ausgemacht. In ihrer Erklärung von Seoul aus dem Jahr 2006 kritisiert auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ausdrücklich, dass „Anwalts- und Buchhaltungsfirmen, Steuerberater und Finanzinstitute“ Firmen und Privatpersonen dabei helfen, Gesetze zu umgehen. Und schon 2003 schimpfte der US-Senator Carl Levin über die undurchsichtigen Anlagekonstruktionen der Wealth-Manager: „Sie sind so kompliziert, dass man sie MEGOs nennt – ‚My Eyes Glaze Over‘, (Meine Augen werden glasig). Wer so etwas ausheckt, tut es, um Überprüfungen und öffentliche Empörung zu vereiteln.“

In den letzten Jahren hat der weltweite Wohlstand ein Rekordniveau erreicht, er wird auf 241 Billionen Dollar beziffert. Ebenso aber wuchs die Ungleichheit: 41 Prozent dieser Reichtümer sind im Besitz von 0,7 Prozent der Weltbevölkerung. Wealth-Manager verwalten heute geschätzt 21 Billionen Dollar, mit der Folge, dass den Staatskassen weltweit pro Jahr rund 200 Milliarden Dollar an Steuern entgehen.

Hypermobiles Kapital

Um Vermögen dem behördlichen Zugriff zu entziehen, setzen die Wealth-Manager auf transnationale und hypermobile Formen von Kapital. Neben den undurchschaubaren Beteiligungs- und Steuervermeidungsstrukturen haben sie dafür auch eine Reihe neuer Institutionen geschaffen, die ohne festen Sitz und jenseits der demokratischen Kontrollmechanismen operieren. Der Aufstieg der Superreichen und der für sie tätigen Vermögensverwalter bringt eine zunehmend unregierbare Elite hervor.

Seit jeher sträuben sich die Reichen und Mächtigen gegen Recherchen in ihren Kreisen. Verschärft gilt dies für die Wealth-Manager, denn ihr Geschäft steht und fällt mit der Diskretion und folgt einem entsprechend strikten Verhaltenskodex.

Als Soziologin mit dem Anliegen, die Welt der Vermögensverwaltung zu verstehen, musste ich deshalb als Erstes zurück auf die Schulbank. Im November 2007 begann ich eine zweijährige Ausbildung, an deren Ende das Zertifikat für „Trust and Estate Planning“ (TEP) steht. Dieser Abschluss ist weltweit als Qualifikation zum Wealth-Management anerkannt. Um ihn zu erwerben, muss man Kurse in fünf Disziplinen absolvieren: Kartellrecht, Körperschaftsrecht, Kapitalanlage, Finanzwesen und Buchhaltung. Zwischen 2008 und 2015 interviewte ich 65 Wealth-Manager in 18 Ländern, darunter die Schweiz, Hongkong, Singapur, Mauritius, sowie auf den Kanalinseln Guernsey und Jersey und in Überseegebieten wie den britischen Jungferninseln und den Kaimaninseln. Auch in den neuen asiatischen Finanzzentren führte ich Gespräche, auf den Seychellen etwa.

Erst als ich begann, meine Ergebnisse zu publizieren, schlug mir Feindseligkeit entgegen. Im August 2013 interviewte ich auf den Jungferninseln einen Briten Mitte 60, ausgebildeter Bankkaufmann. Er begrüßte mich mit den Worten, er habe meine Artikel gelesen und finde sie „linkslastig“ und „gegen das gerichtet, was die Branche und die wohlhabenden Leute tun“. Alle Wealth-Manager auf den Inseln, setzte er hinzu, fragten sich, was ich hier zu suchen hätte.

Meine Fragen beantwortete er dann gütig, doch am Ende des Gesprächs kam er noch einmal auf meine „Agenda“ zurück: Ich hätte Vermögensverwalter und ihre Klienten „als unmoralisch verunglimpft“, weil sie „nicht so viel Steuern zahlen, wie sie nach Ansicht mancher Leute sollten“. Einer seiner Kollegen habe vorgeschlagen, mich „von der Insel zu jagen“.

Was ich damals noch nicht wusste: Zwei Jahre zuvor war auf der Kanalinsel Jersey ein Reporter, der für das Magazin Newsweek illegalen Machenschaften auf der Spur war, verhaftet, ausgewiesen und mit einem Einreiseverbot belegt worden. Zwar hatte seine Recherche nicht unmittelbar mit Finanzdiensten zu tun, doch es reichte, dass sie negative Schlagzeilen befürchten ließ. Die Insel wollte ihren Ruf als ruhige, unbeachtete Steueroase nicht aufs Spiel setzen. Die Behörden von Jersey erreichten sogar, dass das Einreiseverbot auf ganz Großbritannien ausgedehnt wurde.

Vermögensverwalter und ihre Klienten gehen eine ungewöhnliche und meist langfristige Bindung ein. So wie ein Hausarzt oder Rechtsanwalt ist der Wealth-Manager in pikanteste Details eingeweiht – doch anders als beim Arzt oder Anwalt beschränken sich diese Details nicht auf einen bestimmten Lebensbereich. James, einer meiner Gesprächspartner in London, erklärte mir, die Klienten „wählen jemanden aus, von dem sie wollen, dass er alles über sie weiß: Muttis lesbische Affäre, Brüderchens Drogenproblem, die abgelegte Liebschaft, die Krawall macht“.

Der Job des Wealth-Managers ist es, das Geld des Klienten zu schützen. Das heißt nicht nur vor Fehlinvestitionen, sondern auch zum Beispiel davor, dass ein verschwendungssüchtiger Erbe es verprasst oder dass ein Angehöriger mit dunklen Geheimnissen sich erpressbar macht. „Du bist wie ein Voyeur – der Klient muss sich vor dir entblößen“, sagt Eleanor, eine Amerikanerin, die in der Schweiz arbeitet.

Die Engländerin Elaine, als Vermögensverwalterin in Dubai tätig, führt aus: „Die Klienten vertrauen dir alle möglichen Geheimnisse an, Dinge, die sie ihren Bankberatern nie erzählen würden. Du musst absolut dicht halten können. Zum Beispiel sagt dir einer: Ich möchte meiner Freundin Geld hinterlassen, aber meine Frau darf es nicht erfahren.“

Die Superreichen sind notorisch skeptisch, was die Motive der Menschen um sie herum angeht. „Wer so viel Geld hat, denkt, dass jeder, den er trifft, ihn ausnutzen will“, sagt Robert, der auf Guernsey arbeitet.

Oft ist diese Befürchtung gerechtfertigt. Viele meiner Gesprächspartner berichten von Betrugs- und Erpressungsversuchen. Solches Ungemach droht nicht nur von Fremden, sondern auch von den eigenen Angehörigen. James aus London ist darauf spezialisiert, betagte Klienten vor gieriger Verwandtschaft zu schützen: „Ich habe es schon mit ein paar trickreichen Familien zu tun. Es geht darum, dass der Klient sich auf uns verlassen kann, oft mehr als auf sein eigen Fleisch und Blut, denn wir haben ja nichts von ihm zu erben.“

Sozialarbeiter der Reichen …

Der Verfolgungswahn, den Reichtum mit sich bringen kann, ist nichts Neues. Schon in Aufzeichnungen aus dem England des 13. Jahrhunderts stieß der Historiker Scott L. Waugh auf Prozessorgien unter Adligen, geprägt von der „Furcht vor Familienwölfen, die ein Erbteil ergaunern wollen“.

Sherman, Wealth-Manager auf den British Virgin Islands, hat zum Wesen seiner Tätigkeit einen Mafia-Vergleich parat: „Wir sind ein bisschen wie der Consigliere in Der Pate.“ Wer sich von ungeduldigen Erben und von Schmeichlern umgeben sieht, für den ist die Möglichkeit, mit einem diskreten, dabei ehrlichen Gesprächspartner über persönliche Probleme zu reden, schon ein Wert an sich. „Mein Ex-Mann sagte immer: Du bist Sozialarbeiterin für die Reichen“, berichtet Marian, die in Los Angeles arbeitet.

Manchmal muss ein Wealth-Manager nach dem Tod eines Klienten den potenziellen Erben das Testament erläutern und den daraufhin ausbrechenden Familienzwist schlichten. Manchmal muss er in so einem Fall auch Detektiv spielen und geheim gehaltene Vermögensanteile des Verstorbenen ausfindig machen. Alistair, der auf den Kaimaninseln lebt, erinnert sich an eine „wohlhabende Familie aus Jamaika“: „Der Vater starb, und er hatte keinen Menschen in seine Geldangelegenheiten vollständig eingeweiht. Jedem Familienmitglied und wenigen guten Freunden hatte er ein bisschen verraten, aber niemandem alles. Nun ist er seit drei Jahren tot, und wir suchen sein Vermögen immer noch zusammen.“ Die Frage, ob ein Wealth-Manager ihr Vertrauen verdient, ist für die Klienten essenziell. Mehrere meiner Gesprächspartner berichteten von außergewöhnlichen Diensten, die sie am Anfang für einen neuen Kunden leisten mussten, als Beweis, dass sie für den Job geeignet waren. Eleanor erhielt in ihrem Genfer Büro einen Anruf: „Ich stehe vor einem Restaurant in London und habe gerade ein Armband verloren – Sie müssen es wiederfinden.“ In anderen Worten: Sie sollte ein Stück Schmuck vor einem unbenannten Gebäude in einem anderen Land aufspüren. Irgendwie bekam Eleanor das hin und gewann eine loyale Klientin für Jahrzehnte. „Die ganz Reichen wollen maßgeschneiderte Dienstleistungen, so wie sie maßgeschneiderte Kleidung wollen“, sagt Mark, in Dubai ansässig.

David, ein britischer Vermögensverwalter, der seine fast 40-jährige Karriere gerade in Hongkong abschließt, hat eine besonders eindrucksvolle Geschichte auf Lager. „Ein Klient rief mich aus Osaka an und erklärte: ‚Ich sitze hier Owagi-San gegenüber, er spricht kein Englisch, aber wir verbeugen uns voreinander. Durch eine Dolmetscherin ließ er mir gerade sagen, dass er bis Dienstag tausend Lagen Räucherlachs braucht, und ich verlasse mich auf Sie, dass wir die kriegen.‘ Ich sagte, ‚Ich bin Ihr Vermögensverwalter, nicht Ihr Fischhändler‘, darauf er: ‚Heute sind Sie Fischhändler.‘ Also rief ich einen Freund an, der beim Konzern Unilever den Direktor von dessen Räucherlachsfabrik in Schottland kennt. Und der Fabrikdirektor hat uns den Fisch besorgt.“

Manchmal müssen Wealth-Manager ihren Klienten aber auch Wünsche ausschlagen, aus rechtlichen Gründen. Bruce, der in Genf arbeitet, berichtet: „Ein arabischer Kunde wies mich an, ihm 100.000 Dollar aus dem Firmenkapital zukommen zu lassen, damit er sich einen Ferrari kaufen könne. ‚Was heißt hier nein?‘, fragte er. Und ich sagte: ‚Das hier ist ein Unternehmen und Sie sind Gesellschafter – bitten Sie vielleicht um eine Ausschüttung?‘ Ich musste ihm beibringen, die richtigen Worte zu verwenden, und ihn dazu drängen, die E-Mails zu löschen, in denen er das Geld für den Ferrari forderte.“

Vor 100 Jahren war die Klientel von Vermögensverwaltern die sogenannte „müßige Klasse“. Ihre Anzahl lag im unteren vierstelligen Bereich, und sie lebten fast alle in Europa oder Nordamerika. Heute sind sie über die ganze Welt verteilt, der World Wealth Report aus dem Jahr 2014, erstellt von der Unternehmensberatung Capgemini, zählt 167.669 „ultra-high-net-worth-individuals“ – Menschen mit mindestens 30 Millionen Dollar frei verfügbarem Vermögen.

… und deren Architekten

Die Arbeit eines Wealth-Managers ähnelt der eines Architekten: Beide entwerfen komplexe, multifunktionale Strukturen. Bloß dass die von den Vermögensverwaltern geschaffene Finanzarchitektur keine Menschen beherbergt, sondern Reichtümer. Sie setzt sich aus miteinander verbundenen Organisationseinheiten wie Fonds, Firmen und Stiftungen zusammen.

Anders als dem Architekten obliegt es dem Wealth-Manager jedoch auch, die von ihm geschaffenen Strukturen selbst zu pflegen. Gesetze, finanzielle Rahmenbedingungen, politisches Klima: All das kann sich ändern, und entsprechend flexibel müssen die Strategien der Vermögensverwaltung sein. Darin liegt die größte Herausforderung – und die eigentliche Stärke der Wealth-Manager. Ein von der STEP veröffentlichtes Handbuch beschreibt ihre Rolle als „Anwalt, Steuerberater, Buchhalter und Anlageberater zugleich“. Gerade für internationale Transaktionen müssen die Wealth-Manager imstande sein, ein ganzes Beraterteam zusammenzustellen und zu leiten. In dieser Hinsicht gleichen sie Generalunternehmern: Sie sind verantwortlich für die Umsetzung einer Strategie und übergeben deren Einzelaspekte an spezialisierte Subunternehmer.

Details solch komplexer Strukturen werden kaum je öffentlich gemacht, doch einen ungefähren Eindruck können wir uns aus Fachpublikationen verschaffen. Hier ein Szenario aus einer STEP-Ausbildungsbroschüre: Der Klient sei ein brasilianischer Staatsbürger, der seit 15 Jahren in Kanada lebt und dort auch weiterhin seinen Wohnsitz haben möchte. Sein Treuhänder sei eine Vermögensverwaltungsgesellschaft auf den Kaimaninseln mit einem für den Klienten zuständigen Fachmann, der auf den Bahamas ansässig ist. Das Treuhandvermögen umfasse Anteile an zwei Gesellschaften: Die Holding des lateinamerikanischen Geschäftsimperiums des Klienten sei als steuerbefreite Firma auf den Bermudas eingetragen; hinzu komme eine Firma für Auslandsgeschäfte, die auf den Britischen Jungferninseln gemeldet ist und ein Aktienportfolio hält. Befugte Nutznießer seien eine Gruppe von Personen mit Wohnsitzen in Europa und Südamerika.

Drei Aspekte dieses Szenarios können die Komplexität des Wealth-Managements veranschaulichen. Erstens das internationale Ausmaß: Sechs Staaten mit ihren jeweiligen Gesetzen sind in diese Vermögensstruktur einbezogen – die diversen europäischen und südamerikanischen Länder, in denen die Nutznießer sitzen, noch nicht mitgerechnet. Der Wealth-Manager muss sich also mit Experten in all diesen Rechtssystemen abstimmen, um auf Änderungen bei Steuergesetzen oder anderen Regeln sofort reagieren zu können.

Zweitens die große Menge an Personen: Neben den Fachleuten – wie den Treuhändern und den Leitern der Firma auf den Jungferninseln – umfasst sie den Klienten selbst und die Nutznießer.

Und drittens der Strukturmix mit einer Treuhandgesellschaft, die Anteile an diversen Tochterunternehmen hält. Dieses Modell erlaubt es, Vermögensteile „wie beim Hütchenspiel zu verschieben“, um noch einmal das Forbes-Magazin zu zitieren. Geschickte Wealth-Manager setzen Fonds, Unternehmen und Stiftungen als Werkzeuge ein, um Reichtümer fast endlos jedem staatlichen Zugriff zu entziehen, ohne dabei je ein Gesetz zu brechen.

Manche von ihnen sehen gerade darin den Reiz des Berufs. Bruce, ein Amerikaner in Genf, schwärmt von der „intellektuellen Herausforderung, mit Steuerbehörden in aller Welt Katz und Maus zu spielen“.

Weit häufiger geben Wealth-Manager allerdings als Grund für ihre Zufriedenheit mit dem Job an, dass er sie emotional ausfülle. Sebastian, ein Engländer in Hongkong, sagt: „Es ist nicht wie beim Investmentbanking, wo du nur Papierkram machst für eine Firma, die dir nichts bedeutet. Selbst wenn die Klienten verzogene Gören sind – und das sind sie manchmal wirklich –, hilft deine Arbeit dabei, Familien zusammenzuhalten.“ Tatsächlich nannten so gut wie alle Teilnehmer meiner Studie „Ich helfe Familien“ als eine der wichtigsten Erklärungen dafür, dass ihr Beruf sie zufriedenstelle.

Wealth-Manager werden von ihren Kunden auf Hochzeiten eingeladen, verbringen Urlaube mit ihnen und sitzen manchmal sogar an ihrem Sterbebett. Einige sagten mir, sie seien in Tränen ausgebrochen, als sie vom Tod eines Klienten erfuhren. Sherman, mit dem ich auf den Jungferninseln sprach, erklärte, diese Nähe zu den Klienten verleihe seiner Arbeit eine Tiefe, die er bei seiner vorigen Tätigkeit als Banker nie erlebt habe: „Es ist sehr emotional. Sehr wirklich.“

Die Rolle als Quasi-Familienmitglied hat auch ihre Schattenseiten, denn oft werden die Wealth-Manager Zeugen der Zerrüttung. Viele meiner Gesprächspartner zeigten sich bekümmert, weil sie Kunden dabei helfen mussten, ihre Kinder und Ehepartner zu enterben.

Reichtum kann Familien zusammenhalten – oder auseinanderreißen. In einem Artikel im STEP-eigenen Magazin aus dem Jahr 2009 heißt es, zusätzlich zu den Bedrohungen, die von Steuerbehörden oder Gläubigern ausgehen könnten, „muss man den ‚inneren Feind‘ im Auge behalten. Grob gesagt: Wie können Sie die Familie daran hindern, den Selbstzerstörungsknopf zu drücken?“

Familien zerfleischen sich

Nadia, in Panama-Stadt tätig, blickt mit Tränen in den Augen auf die vergangenen 30 Jahre ihrer Karriere zurück: „Ich habe gesehen, wie sich Familien wegen Geld zerfleischt haben. Zerfleischt.“ Beihilfe zu leisten, wenn ein Klient seine Angehörigen hintergehen will, fällt nicht allen Wealth-Managern leicht. Alistair auf den Kaimaninseln sagt: „Vielleicht hat der Klient eine Mätresse und mit ihr Kinder, für die er sorgen möchte, und von all dem darf seine Ehefrau nichts mitbekommen. Wir müssen das arrangieren und die Klappe halten.“

Was Familienangelegenheiten betrifft, haben es die Wealth-Manager auch mit großen regionalen Unterschieden zu tun. Auf der arabischen Halbinsel sind sie regelmäßig damit betraut, die Benachteiligung von Töchtern im islamischen Erbrecht zu umgehen. Elaine, die in Dubai arbeitet, erklärt: „Viele Araber legen Wert auf eine gute Ausbildung für ihre Töchter, denn auch sie sollen die Geschäfte der Familie übernehmen und in Aufsichtsräten sitzen – in Kuwait sitzen sie sogar im Parlament. Heute gehen Frauen von Scheichs meist nicht mehr drei Schritte hinter ihren Männern, sondern neben ihnen, Hand in Hand. Entsprechend ändern Väter ihre Nachlassplanung. Sie gründen Fonds oder schließen Lebensversicherungen ab, was die Scharia eigentlich verbietet. Aber sie wollen, dass ihr Erbe zwischen Söhnen und Töchtern gerecht aufgeteilt wird.“

Gesetzliche Pflichten wie Schuldentilgung oder Steuerzahlung werden in der Welt des Wealth-Managements als Angriff auf die persönliche Freiheit aufgefasst. Eine Ausbildungsbroschüre bezeichnet die Ansprüche von Gläubigern als „Risiken“ anstatt als Verbindlichkeiten, die der Kreditnehmer freiwillig eingeht.

Der Wunsch, solche „Risiken“ abzuwehren, erklärt die Beliebtheit von Offshore-Konstruktionen. In seinem Buch Treasure Islands über die Steueroasen der Welt beschreibt der Investigativjournalist Nicholas Shaxson deren Nutznießer als ein Gemisch aus „Abkömmlingen alter europäischer Adelshäuser, fanatischen Anhängern der amerikanischen Radikalliberalen Ayn Rand, Geheimdienstleuten, weltweit operierenden Kriminellen, britischen Privatschulsprösslingen, allerhand Lords und Ladys und Unmengen von Bankern. Ihre Feindbilder sind Regierung, Gesetze und Steuern, ihr Slogan ist Freiheit“.

Der Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman warnt, das Offshore-Finanzsystem sei derart angewachsen, dass es die Souveränität von Staaten in Frage stelle. Und zwar vor allem durch Steuerflucht, die „schlicht und einfach Diebstahl“ sei. Indem sie für ihre Klienten jährlich weltweit 200 Milliarden Dollar am Fiskus vorbeischleusen, fügen Wealth-Manager staatlicher Autorität und Gestaltungsmacht erheblichen Schaden zu.

Luxemburg etwa, wo mehr als die Hälfte der Produktivität von ausländischen Firmen erbracht wird, ist mehr Freihandelszone als Staat. Und die Kanalinsel Jersey – als Kronbesitz und gesondertes Rechtssubjekt nicht Teil Großbritanniens – wird von dem Journalisten Oliver Bullough als „45 Quadratmeilen selbstverwaltete Doppelbödigkeit“ charakterisiert.

Mit ihren Offshore-Modellen haben die Reichen und ihre Vermögensverwalter selektiv rechtsfreie Räume geschaffen: Der Geldadel kann dort weiter von Gesetzen profitieren, die seinen Interessen dienen, während er sich an die anderen nicht zu halten braucht. Diese Parallelwelt funktioniert lautlos, außer wenn sie gerade dazu beiträgt, die Welt, die wir restlichen Menschen bewohnen, ins Chaos zu stürzen – wie bei der Finanzkrise von 2008.

Manche wenden ein, so sei es immer schon gewesen. Aber eben bei weitem nicht in dem Ausmaß. Die Mobilität von Reichtum und seinen Besitzern sowie das Geschick der Wealth-Manager machen es allzu leicht, Gesetze zu brechen, obwohl man sie pro forma einhält. Alle Versuche, die Privilegien der Superreichen zu beschneiden, sind bisher gescheitert. Wenn Politiker wirklich erreichen wollen, dass auch die größten Vermögen dem Steuersystem und dem Rechtsstaat unterliegen, sollten sie ihre Bemühungen nicht mehr auf die Eigentümer selbst richten, sondern auf die Leute, die für sie arbeiten.

Brooke Harrington ist Soziologie-Professorin an der Copenhagen Business School. Dieser Text ist ein Auszug aus ihrem gerade auf Englisch erschienenen Buch Capital without Borders: Wealth Managers and the One Percent (Harvard University Press, 400 S., 27 €)

Übersetzung: Michael Ebmeyer

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Geschrieben von

Brooke Harrington | The Guardian

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