Diese erschütternde Schönheit

Sammler Die exzentrischen Brüder Charles und Walter Rothschild trugen eine der größten Schmetterlingssammlungen der Welt zusammen. Jetzt kommt sie in London unter den Hammer

Die Harrow School darf sich glücklich schätzen, eine der bedeutendsten privaten Schmetterlingssammlungen in ihren Räumen zu beherbergen, denn der Mann, der sie gestiftet hat, war in dieser Lehranstalt sehr unglücklich. „Die Juden-Jagd, wie ich sie erlebt habe, ist ein sehr einseitiges Vergnügen“, schrieb Charles Rothschild einmal. Seine Schmetterlinge hat er der Schule dennoch vermacht. Die erstaunliche Sammlung von mehr als 3.500 farbenprächtigen und seltenen Arten, die bisher in einem Lagerraum für Computer ihr Dasein fristete, soll nun ihren Mahagony-Kästen entnommen und auf einer Auktion verkauft werden.

Der Verkauf wirft gleichzeitig Licht auf das Leben von Charles und dessen älterem Bruder Walter, der mit dem Familienvermögen seine naturhistorische Sammlerleidenschaft befriedigte und sich dabei beinahe ruiniert hätte. In der kommenden Ausgabe des Bonhams Quarterly Magazine erzählt die Dokumentarfilmerin und Urgroßenkelin von Charles`, Hannah Rothschild, wie Walter das Vermögen der Familie auf die „größte Tiersammlung“ verwandte, „die je ein einzelner Mensch zusammengetragen hat“. Sie reichte von Seesternen bis hin zu Giraffen und umfasste auch 144 Riesenschildkröten und 20.000 Vogeleier.

Sie beschreibt ihren Urgroßonkel als einen „großen stotternden Bären von einem Mann“, der das ganze große Haus mit seinem Schnarchen wach hielt. Sein Privatleben war erwiesenermaßen kompliziert. „Er hat nie geheiratet, hatte aber zwei Geliebte. Mit der einen zeugte er eine Tochter, womit ihn die andere wiederum den größten Teil seines Lebens erpresste.

Es wäre wohl noch untertrieben, Rothschild als Exzentriker zu bezeichnen. Einmal ließ er zwei Zebras vor eine Kutsche spannen und sich von ihnen zum Buckingham Palace ziehen, um zu beweisen, dass auch diese Tiere domestiziert werden können. Hannah Rothschild zitiert auch die Erinnerungen ihrer Großtante Miriam an die täglichen Spaziergänge, welche die Kinder durch den großen Park der Rothschilds in Tring unternahmen. „Es gab dort Damwild, Kängurus, Emus, Nandus und Kasuare, die allerdings in Ungnade gefallen und in dem Teil des Parks untergebracht wurden, in dem wir nicht spazieren gingen. Die Emus haben mir am meisten Angst eingeflößt, weil sie so ein merkwürdig trommelndes Geräusch mit den Füßen machen konnten.“

Das Ausmaß der Walterschen Sammlung ist unglaublich und bildet heute einen nicht unbedeutenden Teil der Sammlung des Naturhistorischen Museums in London. Rothschild baute mit dem Geld der Familie ein weltweites Netzwerk von Sammlern auf, um seine niemals erlahmende Leidenschaft zu stillen. Hannah erzählt, es habe bei den Rothschilds schon viele namhafte Sammler gegeben, von denen es jedoch keiner soweit habe kommen lassen, dass ihn sein Steckenpferd in finanzielle Schwierigkeiten brachte.

Zwischen 1899 und seinem Tod im Jahr 1937 wurden Schmetterlinge zum maßgeblichen Gegenstand seiner Begierde. „Kein Werk von Menschenhand – kein Gemälde von Ingres oder Velázquez, noch die Juwelen von Katharina der Großen oder die Feinheiten der Mongolischen Kunst – reicht an die erschütternde Schönheit dieser Kreaturen heran ...“, so zitiert Hannah den Begründer der Sammlung.

Die Schmetterlinge, die in der Harrow-School untergebracht sind, wurden von Walter und Charles gemeinsam gesammelt, Charles vermachte sie dann der Schule. Hannah sagt, dies habe sie sehr überrascht, da ihr Vorfahr an dieser Schule sehr unglücklich gewesen sei. Sie zitiert aus einem Brief: „Sollte ich jemals einen Sohn haben, werde ich dafür Sorge tragen, dass er im Boxen und in Jiu-Jutsu unterwiesen wird, bevor er eine Schule betritt. Die Jagd auf Juden, wie ich sie erlebt habe, ist nämlich ein sehr einseitiges Vergnügen.“ „Vielleicht hat mein Großvater die Sammlung in der Hoffnung gespendet, sie könne dem ein oder anderen unglücklichen Jungen helfen, seiner Wut und Trauer für eine Weile zu entfliehen.“

Charles Leben endete traurig. Nachdem er lange unter einer Hirnhautentzündung gelitten hatte, nahm er sich 1923 das Leben.

Hitoshi Takano, der die Schule hinsichtlich des Verkaufs der Schmetterlinge berät, hofft, dass jemand die ganze Sammlung kaufen, sie zusammenhalten und der Öffentlichkeit zugänglich machen wird. Man schätzt, dass die Schmetterlinge am 27. Mai zwischen 60.000 und 80.000 Pfund Sterling einbringen werden.


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Geschrieben von

Mark Brown, The Guardian | The Guardian

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