Es ist unangenehm, ja geradezu schmerzhaft: Während sie darüber nachdenken, welche Herausforderung die Achse China/Russland darstellt, diskutieren die Strategen des Pentagons ernsthaft darüber, ob Wladimir Putin einen „umgekehrten Nixon“ aufs diplomatische Parkett legen wird. Dabei handelt es sich weder um einen gewagten Dreh am Barren noch um eine ungewöhnliche Sexualstellung. Es geht vielmehr darum, ob Putin dem einstigen US-Präsidenten Richard Nixon nacheifert, der 1972 mit einer bahnbrechenden Mission in China das strategische Gleichgewicht im Kalten Krieg zugunsten der USA kippen wollte. „Sollte Putin einen ,umgekehrten Nixon‘ zuwege bringen und seine eigene Version der China-Karte spielen, würde das die Weltordnung und den amerikanischen Einfluss in Ostasien auf den Kopf stellen“, warnt eine aktuelle Pentagon-Studie über strategische Absichten der Russischen Föderation.
Beste und Busenfreunde
Nun ist eine Allianz zwischen China und Russland kein neues Phänomen, aber sie gewinnt an Dynamik. Vor zwei Wochen erst kam es über dem Japanischen Meer (auch „Ostmeer“ genannt) zur Kooperation in der Luft. Erstmals formierten chinesische und russische Einheiten eine gemeinsame Luftpatrouille mit Langstreckenbombern und Aufklärungsflugzeugen. Südkorea und Japan ließen daraufhin – jeder für sich – Kampfjets aufsteigen, um zu reagieren. Beide Staaten sahen eine Verletzung ihrer Luftverteidigungszone, die Moskau und Peking bestritten. Immerhin feuerten südkoreanische Piloten fast 400 Warnschüsse ab. Der Vorfall war nicht nur alarmierend, sondern auch dazu angetan, neben der wirtschaftlichen mehr militärische Korrespondenz zwischen zwei Großmächten zu verkünden. Zwei Staaten, die sich mit den USA Donald Trumps in unüberbrückbaren Interessenkonflikten befinden.
Einst galt Washington der globale Einfluss Chinas als förderlich für einen Wettbewerb, der zunächst die Sowjetunion, später Russland bedrängen sollte – jetzt wird er als bedrohlich angesehen, sei es bei den Konflikten um Taiwan, Hongkong, Nordkorea oder bei der Militärpräsenz Chinas im Südchinesischen Meer. Ganz abgesehen von dem durch Präsident Trump weiter geschürten Handelskrieg, der die Beziehungen zwischen Peking und Washington schwer belastet. Wird dazu noch die russisch-amerikanische Konfliktagenda aufgerufen, wirkt die mit den Kontroversen um Syrien, die Ukraine, Venezuela, die atomarer Rüstung oder Cyber-Operationen, die Moskau angelastet werden, gut bestückt.
Im Unterschied dazu sind sich China und Russland in vielem einig und überzeugt von den Unzulänglichkeiten der liberalen Demokratie wie der Attraktivität autoritärer Regierungsführung. Als Putin Präsident Xi Jinping jüngst in Moskau begrüßte, feierten beide einen Zuwachs des bilateralen Handels um ein Drittel gegenüber dem Vorjahr. Russland verkauft China seine neuesten Waffen, darunter S-400-Abwehrraketen und Su-35-Jets. Geplant sind häufigere gemeinsame Militärübungen und mehr diplomatische Konvergenz im UN-Sicherheitsrat. Russlands Präsident hat Xi seit 2013 etwa 30-mal getroffen. Xi nennt ihn seinen „besten“ und „Busenfreund“.
Dies ist nicht nur für diejenigen zutiefst beunruhigend, die im Pentagon gern Krieg spielen, nicht minder gilt das für die Verbündeten des Westens in ganz Ostasien. Japan, das über Trumps Beschwerden wegen der Lastenverteilung verärgert ist, steht im Atomstreit mit dem von China unterstützten Nordkorea an vorderster Front. Die beiden Gipfeltreffen von Trump und Nordkoreas Kim Jong-un haben bisher keiner Denuklearisierung Vorschub geleistet, zumal Nordkorea inzwischen Tests mit ballistischen Raketen wiederaufnimmt. Dagegen würde Japans Premier Shinzo Abe gern Front machen, doch ist es ihm nicht gelungen, am 21. Juli bei der Wahl zum Oberhaus ein klares Mandat dafür zu erhalten, die pazifistische Verfassung zu ändern. China und Russland kommt das entgegen.
In dieser Lage haben die USA, wie allein schon Trumps Egotrip-Gipfel mit Kim Jong-un offenbaren, weder eine konsistente Agenda noch eine strategische Vision für die Region zu bieten. Das verschafft Peking relativ leichte „Gewinne“. Der philippinische Präsident Rodrigo Duterte hat sich in diesem Jahr auf Wunsch Xi Jinpings bereiterklärt, bilaterale Territorial- und Fischereikonflikte auszuräumen. Glaubhaften Gerüchten zufolge hat Kambodscha zugestimmt, eine chinesische Marinebasis aufzunehmen, auch wenn dies offiziell dementiert wird. Zugleich erhöht Xi den Druck auf das von den USA protegierte Taiwan. Im soeben veröffentlichten Weißbuch zur Verteidigungschwört Peking: Wer versucht, Taiwan von China zu trennen, dem werde „eine entschiedene Niederlage“ zugefügt. Man wisse „die nationale Einheit um jeden Preis zu schützen“.
Skeptische Verbündete
Diese Warnung, die ernster daherkommt als gewöhnlich, ist eine Folge der US-Entscheidung, Waffen im Wert von 2,2 Milliarden Dollar an Taiwan zu liefern und die eigene Marine im Seegebiet zwischen dem chinesischen Festland und Taiwan kreuzen zu lassen. Ungeachtet dessen sind die Regierung in Taipeh wie andere regionale US-Alliierte höchst skeptisch, ob man sich auf Donald Trump wirklich verlassen kann. Die Wertungen im Weißbuch der Chinesen jedenfalls klingen nach trotziger Feindseligkeit. Trumps Amerika, heißt es dort, habe „die globale strategische Stabilität“ untergraben, wodurch China sich natürlich nicht einschüchtern lasse. Die Modernisierung seiner Landesverteidigung werde bis 2035 abgeschlossen, das chinesische Militär danach global konkurrenzfähig sein.
Das ist die Kampfansage, der sich die nach 1945 etablierte Dominanz der USA in Ostasien gegenübersieht. Barack Obamas „Ausrichtung nach Asien“ ist längst vergessen, und Trumps Ansatz entbehrt jedweder Kohärenz. Da ist es nachvollziehbar, dass sich die Planer im Pentagon Sorgen machen. Vielleicht hoffen sie, die wirtschaftliche Schwäche Russlands werde dazu führen, dass dessen Interessen nicht immer mit denen Pekings harmonieren. Folglich müsse die Umarmung durch den neuen, dominanten Bettgenossen nicht von Dauer sein. Was die USA jetzt brauchen, ist ein „umgekehrter Putin“.
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