Erfolg an den Tasten

Hip-Hop Street Credibility? Das war früher im Hip-Hop wichtig. Wer heute ein Rap-Star werden will, muss sich nicht mehr auf der Straße, sondern in Musik-Blogs durchsetzen

Um es im Hip-Hop weit zu bringen, muss man heute nicht mehr stundenlang in der Stadt herumcruisen und selbst gemachte Tapes aus dem Kofferraum verkaufen. Man muss auch nicht mit viel Aufwand eine Geschichte über einen Gefängnisarrest mit Polizeigewalt und Folterungen erfinden oder sich Zigaretten auf der Brust ausdrücken, um Narben von Schussverletzungen vorzutäuschen. Nein, alles, was man heutzutage tun muss, ist, einen Online-PR-Profi anzuheuern, der bereit ist, Musik-Blogger geschätzte 200 Mal am Tag mit Tracks zu bombardieren, bis diese vor Erschöpfung aufgeben und die starren Reime und blechernen Beats schließen posten.

Wenn momentan Mickey Factz einen fahren lässt, bekomme ich mit Sicherheit dutzende E-Mails von PR-Leuten, die mir einen Audio-Mitschnitt anbieten oder ein Telefon-Interview zu den Folgen des Ereignisses. Anschließend schreiben mir dann unzählige Musik-Blogger E-Mails, um mich darauf hinzuweisen, dass ich auf ihrem Blog einen neuen Eintrag mit "exklusivem" Szene-Klatsch über Mickey Factz finden kann.

Innerhalb weniger Monate kann es auf diese Weise so aussehen, als platze das Internet förmlich vor Aufregung über ein unentdecktes Talent. Schließlich wird eine große, naive Plattenfirma wie etwa A dem Hype glauben und sich überschlagen, um den kommenden Star unter Vertrag zu nehmen.

So geschehen im Fall Wale. Der wenig bemerkenswerte Rapper aus Washington, D.C. wurde von einem Niemand zu einem der Rapper, über die 2007 in Musik-Blogs am meisten diskutiert wurde. Er ist nun bei Interscope unter Vertrag und auf seinem kommenden Album werden angeblich Kanye West, Mark Ronson und Justice zu hören sein. Einem breiteren Publikum dürfte er durch seinen Gastauftritt auf der neuen Single des australischen Sängers Daniel Merriweather bekannt geworden sein.

Andere Rapper, die zunächst in Blogs gehypt und dann von großen Labels unter Vertrag genommen wurden, sind Pac Div (Universal), Charles Hamilton (Interscope) und B.O.B. (Atlantic). Alle diese Plattenfirmen glauben, sie hätten den neuen Kanye West entdeckt. In Wahrheit haben sie aber junge Kerle unter Vertrag, deren Fangemeinde zum Großteil aus Leuten besteht, die den ganzen Tag damit zubringen, die Songs dieser Künstler herunterzuladen und die lieber stundenlang nach einem Gratisdownload suchen als 99 Cent für eine Song zu bezahlen.

Sogar Kanye West selbst denkt mittlerweile, er habe im Netz den neuen Kanye West gefunden. Der egoistische Rap-Superstar nahm erst vor kurzem den aus Cleveland stammenden Kid Cudi unter Vertrag, dessen Single es ohne Probleme schaffte, zu dem Hip—Hop-Song zu werden, der in den Blogs im vergangenen Jahr am meisten diskutiert wurde.

Der Sammelbegriff für diese Online-Szene ist „Blog-Rap“: Rapper, die in Blogs groß rauskommen, nicht mehr auf der Straße, wie noch die Hip-Hop-Generation vor ihnen. Blog-Rapper bedienen sich jeder erdenklichen Form der Internet-Kommunikation. Sie haben Seiten bei Facebook und MySpace, Accounts bei Twitter und der Video-Seite Vimeo - und natürlich haben sie auch eigene Blogs. Das ganze Wochenende verbringen sie damit, ihr Eigenlob auf diversen Musik-Blogs zu hinterlassen. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn sie auch auf Dating-Seiten um Fans buhlen würden. Und wenn sie erst einmal einen Vertrag haben, wird das Ganze sogar noch schlimmer, denn dann haben sie ein ganzes Team, das diese Arbeit für sie erledigt.

In der vergangenen Woche soll der Blog-Rapper und jetzige SRC Records-Künstler Asher Roth (Internet-Hype: „der neue Eminem“) angeblich bei der Verhaftung eines Terrorverdächtigen auf einem Inlandsflug nach Los Angeles mitgemischt haben. Was die Verwertungsmöglichkeiten für die Öffentlichkeitsarbeit angeht, kann ihm eigentlich nichts Besseres passieren.

Haltet also Ausschau nach der exklusiven Comedy-Video-Rekonstruktion des Vorfalls, die bald auf tausenden von Musik-Blogs auf der ganzen Welt gepostet werden wird.

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Geschrieben von

John McDonnell, The Guardian | The Guardian

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