Anfang September hat der israelische Innenminister Arye Dery den 35-jährigen, in Jerusalem geborenen Palästinenser Salah Hamouri darüber informiert, dass ihm der Aufenthaltsstatus entzogen werde. Mit anderen Worten, Hamouri droht die Ausweisung – aus seiner Heimat. „Am 2. September erhielt ich den Anruf eines Polizeibeamten, der sich als Bahjat vorstellte und erklärte, er sei für Minderheiten und damit auch die Palästinenser in der Stadt zuständig“, erzählt Hamouri. „Ich wurde aufgefordert: ‚Kommen Sie morgen, für Sie liegt eine Anordnung vor.‘ Also ging ich hin, und er las mir die Order vor.“ Es handelte sich um die von Minister Dery unterzeichnete Ausweisung.
Dann, so Hamouri, betrat ein Offizier des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet den Raum und stellte sich als Captain Gabi vor. „Er sagte: ‚Sie haben uns gezwungen, das zu tun. Hier ist kein Platz mehr für Sie.‘“ Hamouri hörte die Worte, doch kamen sie ihm nicht vollends zu Bewusstsein, auch wenn die Absicht der israelischen Behörden, ihn aus dem Land zu verbannen, seit Langem über ihm schwebt.
Hamouri hat an der Al-Quds-Universität in Jerusalem Jura studiert und vertritt als Anwalt die Nichtregierungsorganisation Addameer, die sich für die Rechte palästinensischer Häftlinge einsetzt, und für Palästinenser vor israelischen Militärgerichten. „Erst vor Kurzem berichteten mir ein paar junge Leute aus Jerusalem, die nach einem Verhör wieder entlassen wurden, ein Schin-Bet-Mitarbeiter lasse mir ausrichten: ‚Sagt Hamouri, wir werden ihm seinen Personalausweis entziehen.‘“
Von der Familie getrennt
2005 wurde Hamouri von israelischen Militärrichtern dafür verurteilt, ein Mitglied der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) zu sein und die Ermordung von Yosef Ovadia, dem früheren israelischen Chef-Rabbiner, geplant zu haben. Während des Prozesses wurde er vor die Alternative gestellt: Israel für 15 Jahre zu verlassen oder sieben Jahre ins Gefängnis zu gehen. Hamouri zog die Haft in seiner Heimat dem Exil vor, obwohl er auch die französische Staatsbürgerschaft besitzt und die französische Sprache beherrscht, weil seine Mutter Französin ist. Vor acht Jahren lernte Hamouri in Jerusalem seine Frau Elsa kennen, auch sie Französin. Ihr Vater saß für die französische KP in der Nationalversammlung, während die Großeltern russische Juden waren, die aus einem deutschen KZ fliehen konnten. „Ich habe meiner Frau immer klar gesagt, dass ich Palästina nicht verlassen werde“, meint Hamouri.
Als Elsa im April 2016 schwanger von einem Besuch in Frankreich zurückkehrte, wurde sie am Ben-Gurion-Flughafen in Tel Aviv festgenommen, drei Tage festgehalten und dann ausgewiesen. Man teilte ihr mit, sie dürfe für zehn Jahre nicht mehr einreisen. „Das waren die schlimmsten Tage meines Lebens“, so Hamouri. Bis heute sei er ein Ehemann und Vater „übers Internet“, der morgens die Video-Software Zoom einschaltet, bevor sein Sohn in den Kindergarten geht, um sich abends noch einmal zu melden. Zuweilen gibt es einen Kurztrip nach Paris, zum letzten Mal im März.
Weil viele junge Palästinenser davon träumen, in einem westlichen Land ein besseres Leben zu finden, ist Hamouris Weigerung, in Frankreich zu leben, umso bemerkenswerter. „Mein Platz ist in Jerusalem“, versichert er. „Meine Verbundenheit mit dieser Stadt ist groß. Ich kann nicht akzeptieren, dass mir jemand etwas aufzwingt, weder die Besatzungsmacht noch andere Autoritäten.“
Rund drei Monate vor Ende seiner Haftzeit konnte Hamouri 2011, begünstigt durch die Freilassung des israelischen Soldaten Gilad Schalit, das Gefängnis verlassen. Nicht zum ersten Mal, schon im Alter von 16 Jahren musste er 2001 eine fünfmonatige Strafe verbüßen, weil er „einer nicht genehmigten Organisation einen Dienst geleistet“ hatte. 2004 dann verbrachte er fünf Monate in „Verwaltungshaft“, was bedeutet: ohne Gerichtsverhandlung, ohne Recht, sich zu verteidigen, ohne wegen eines Delikts angeklagt zu sein. 2007 wurde er zehn Tage lang verhört, bis die Jerusalemer Bezirksstaatsanwaltschaft mit ihm aushandelte, bei einer Kaution von 30.000 Schekeln (etwa 8.800 Dollar) komme er auf freien Fuß, unter der Bedingung, Jerusalem zu verlassen und die Westbank drei Monate lang nicht zu betreten. Aus dem Gerichtssaal wurde Hamouri direkt ins Gefängnis im „Russischen Viertel“ gebracht. „Dort kamen sie, eine Stunde nachdem wir die Vereinbarung getroffen hatten, und teilten mir mit, dass der Minister Avigdor Lieberman einen Verwaltungshaftbefehl gegen mich erlassen habe.“ Das hatte zur Folge, erneut ohne Prozess, ohne Beweise und ohne Recht auf Rechtsbeistand inhaftiert zu sein. Erst im September 2018 kam Hamouri wieder frei. Vor zweieinhalb Monaten, Ende Juni, war er wieder für eine Woche interniert. Zweimal verhörte ihn die Polizei, dann konnte er gehen.
Der jüngste Plan, ihn auszuweisen, basiert laut Innenminister Derys schriftlichen Äußerungen auf ebendiesen Haftzeiten, auf der Mitgliedschaft in der PFLP und der Tatsache, dass Hamouri vorgeworfen wird, „fortgesetzt feindliche Aktivitäten gegenüber dem Staat Israel zu verfolgen“. Der Innenminister beruft sich auf eine Novellierung des israelischen Einreisegesetzes von 2018, nach der es erlaubt ist, Palästinensern den Aufenthaltsstatus zu entziehen, wenn sie Taten verübt haben, „die einen Vertrauensbruch gegenüber dem Staat Israel bedeuten“.
Dass diese gesetzliche Regelung greift, ist nur möglich, weil Israel nicht legitimerweise das „Einreisegesetz“ auf Palästinenser anwendet, die von Geburt an Einwohner von Jerusalem und in der Stadt zu Hause sind. Die entsprechenden Paragrafen gelten für nicht jüdische Ausländer, die Israel als Wohnsitz gewählt haben und dauerhaft dort wohnen. Anders als normale Ausländer haben Palästinenser in Ostjerusalem jedoch nicht die Entscheidung getroffen, nach Israel „einzureisen“ und Einwohner dieses Landes zu werden. Stattdessen war es im Juni 1967 die Entscheidung Israels, Ostjerusalem zu besetzen und zu annektieren sowie Dekrete zu erlassen, mit denen die palästinensischen Bewohner zu Bürgern zweiter Klasse erklärt worden sind. Schließlich leben sie nicht in Jerusalem, weil sie Israel die Treue geschworen haben. Sie sind in dieser Stadt, weil ihre Familien seit vielen Generationen im Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordanfluss ansässig sind.
Unterdessen hat das französische Außenministerium von Israel „Klarstellung“ verlangt, was in der Sprache der Diplomatie bedeutet, dass man sich gegen Hamouris Ausweisung wendet. „Herr Harmouri muss ein normales Leben in Jerusalem führen dürfen, wo er geboren ist und wohnt“, heißt es in einem Statement aus Paris vom 4. September. Zudem müsse „seiner Frau und seinem Sohn das Recht eingeräumt werden, ihn in Jerusalem zu besuchen“. Innenminister Dery hat Hamouri 30 Tage gegeben, um Gründe geltend zu machen, wonach seine Ausweisung unterbleiben sollte.
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