Facebook des Bösen

Iran Im iranischen Wahlkampf herrscht strenge Zensur gegen die Herausforderer von Präsident Ahmadinedschad. Oppositionelle behelfen sich mit SMS, Blogs und Satellitenfernsehen

Nachdem Reporter des US-Senders CNN Präsident Ahmadinedschad öffentlich nach einer Zensur der Facebook-Seite im Internet gefragt hatten, war die prompt eine ganze Woche lang gesperrt. Auch wenn das Portal mittlerweile wieder präsent ist – „Zugang verweigert“ heißt die Auskunft, die Iraner kurz vor der Präsidentenwahl immer häufiger zu sehen bekommen. Die Erklärung liegt auf der Hand: Während Amtsinhaber Ahmadinedschad auf den Social-Networking-Seiten kaum gefragt ist, wird auf Face­book eine ambitionierte Debatte über seinen Herausforderer Mir-Hussein Mousavi geführt. Am 16. Mai sah sich auch die Mousavi nahestehende Zeitung Yas-e-No vom Ministerium für Kultur und islamische Führung reglementiert. Zum ersten Mal seit fünf Jahren durfte sie überhaupt wieder erscheinen und titelte mit der Schlagzeile Khatami-Mousavi für Iran – ein unmissverständlicher Verweis auf die politische Nähe des Bewerbers Mousavi zum moderaten Ex-Präsidenten Khatami. Die Zensoren reagierten sofort, und Yas-e-No kreist wieder in der Warteschleife.

Das staatliche Fernsehen, dessen Programmdirektor von Revolutionsführer Ayatollah Khamenei ernannt wird, fand gleichfalls wenig Gefallen an zu viel öffentlicher Präsenz des reformorientierten Mousavi. Von Gewicht ist das auf jeden Fall, denn die sieben unter staatlicher Aufsicht stehenden Sender stellen in einem Land mit nur wenigen unabhängigen Zeitungen, keinem Privatsender und ausgeprägter Internet-Zensur die Hauptinformationsquelle für die Mehrheit der Bevölkerung dar. Besonders für die Wähler im ländlichen Milieu.

Der reformorientierte Präsidentschaftskandidat Mehdi Karoubi stößt sich nun daran, dass eine seiner Wahlkampfreden durch das Staatsfernsehen zensiert wurde, es gleichzeitig aber eine unverkennbare Parteinahme dieses Mediums für Mahmud Ahmadinedschad gebe. Natürlich trifft die Fernsehzensur auch Mousavi. Als der bemerkte, dass Teile eines Wahlkampfauftritts nicht gesendet werden sollten, in denen er über seine Erinnerungen an Revolutionsführer Ayatollah Khomeini sprach, protestierte er laut und vernehmlich. Man muss dazu wissen, dass Meinungsverschiedenheiten zwischen Mousavi und Ayatollah Khamenei, dem heutigen geistlichen Oberhaupt des Iran, an der Tagesordnung waren, als Letzterer Präsident und Mousavi sein Premierminister war. „Ich bin die gesamten 20 Jahre seit dem Tod von Imam Khomeini politisch aktiv gewesen. Warum darf ich jetzt auf einmal nicht mehr im Fernsehen gezeigt werden?“ – macht Mousavi seiner Empörung Luft. Kritik erntet das Staatsfernsehen auch für die unablässigen Verbeugung vor „Errungenschaften“ Ahmadinedschads in Sachen Atomprogramm.

Auch iranische Autoren unterstützen die Herausforderer in ihrem Ärger über die Zensur. Shams Langeroudi, ein bekannter Romancier, gehört zu Dutzenden von Schriftstellern, deren Bücher zuletzt nicht veröffentlicht werden durften. Sein aktuelles Buch: Wer mag Verlierer? wurde vom Kulturminister verboten.

Auch auf Zeitungen wird Druck ausgeübt und mehr Bereitschaft zur Selbstzensur verlangt. In der vergangenen Woche erschien ein Interview mit Noam Chomsky auf der ersten Seite der reformorientierten Zeitung Etemaad, ein Drittel davon war gestrichen: Chomskys Kritik an Ahmadinedschads Außenpolitik, seinem Atomprogramm und seinen Zweifeln am Holocaust wurde gänzlich kassiert.

Gezwungenermaßen suchen die Kandidaten der Reformer andere Wege der Information und des Wahlkampfes. Jeden Tag werden E-Mails und SMS im ganzen Land verschickt. Trotz der Durchsuchung des Internets nach kritischen Inhalten posten Tausende Iraner Blogs über das Votum am 12. Juni. Millionen sehen illegal über Satellit Programme aus dem Ausland, um zu erfahren, was im Wahlkampf wirklich vor sich geht.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Saeed Kamali Dehghan, The Guardian | The Guardian

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