Fangen Sie an zu bloggen

Konversation So wird aus einem Langweiler ein interessanter Gesprächspartner: Selbsthilfe-Bücher warten seit Jahrzehnten mit Tipps dafür auf. Aber was heißt eigentlich interessant?

Jeder würde wohl gerne für interessant gehalten werden. Dabei ist dieser Wunsch nicht ganz ungefährlich. „Bevor Sie die folgende Erörterung darüber lesen, wie wir uns interessanter machen können“, schrieb die Etikette-Königin Amy Vanderbilt 1965 in ihrer Broschüre Wie man zu einer interessanteren Frau wird, „bedenken Sie dies: nicht jeder Mann möchte eine interessante Frau, genauso wenig, wie jeder eine Schönheit an seiner Seite ertragen kann. Es ist eine schwierige Sache, eine Frau zu sein.“

Das mag heute nicht mehr solch ein Problem darstellen, aber sich interessant zu machen bleibt nach wie vor ein schwieriges Unterfangen, für Männer wie Frauen gleichermaßen. Selbsthilfebücher versprechen zwar einiges, haben aber meist auch nicht mehr zu bieten, als Vanderbilts belustigend kontaproduktiven Ratschlag nachzuplappern, der da lautet: „Finden Sie ein Thema, das Sie wirklich interessiert und werden Sie darin zum Experten.“ Wir alle kennen solche Leute, die sich unablässig über ihr Spezialthema auslassen. Als interessant würden wir sie wohl kaum bezeichnen.

Kultivierte Interessantheit

Vielleicht liegt das Problem darin, dass niemand so genau sagen kann, was einen Menschen interessant macht. Entsprechend umschreiben Ratschläge zur Kultivierung der „Interessantheit“ im Endeffekt häufig wieder nur das Ausgangsproblem – „Entwickeln Sie ein Gefühl dafür, was die Leute hören wollen.“ Oder sie driften ins Tautologische ab – „Fangen Sie an zu bloggen“, rät etwa der Designer und Blogger Russell Davies. Aber es sind nun mal nur die Blogs interessanter Leute interessant. Die Blogs langweiliger Leute sind nur Destillate ihrer Langweiligkeit.

Interessanterweise (wirklich, ich schwöre) lässt sich die Langweiligkeit eines Gesprächspartners viel leichter bestimmen als Interessantheit. Sie findet Ausdruck in der Weigerung, dem Gegenüber als Person den gleichen Status zuzuerkennen. „Es gibt nichts Beleidigenderes als das Gefühl, dass die eigene Persönlichkeit ignoriert wird“, schrieb Robert Greene in Power - Die 48 Gesetze der Macht . Vielleicht rufen Langweiler deshalb einen Grad an Unwillen hervor, der ihrem „Vergehen“ zunächst gar nicht angemessen scheint. „Die Leute verhalten sich auf unterschiedlichste Art und Weise unsozial und aggressiv – da mache ich bestimmt keine Ausnahme – und in einem fort zu reden, kann die schlimmste sein“, schreibt Mark Edmundson, der vor kurzem einen hervorragenden Essay über Langweiler geschrieben hat. „Solches Geschwätz ertragen zu müssen, macht mich fast wahnsinnig.“

Langweilig mit Spezialthema

Langweiler mit einem Spezialthema sind nach Edmundson noch nicht einmal die Schlimmsten, sondern diejenigen, die denken, sie seien Experten auf deinem Spezialgebiet. Über einen Kollegen, der denkt, er habe ihm Interessantes über Coleridge mitzuteilen, schreibt er: „Er denkt bestimmt, er tue mir einen Gefallen, wenn er mir von etwas erzählt, was mir am Herzen liegt, und ich denke, ich tue ihm einen Gefallen, wenn ich zuhöre. Wenn zwei Leute gleichermaßen wähnen, sie täten sich gegenseitig einen Gefallen, obwohl dem gar nicht so ist, dann kann das nicht lange gut gehen, da jeder den anderen für in der Schuld stehend hält.“

Dies mag der Grund dafür sein, warum auch ein anderer, oft bemühter Selbsthilfe-Ratschlag, man müsse sich einfach nur für den anderen interessieren, so unzulänglich erscheint. Sicher ist da etwas dran: Wir sind alle Egoisten und sich diesen Umstand zu Nutze zu machen, kann durchaus funktionieren. Aber sich ständig für alles zu interessieren, ist auch nur eine Form von Egoismus ebenso wie ständiges Nachfragen eine Art ist, das Gespräch zu kontrollieren. Die Technik des „aktiven Zuhörens“ ist schön und gut, übertreibt man es allerdings auch nur ein wenig, dann geht es doch wieder nur um einen selbst. Eine schreckliche Vermutung regt sich: Könnte es sein, dass alle Versuche, sich interessanter zu machen automatisch dazu führen, dass man sich nur noch um sich selbst dreht – und damit noch langweiliger wird?

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Oliver Burkeman, The Guardian | The Guardian

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