Die Regierung in Kabul ist empört über den Tod von 27 Zivilisten, die bei einem NATO-Luftangriff getötet wurden. NATO-Oberbefehlshaber Stanley McChrystal sieht seine Strategie gefährdet und hat sich persönlich bei Präsident Karsai für einen Luftschlag entschuldigt, bei dem auch vier Frauen und ein Kind getötet wurden. Karzai erreichte die Nachricht von diesem Zwischenfall nur Stunden, nachdem er einmal mehr einen besseren Schutz der Zivilbevölkerung gefordert hatte. Und das öffentlich.
Leichenteile gesucht
Wie bei derartigem Ereignissen üblich, versprach General McChrystal, eine Untersuchung des Vorfalles einzuleiten. „Wir sind unendlich betroffen über den Verlust unschuldiger Menschenleben. Ich habe unseren Leuten klar gemacht, dass wir hier sind, um die Afghanen zu beschützen, und dass wir das Vertrauen in unsere Mission untergraben, wenn wir fahrlässig und aus Unachtsamkeit Zivilisten töten. Wir werden unsere Anstrengungen verdoppeln, dieses Vertrauen zurückzugewinnen.“
Syed Zahir Shah, Polizeichef des Bezirks Kajran in der Provinz Daikondi, gibt zu Protokoll, er habe den ganzen Tag mit der Suche nach Leichenteilen zugebracht, damit diese beerdigt werden konnten. Drei Kleinbusse seien getroffen worden, während sie durch ein von den Taliban kontrolliertes Gebiet fuhren. Sie sollten Menschen aus der Day Kundi Provinz nach Kandahar, Herat oder in den Iran befördern. Alle Opfer waren Hazaras, die in der zentralen Bergregion leben und den Taliban immer ablehnend gegenüberstanden. Alle Fahrzeuge – so Syed Zahir Shah – seien vollständig zerstört und viele der Opfer fürchterlich entstellt gewesen, so dass sie oft nur mit Mühe hätten identifiziert werden können. Die Verletzten seien mit einem Hubschrauber in das US-Militärlager Bagram, nördlich von Kabul, gebracht worden.
Alle Lokalpolitiker zeigen sich empört, unter ihnen der Parlamentsabgeordnete aus Uruzgan, Hashim Watanwali. Die NATO und der Präsident Afghanistans hätten zum wiederholten Mal versprochen, der Tötung von Zivilisten ein Ende zu setzen. Karsai tat dies zuletzt vor wenigen Tagen mit seiner Rede zur Eröffnung des Parlaments. „Wir müssen an den Punkt gelangen, wo es keine zivilen Opfer mehr gibt. Unsere Anstrengungen und unsere Kritik werden andauern, bis wir dieses Ziel erreicht haben.“
Alle auf einmal
Der Vorsitzende des Provinzrates von Uruzgan, Amanullah Hotak verlangt nun eine Untersuchung der Vorfälle durch die eigene, die afghanische Regierung: „Wir wollen nicht ihre Entschuldigungen und auch nicht ihr Geld. Das ist nach jedem Vorfall das Gleiche. Wir wollen, dass sie uns alle auf einmal umbringen, statt einen nach dem anderen.“
Die NATO teilte inzwischen mit, man habe geglaubt, der Konvoi bestehe aus einer Gruppe von Aufständischen, die unterwegs zu einem Angriff seien, der sich gegen eine aus afghanischen und alliierten Soldaten bestehende Patrouille in Uruzgan richtete. Die NATO behauptet zwar immer wieder, sie habe Schritte eingeleitet, um die Verluste unter der Zivilbevölkerung zu reduzieren, in erster Linie durch eine Reduzierung der Luftschläge und strengere Regeln für deren Ausführung. Dennoch sind allein bei der Offensive in Helmand bislang 16 Unbeteiligte ums Leben gekommen (Menschenrechtsgruppen sprechen von 19). Am 18. Februar verfehlte im nördlichen Kunduz ein Luftschlag sein Ziel und tötete sieben Polizisten. Dem lässt sich entnehmen, wenn US-Armee und NATO ihre Operationen intensivieren, nehmen die Kollateralschäden eher zu als ab. Wie unter diesen Umständen die Sympathien der Afghanen gewonnen und eine Abkehr von den Taliban erreicht werden soll, ist schleierhaft.
Übersetzung: Holger Hutt
Kommentare 4
Zivile Verluste in einer Kriegssituation sind normal. Die ganz bösen Sachen kann man heut nicht mehr machen.
Siehe zum Beispiel die geschätzten Verlustzahlen
en.wikipedia.org/wiki/Vietnam_War
Es fragt sich nur, warum und für wen wir dort Krieg in Afghanistan führen. Die gleiche Frage haben sich wohl auch die Amerikaner in Vietnam gestellt.
Seit Obama den ungefähren Abzugstermin bekannt gegeben hatte, 2013, ist klar das die ISAF / NATO / UN keine Kooperation mehr von Karzai erwarten kann!
Wir alle wissen das das Wahlenergebnis gefälscht wurde! Gestützt wurde diese Lüge durch unsere menschenrechts besorgten Politiker. In ihrer Verweigerung die Realitäten anzuerkennen schicken die verantwortlichen Administrationen nur noch mehr Soldaten.
Die Realität ist ganz einfach: Jetzt, wo jeder kapiert das dieser Krieg nicht zu gewinnen ist, sondern von der Nato nur noch fortgeführt wird, um nicht das Gesicht zu verlieren, beginnen die afghanischen Kollegen sich mit beiden Händen die Taschen mit unseren Steuergeldern voll zu stopfen um dann an irgend einem sonnigen Strand in Rente zu gehen. Das wissen unsere Menschenrechts-besorgten Politiker. So blöd sind die eben auch nicht.
Der Vorsitzende des Provinzrates von Uruzgan, Amanullah Hotak verlangt nun eine Untersuchung der Vorfälle durch die eigene, die afghanische Regierung: „Wir wollen nicht ihre Entschuldigungen und auch nicht ihr Geld. Das ist nach jedem Vorfall das Gleiche. Wir wollen, dass sie uns alle auf einmal umbringen, statt einen nach dem anderen.“
Dieser Mann hat begriffen, die Scheidung in "Zivilisten" und "Kombattanten" ist die tiefergehende, die politische Niederlage, welche die Alliierten, die Satrapen eingeschlossen, der örtlichen Population, ihrer tribalen und halbfeudalen Organisation und Struktur beibringen könnten - wollen könnten, muß man wohl formulieren.
Denn insofern er sich begründet auf Beifall rechnend so äußern kann, war die alliierte Strategie schon "gescheitert", als sie konzipiert wurde, die "Chirurgie" hoffnungslos, und ich vermag mir nur schwer vorzustellen, daß dies den Analysten des Pentagon nicht bekannt war. Weitergehend vermute ich, auch - oder vll erst recht - auf US-Regierungsebene blickt niemand mehr auch nur annähernd in dem mehrseitigen und zugleich mehrschichtigen Geflecht von politischen und militärischen Finten, Täuschungen, Manövern durch. Eine "Durchstich"-Strategie für den Großraum Iran-Afghanistan-Pakistan wird auf solche Weise zur politischen Notwendigkeit für die politische Klasse der USA und ihrer engen Verbündeten per se, soll heißen: in erheblichem Maß emanzipiert von rationalen Herrschaftskalkülen in der Bewirtschaftung des politökonomischen Zugriffs auf die Gesamtregion, Indien, Russland und China eingeschlossen. Möglicherweise ist Obama wirklich nicht recht bewußt, wie er mit seinen Mitstreitern auf das identische Schienennetz selbstverpflichtender Imperialität einschwenkt, mit dem die Neocons den Rest der Welt überzogen, indem sie tausende amerikanischer Zivilisten verbrannten. Putin hat es wohl bemerkt, jedenfalls verstehe ich den russischen Schwenk in der Iran-Politik in diesem Sinne und die Wahrnungen aus Moskau sind dringender, als in der irrationalsten Zeit der Bush-Ära. Ich fürchte, wir stehen nur einen historischen Wimpernschlag von einem israelischen Atomschlag entfernt, die Russen wagen nicht, auch nur ein einziges S-300-System symbolisch an den Iran auszuliefern.
Ein erhellender fait divers zum Thema:
derstandard.at/1266541377106/User-fragen-derStandardat-antwortet-Gibt-es-die-Talibanhochburg-Marjah-ueberhaupt