Geld statt Charisma

US-Demokraten Milliardär Michael Bloomberg kommt aus dem Nichts – und könnte alle schlagen
Ausgabe 08/2020
Bloomberg ist kein charismatischer Redner, eher Technokrat als Politiker
Bloomberg ist kein charismatischer Redner, eher Technokrat als Politiker

Foto: Joe Raedle/Getty Images

Noch stand er gar nicht auf den Wahlzetteln: Der Milliardär und Ex-Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg, übersprang die Vorwahl in New Hampshire – und könnte deren großer Gewinner werden.

Denn jüngste Umfragen zeigen, dass sich hinter Bernie Sanders an der Spitze ein ganzes Rudel sogenannter Moderater drängt. Eben auf diesem Szenario beruht Bloombergs Präsidentschaftskandidatur: dass es den Moderaten nicht gelingt, sich hinter einem einzigen Herausforderer Sanders’ zu versammeln. Solange es weder dem Ex-Vizepräsidenten Joe Biden noch dem früheren Bürgermeister Pete Buttigieg noch den Senatorinnen Amy Klobuchar und Elizabeth Warren gelingt, sich entscheidend abzusetzen, hat Michael Bloomberg eine Chance, sie alle hinter sich zu lassen.

Obwohl er in New Hampshire nicht antrat, spielt er bereits eine große Rolle. Bloomberg, der sein Vermögen mit dem gleichnamigen Informationsdienst- und Medienunternehmen gemacht hat, gibt mehr für Fernseh- und Online-Werbung aus als jeder andere Kandidat in der politischen Geschichte der USA – bereits jetzt etwa 350 Millionen US-Dollar aus seinem Privatvermögen; das ist mehr als das komplette Budget der Trump-Kampagne 2016. Dieser Einsatz trägt Früchte: Aus dem statistischen Nirgendwo tauchte Bloomberg in einer Umfrage jüngst mit plötzlich 15 Prozent Zustimmung auf, was den dritten Platz hinter Sanders und Biden bedeutete. Eine andere Prognose sieht Bloomberg gegenüber Donald Trump um neun Prozentpunkte in der Vorderhand.

Bloomberg verlässt sich nicht allein auf die Macht des Geldes, seine Kampagne hat durchaus Elan. Er, der sein erstes Mandat in New York als Republikaner gewann, kann für sich in Anspruch nehmen, den bisher besten Werbeclip im Feld der demokratischen Bewerber produziert zu haben: In ihm wird Archivmaterial rhetorischer Höhenflüge ehemaliger Präsidenten von John F. Kennedy über Ronald Reagan bis hin zu Barack Obama mit Beleidigungen und Kraftausdrücken Trumps gegengeschnitten. In knapp 30 Sekunden macht das Video deutlich: Trump eignet sich nicht als Präsident. Bloomberg hat auch den bis dato besten Witz gerissen: Als er gefragt wurde, ob es einem Präsidentschaftswahlkampf guttue, wenn er zwischen zwei Milliardären ausgefochten werde, antwortete er: „Wer ist denn der andere?“ Der amtierende US-Präsident prahlt gern mit einem Milliardenvermögen, dessen tatsächlicher Wert alles andere als sicher ist. Bloomberg hingegen soll in der Rangliste der reichsten Menschen des Planeten auf Platz 14 liegen und 58 Milliarden Dollar besitzen. Gegen ihn antreten zu müssen, könnte Trump verunsichern, glauben einige Demokraten. Trumps treueste Anhänger haben das übernommen, etwa Donna, die jüngst bei einem Auftritt des US-Präsidenten in der Kälte Manchesters in New Hampshire mit Tausenden in der Schlange stand und über Bloomberg sagte: „Er ist ein Luftloch. Denkt, er könne sich die Präsidentschaft kaufen. Außer seinen Milliarden hat er nichts zu bieten. Er liebt Amerika nicht.“

Doch diese Milliarden erweisen sich als wirkungsvoll. Indem Bloomberg in jeder Sekunde 38 Dollar ausgibt, stellt er sicher, dass sein Name mindestens so häufig genannt wird wie die der Kandidierenden, die seit Wochen und Monaten durch Schneestürme in New Hampshire und anderswo gestapft sind, um in Schnellrestaurants und Highschool-Fitnessräumen Reden zu halten. David Plouffe, der den siegreichen Wahlkampf Obamas 2008 konzipiert hat, sagt: „So etwas haben wir noch nie gesehen.“ Doch so beachtlich es sei, in den Umfragen von null auf 15 Prozent zu klettern, so Plouffe, 50-mal härter sei der Weg von 15 auf 30 Prozent. Und auf dem gibt es für Bloomberg zahlreiche Hindernisse.

Er verordnete Racial Profiling

In New York zeichnete er für „stop-and-frisk“ (wörtlich: „anhalten und durchsuchen“) verantwortlich, eine Polizeipraxis, die viele für diskriminierend gegenüber People of Colour halten. Afroamerikaner machen bei den Vorwahlen der Demokraten einen Großteil der Wählerschaft aus, weswegen manche Beobachter denken, „stop-and-frisk“ verurteile Bloombergs Kandidatur zum Scheitern. Bislang allerdings ist seine Unterstützung unter Afroamerikanern laut einer Umfrage von sieben Prozent auf 22 Prozent gestiegen. Trump hat bereits versucht, dieses Thema zu bespielen, indem er via Twitter schrieb, Bloomberg sei ein „Rassist“, und ein Video aus dem Jahr 2015 teilte, in dem Bloombergs Stimme zu hören ist: „Wir setzen alle Polizisten in den Vierteln ein, in denen Minderheiten leben. Ja, das stimmt. Warum tun wir das? Weil dort die ganze Kriminalität ist. Und man schafft es, den Kids die Waffen aus den Händen zu nehmen, indem man sie an die Wand stellt und durchsucht.“ Später löschte Trump seinen Tweet.

Bremsen könnte Bloomberg aber auch, dass es ihm an Ausstrahlung mangelt. Während ihn seine Werbeclips wie einen Titan wirken lassen, kann die Realität enttäuschend sein – nicht nur wegen seiner geringen Statur –, Trump hat ihn bereits „Mini-Mike“ getauft. Bloomberg ist kein charismatischer Redner, eher Technokrat als Politiker.

Die größte Sorge bereitet, dass treue Unterstützer Bernie Sanders’ Bloomberg im Falle von dessen Sieg die Gefolgschaft verweigern könnten, ähnlich wie bei Hillary Clinton 2016. Vom Wall-Street-Kritiker Sanders zu einem Star der Hochfinanz zu wechseln – dieser Kompromiss wäre für viele wohl zu groß. In New Hampshire ist am Abend vor der dortigen Abstimmung der Demokraten davon jedoch nichts zu spüren: Unter den Leuten mit Sanders-Plakaten auf einem Universitätscampus in der Kleinstadt Rindge sind die Reaktionen auf den Namen des Milliardärs erstaunlich entgegenkommend: „Er ist kompetent“, sagt Aquino Loayza. Und Brett Zografos meint für den Fall eines demokratischen Präsidentschaftskandidaten Michael Bloomberg: „Ich würde ihn wählen. Er würde eine Politik vertreten, der ich eher zustimmen könnte als der Trumps.“

Jonathan Freedland, Kolumnist des Guardian, recherchierte zuletzt in New Hampshire

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Jonathan Freedland | The Guardian

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