Gnadenstoß für den Gipfel

G8/G20 Als wären eine Milliarde Dollar für Sicherheitskräfte nicht genug, rauben die Fehlschläge bei den Themen Finanzkrise und Klimawandel dem Forum die Glaubwürdigkeit

Auf Zugereiste mag die kanadische Polizei wie ein unüberschaubarer Haufen wirken. Durch die verlassenen Straßen Torontos, das anlässlich des G20-Gipfels vollständig abgeriegelt war, patrouillierten Beamte auf Mountainbikes und verkörperten genau das, was wir uns unter bürgernaher Polizeiarbeit vorstellen. Doch neben diesem gelassenen Auftreten entfaltete sich auch eine einschüchterne, militarisierte Präsenz, von der viele Kanadier glaubten, sie sei bewusst herangezüchtet, um ihr Recht auf Demonstrationen gegen den G20-Gipfel und dessen zerstörerische Auswirkungen zu untergraben.

Plastikgeschoss und Pfefferspray

Das Sicherheitsaufgebot auf den Straßen Torontos bot am Wochenende im Blick auf den G20-Gipfel mit Abstand den meisten Diskussionsstoff. Viele Einwohner sind verärgert über Sicherheitskosten von einer Milliarde Dollar für einen Gipfel, den sie eigentlich nie ausrichten wollten. Wie John Clarke von der Ontario Coalition Against Poverty anmerkt, hätte genau dieses Geld weitere fünf Jahre lang das örtliche Lebensmittelprogramm finanzieren können, das gerade Sparmaßnahmen zum Opfer fiel.

Das hohe Maß an Militarisierung des Gipfels sorgt für viel Gesprächsstoff, schließlich sind Kanadier eine solch öffentlich zur Schau gestellte Bewaffnung nicht gewohnt. Eine kleine Protestgruppe gegen Armut und Obdachlosigkeit in Toronto war in kürzester Zeit von einer übermächtigen Zahl von Polizisten in voller Schutzmontur umzingelt. Sogar berittene Beamte waren vor Ort. Noch verstörender wirkte da nur die Präsenz schwer bewaffneter Polizisten, ausgerüstet mit Tränengaspistolen und anderen Schusswaffen, Plastikgeschossen und Pfefferspray.

Vor zwei Jahren schleuste die Polizei von Quebec drei Beamte, verkleidet als Steine werfende Anarchisten, in eine friedliche Demonstration in Montebello, um – wie sie zugab – Ausschreitungen zu provozieren. Seitdem beobachten viele Kanadier Polizei-Methoden mit Misstrauen. Es gleicht schon einer Farce, dass ausgerechnet ihre Stiefel die drei Polizisten in Montebello als Agents Provocateurs entlarvten. Identisches Schuhwerk trugen genau jene Beamten, von denen die Lockvögel schließlich "verhaftet" wurden.

Besorgnis herrscht darüber, dass eine ähnliche Heimtücke auch am G20-Wochenende in Toronto eine Rolle gespielt haben könnte. Dort gerieten drei brennende Streifenwagen schnell zum Sinnbild einer sonst friedlichen Kundgebung. Es stellt sich die Frage, warum die Polizei ihre Fahrzeuge inmitten einer Gruppe von Demonstranten abstellte und zurückließ, und warum es keine Löschversuche gab, bis die Medien jene Bilder eingefangen hatten, die anschließend um die ganze Welt gehen konnten.

Der Wirbel um das Polizeiaufgebot liegt vor allem darin begründet, dass der Gipfel selbst kaum Berichtenswertes geliefert hat. Sogar David Cameron, der erstmals als britischer Premier teilnahm, mahnte in der kanadischen Presse vorab noch inständig, Regierungsgipfel sollten doch endlich mehr als die übliche heiße Luft und Fototermine sein. Wie sich genau dies damit vereinbaren ließ, dass er gemeinsam mit Angela Merkel eine Pause für die zweite Halbzeit des WM-Achtelfinales zwischen Deutschland und England einlegte, bleibt unklar.

Die Farce beenden

Als exklusiver Club können sich die G20 kaum auf eine Legitimierung stützen. Jetzt droht ihnen auch noch der Verlust jeder Glaubwürdigkeit als Forum für Weltfinanzpolitik. Es ist in Toronto sicherlich nicht unbemerkt geblieben, dass es der Gipfel versäumt hat, jene strukturellen Probleme zu thematisieren, die Auslöser der Finanzkrisen in den vergangenen drei Jahren waren. Ganz zu schweigen von der vollständigen Verweigerung, den Klimawandel anzusprechen.

Es klingt unglaublich, doch schon in wenigen Monaten sollen die G20 ihren nächsten Gipfel halten. Wenn uns Kanada eines gezeigt hat, dann dass solche Treffen ihren Aufwand kaum wert sind. Es gibt bereits mehr als genug Foren für die Regierungschefs dieser Welt, um Schlüsselfragen unserer Zeit zu diskutieren. Fast jedes davon ist offener und oktroyiert Teilnehmern weniger Verhaltensregeln als das der G20. Es wird Zeit, die Farce dieser Veranstaltung endlich zu beenden.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Übersetzung: Therese Hopfmann
Geschrieben von

John Hilary | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

The Guardian

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden