Helfer unter Verdacht

Kongo Gesundheitszentren werden angegriffen. Die Ebola-Epidemie droht außer Kontrolle zu geraten
Ausgabe 18/2019
Oft wirkt die Schutzausrüstung der Gesundheitshelfer wie hier in der Stadt Bunia ausgesprochen einschüchternd
Oft wirkt die Schutzausrüstung der Gesundheitshelfer wie hier in der Stadt Bunia ausgesprochen einschüchternd

Foto: John Wessels/AFP/Getty Images

Archippe Kamuha kennt die Symptome von Ebola sehr gut: Durchfall, Blutungen, anhaltendes Fieber. Sollten sie bei der 25-Jährigen auftreten, würde sie sich nicht an spezialisierte Gesundheitshelfer wenden. „Ich weiß, dass ich sterben werde, wenn ich zu einem Behandlungszentrum gehe. Alle meine Freunde, die sich dorthin begaben, kamen nicht zurück“, erzählt Kamuha, deren Heimatstadt Butembo im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo derzeit von einem sich verschärfenden Ebola-Ausbruch heimgesucht wird.

Seit August 2018 wurden in der Region 1.340 bestätigte Fälle von Ebola registriert, seit Anfang April kamen 250 hinzu. 874 Menschen starben bereits, unter ihnen Kamuhas jugendlicher Cousin. Die Regierung macht für diesen Anstieg den Mangel an Vertrauen gegenüber den Behörden sowie gewaltsame Angriffe auf Behandlungszentren seit März verantwortlich, die das medizinische Personal teilweise gezwungen hätten, seine Dienste einzustellen. Erst vor Tagen stürmte eine bewaffnete Gruppe ein Hospital in Butembo und soll allen ausländischen Medizinern befohlen haben, nach Hause zu gehen. Sie hätten Ebola in den Kongo gebracht. Dr. Richard Valery Mouzoko Kiboung – ein Arzt aus Kamerun, der für die Weltgesundheitsorganisation WHO arbeitete – wurde bei der Attacke getötet. Zeitgleich versuchte eine mit Macheten bewaffnete Gruppe, ein Ebola-Behandlungszentrum im benachbarten Katwa niederzubrennen.

Bei derartigen Angriffen dürfte sich die Epidemie schwerlich eindämmen lassen. „Im Augenblick wird es immer schlimmer“, sagt Jean-Philippe Marcoux, der den Einsatz der Hilfsorganisation Mercy Corps im Kongo leitet. Dies sei symptomatisch für den unzureichenden Umgang mit der Epidemie, es fehle das unverzichtbare gesellschaftliche Engagement. Experten der WHO haben wiederholt davor gewarnt, dass die Krankheit jeder Kontrolle entgleitet und staatliche Behörden vor exemplarischen Herausforderungen stehen. Übertragen wird sie in sehr dicht besiedelten Gebieten, in denen die Gesundheitsinfrastruktur schwach ist und zu allem Überfluss oft bewaffnete Gruppen operieren.

Im Dezember hatte der Regierungsbeschluss, die Präsidentenwahl in den von Ebola betroffenen Gebieten auszusetzen, das Misstrauen im bereits traumatisierten Nordosten weiter angeheizt. Es kursierten Gerüchte, dass es Ebola überhaupt nicht gebe und damit nur Geld verdient werden solle. „Das Gesundheitspersonal will nur viel herausschlagen. Diese Leute tun nichts, damit das Virus verschwindet“, glaubt auch Aimee Lwanzo, eine 27-jährige Ladeninhaberin aus Butembo. „Ich traue ihnen nicht, sie wollen ihr Geld schützen, nicht das Leben der Kongolesen.“

Dass versäumt wurde, die Patienten zu ermutigen, schnell in die Ebola-Behandlungszentren zu gehen, stellt einen wesentlichen Grund für die hartnäckig hohe Fallzahl dar. Trotz der Bemühungen, die Schutzausrüstung in diesen Einrichtungen weniger einschüchternd erscheinen zu lassen, werden die Zentren weiter mit tödlichen Krankheiten assoziiert. Ein Eindruck, der dadurch verstärkt wird, dass manche Gesundheitsteams aus diesen Häusern von Polizei-Eskorten flankiert werden, wenn sie unterwegs sind.

Unter den Ebola-Opfern der zurückliegenden Woche war eine Krankenschwester aus Katwa, die es abgelehnt hatte, sich mit einem experimentellen Impfstoff immunisieren zu lassen. Laut Gesundheitsministerium in Kinshasa zeigte sie Symptome, die auf einen Kontakt mit einem Ebola-Patienten hindeuteten. Daraufhin habe sie sich in ihrem Haus versteckt, wo sie ein Kollege betreute, und sei erst, als sich ihr Zustand akut verschlechterte, ins Hospital gewechselt. Dort sei sie der Krankheit später erlegen. Es steht außer Frage: Je länger ein Patient wartet, bevor er zum Arzt geht, desto mehr schwinden seine Überlebenschancen. „Die Leute lassen sich an vielen verschiedenen Orten behandeln – es gibt neben Zentren des Gesundheitsministeriums private Kliniken und traditionelle Heiler“, so Natalie Roberts von der Notfallbetreuung der Hilfsorganisation Médecins Sans Frontières im Kongo. „Nicht alle arbeiten mit den Notfallteams zusammen oder schicken Patienten zu ihnen, damit sie angemessen versorgt werden.

Der Präsident greift ein

Was viele Kongolesen abschreckt, ist die Tatsache, dass die Übertragungsraten zwischen Patienten in den allgemeinen Gesundheitszentren alarmierend sind und als größter Risikofaktor überhaupt gelten. Ein Bericht des WHO-Regionalbüros für das südliche Afrika, der soeben veröffentlicht wurde, besagt, dass die Mitarbeiter 534 Personen aufspürten, die Kontakt zu einem Arzt hatten, der Anfang April in der 100.000-Einwohner-Stadt Beni (Provinz Nord-Kivu) an Ebola starb.

Ein experimenteller Impfstoff, der vom deutschen Pharmakonzern Merck hergestellt wird und als hochwirksam gilt, wird den Hilfskräften an vorderster Front als den Kontaktpersonen von Ebola-Patienten angeboten. Die Mitarbeiter des kongolesischen Gesundheitsdienstes weisen jedoch darauf hin, dass jeder Zehnte, dem der Impfstoff nahegelegt werde, diese Hilfe entweder ablehne oder dafür einfach nicht zu erreichen sei.

Man hoffe, dass innerhalb der kommenden zwei Monate ein zweiter experimenteller Impfstoff eingeführt werde, der auf das belgische Unternehmen Janssen Pharmaceutica zurückgeht, sagt Yap Boum, Professor an der Mbarara University in Uganda. Vermutlich werde dieses Serum prophylaktisch für Territorien eingesetzt, in denen sich die Krankheit noch nicht ausgebreitet habe. Dies erfordere allerdings eine große Anzahl von medizinischen Fachkräften, um anschließend eine entsprechende Behandlung zu garantieren. „Die personellen Ressourcen sind wirklich der entscheidende Punkt“, meint Boum. Allerdings sei da auch noch die Logistik: „Wie sollen die Impfungen erfolgen? Es scheint einfach – aber wenn man vor Ort ist, den Zustand der Straßen sieht und sich in der Regenzeit befindet, stellen sich einige Dinge schon sehr viel komplizierter dar. Ohnehin ist der Impfstoff kein Allheilmittel. Wenn die Menschen uns fortgesetzt so stoisch misstrauen, wird sich Ebola wohl weiter ausbreiten.“

In der Vorwoche hat Präsident Félix Tshisekedi die betroffene Stadt Beni besucht und die Einwohner gebeten, zu akzeptieren, dass die Krankheit real sei. Dem Gesundheitspersonal müsse man vertrauen. „Es handelt sich hier nicht um eine imaginäre Erkrankung, sondern um eine unberechenbare Gefahr.“ In manchen Gegenden des Kongo wird trotz allem die Sorge laut, dass sehr viel Geld ausschließlich wegen Ebola in den Nordosten fließt. „Die Leute sagen: ‚Wir haben Cholera, Masern und mehr.‘ Und sie wollen stärker an den Entscheidungen beteiligt werden“, erzählt Kate Learmonth, die in Beni als Gesundheitskoordinatorin für die International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies arbeitet.

Oliver Johnson, der an vorderster Front die Ebola-Krisen in Westafrika einzudämmen versucht und dessen Buch Getting to Zero eine ganze Reihe von Fehlern dokumentiert, die stets von Neuem gemacht werden, hat den Eindruck, dass die Weltgesundheitsorganisation auf Dramen dieses Kalibers inzwischen gezielter reagiert. Der Fokus liege aber nach wie vor auf der Suche nach neuen Impfstoffen und auf diagnostischer Innovation. Es werde zu wenig Wert darauf gelegt, bei den Menschen in den betroffenen Regionen verspieltes Vertrauen zurückzugewinnen. Das könne nur auf lokaler Ebene gelingen und brauche Zeit. „Wenn die WHO – wenn die internationale Gemeinschaft überhaupt – ihre Unterstützung verdoppelt, hilft das wenig, sofern nicht Persönlichkeiten auftreten, denen Vertrauen entgegengebracht wird, weil sie mit den Menschen sprechen und sie überzeugen. Ich frage Sie, wie sehr kümmert die amerikanische Regierung derzeit das Leben der Menschen im Nordosten des Kongo? Wie sehr begreift man in Washington oder auch in London: Was dort passiert, kann zu einem akuten Sicherheitsproblem für den Süden Afrikas werden?“

In Butembo befürchtet die 25-jährige Archippe Kamuha, dass die Zahl der Toten weiter steigt. Für die zurückliegende Woche hat der örtliche Gesundheitsdienst bekanntgegeben, dass neun weitere Personen an der Krankheit gestorben sind. „Sogar ein Baby. Es ist schockierend. Dieses Virus, dessen Herkunft ich nicht kenne, wird unsere ganze Stadt töten.“

Rebecca Ratcliffe ist Autorin für die Guardian-Webseite Global development

Esdras Tsongo berichtet als Freelancer aus dem Kongo und Ruanda

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Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Esdras Tsongo, Rebecca Ratcliffe | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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