Immer die gleichen Vorurteile

Online-Journalismus "Klar wollen wir im Internet keinen Müll, aber es ist eben keine Zeitung. Das Internet ist unordentlich." Star-Blogger Jeff Jarvis räumt mit gängigen Klischees auf

Auf eines ist Verlass: Wann immer ich mit einer Gruppe von Leuten über die verblüffenden Möglichkeiten des Internet-Zeitalters rede, werden unweigerlich Einwände erhoben: „Schön und gut, aber was ist mit den Ungenauigkeiten, die einem im Internet begegnen?“ Oder: „Es gibt im Internet keine Standards.“ Und überhaupt: „Die meiste Leute gucken sich doch nur Müll an.

Von diesem Punkt an dreht sich die Unterhaltung dann im Kreis, rotiert um die Gegenwart, entgleitet in die Vergangenheit. Darüber lassen wir die Gelegenheit ungenutzt, unsere neue Realität zu erkunden. Ich betrachte es als persönliches Versagen, dass es mir nicht gelingt, jedermanns Augenmerk auf die Zukunft zu richten. An dieser Stelle möchte ich auf die Ängste und Beanstandungen antworten.

Das Internet ist voller Müll


Stimmt. Müll gibt es aber überall, sogar in den Regalen der Buchhandlungen. Der Denkfehler ist, dass Internetinhalte so vollkommen sein sollen wie bei Printmedien. Das Internet gehört aber nicht zur Presse. Der Blogger Doc Searls, Co-Autor des Cluetrain Manifests bezeichnet das Web stattdessen als einen Ort, an dem Menschen sich treffen und zusammentun. Das Internet ist Leben. Das Leben ist unordentlich. Gewöhnen Sie sich einfach dran.


Stimmt. Aber die Angabe „die meisten“ war nur in der Ökonomie der Massenmedien relevant. In der neuen Masse der Nischen kann sich jeder aussuchen, was ihm gefällt. Ja, wir alle haben uns schon alberne Videos angeschaut. Wir sind aber auch Zeugen von Augenblicken der Genialität geworden, die das Netz erst möglich gemacht hat. Warum sich also auf den Mist konzentrieren, wenn das Gute durch einen einzigen Klick zu erreichen ist?

Jeder kann im Netz alles sagen

Stimmt, und Gott sei dafür gedankt. Die Kakophonie, die dort ertönt, ist jene der Demokratie und des freien Wettbewerbs der Ideen.
Im Internet finden sich Ungenauigkeiten
Stimmt. Das Netz gibt uns aber auch die Möglichkeit, unsere Fehler zu korrigieren – weil dort nie etwas unwiderruflich abgeschlossen ist. Außerdem können wir via Link oder Kommentar auch andere korrigieren.


Falsch. Das ist das letzte, was wir brauchen. Denn wer sollte die Autorität haben, ein solches zuverleihen? Wer wäre in China, Saudi-Arabien oder dem Iran Hüter des Siegels? Die Inhalte des Internets können nicht jedem passen.

Blogger sind keine Journalisten

Jein. Laut einer neuen Untersuchung betrachtet sich nur ein Drittel aller Blogger als Journalisten. Trotzdem kann heute jeder Zeuge eines Ereignisses ein Stück journalistischer Arbeit leisten. Diese Vielzahl an Perspektiven sollte doch jeder Journalist begrüßen.

Dieser text erschien als erstes im Guardian

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Jeff Jarvis | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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