In einer Welt der Hasardeure

Großbritannien Außenpolitisch könnte es für den Abschied von der Europäischen Union kaum einen ungünstigeren Zeitpunkt geben
Ausgabe 02/2019
Es kann nur abwärts gehen. Und das mit Fallgeschwindigkeit
Es kann nur abwärts gehen. Und das mit Fallgeschwindigkeit

Foto: Daniel Berehulak/Getty Images

Die Differenzen über die Bedingungen, unter denen erstmals ein Land die EU wieder verlässt, lenken von Herausforderungen ab, die Großbritannien erwarten, wenn es die Fesseln der EU tatsächlich abgeworfen hat. Die Welt da draußen ist hart und unnachgiebig. Sie dürfte 2019 noch ungemütlicher werden. Schließlich hat der derzeitige US-Präsident getan, was er konnte, um seinen Regeln Gültigkeit zu verschaffen. Die landläufige Annahme von einer „besonderen Partnerschaft“ Großbritanniens mit den USA stellt nur noch eine anachronistische Peinlichkeit dar. Donald Trumps Welt ist vergleichbar mit einem verlassenen Freizeitpark, den ein Hurrikan der Kategorie fünf getroffen hat. Regelmäßig greift dieser Präsident die UNO, die EU, die NATO, die Welthandelsorganisation sowie die Anstrengungen an, den Klimawandel einzudämmen. Das ermutigt andere, es ihm nachzutun.

Demnächst auf sich allein gestellt, klammert sich Großbritannien an multilaterale Institutionen, diplomatische Normen oder Handelsgesetze, um zwischenstaatliche Beziehungen zu regeln. Wenn nun aber eine britische Regierung nach dem Brexit in Washington um ein Handelsabkommen bittet, dürfte es zu America-first-Bedingungen geschlossen werden. Mochte sich Großbritannien bisher zu den Gewinnern des freien Warenverkehrs zählen, sind es heute Trumps protektionistische, isolationistische und nationalistische Intentionen, die weltweit den Trend vorgeben.

Im Leben dieses Präsidenten ist die Nacht voller Schrecken. Das heißt, er benötigt eine Ablenkung von den juristischen und politischen Schwierigkeiten, die ihn innenpolitisch belasten. Dies gilt umso mehr, da er eine zweite Amtszeit anstrebt. Diese Ablenkung sollte vorzugsweise aus dem Ausland kommen. Die Konfrontation mit Iran zuzuspitzen, wäre eine Möglichkeit. Trump hat hart daran gearbeitet, Teheran zu provozieren, indem er aus dem Atomabkommen ausstieg und gegen britische Vorbehalte neue Sanktionen verhängt hat. Israelis und Saudis wären mit von der Partie, sollte es gegen die Islamische Republik gehen. Für Großbritannien wäre das ein denkbar ungünstiger Start in die Post-Brexit-Ära. Gleichzeitig wächst die Abneigung Trumps gegenüber der Stationierung von US-Truppen im Ausland. Wie die Präsenz in Syrien zur Disposition steht, so auch die in Afghanistan, wo Großbritannien sein Kontingent eben erst aufgestockt hat. Nach dem Brexit wird eine britische Regierung in dieser Hinsicht weniger Gewicht haben als zuvor.

Unvorbereitet, ungeliebt

Dies gilt auch für das gespannte Verhältnis zwischen London und Moskau. Je feindseliger das ausfällt, umso mehr wird Großbritannien nach Partnern in Europa Ausschau halten. Nur nach wem? Angela Merkel, eine Verteidigerin europäischer Standards, wird bei der nächsten Wahl nicht wieder antreten. Frankreichs unbeliebter Präsident Macron ist in die Enge getrieben. Wenn das deutsch-französische Zentrum nicht hält, werden rechte Nationalisten von Italien bis Polen davon profitieren. Die Gefahren für Europas demokratische Ordnung sind real und drängend. Dieser Kampf ist auch der Britanniens, wie die Geschichte lehrt. Also vergessen wir den irischen Backstop für einen Moment. Vergessen wir die Fischpreise. Wer wird das Voranschreiten der europäischen Rechten aufhalten? Trump mit Sicherheit nicht. Er begrüßt alles, was die EU schwächt. Auch EU-Skeptiker sollten begreifen, dass Großbritannien seinen europäischen Verbindungen nicht entkommen kann, sondern darauf angewiesen bleibt.

Die Post-Brexit-Herausforderung, die China darstellt, ist von anderer Art. Der Chef des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 erklärte jüngst, es gebe erhebliche Sicherheitsrisiken, würden in Großbritannien chinesische Firmen in die Atomenergie und die Infrastruktur der Telekommunikation investieren. Die Frage lautet daher: Wie viel muss ein Handelsminister künftig aufgeben, um ein Abkommen mit Peking auszuhandeln?

Trumps zweitrangige Freunde sind ein ähnlich unattraktiver Haufen. Saudi-Arabien ist heute wirtschaftlich wie politisch ein beachtlicher Akteur, doch waren die britischen Waffenlieferungen an das Königshaus aus ethischer Sicht schon immer verwerflich. Jetzt sind derartige Geschäfte noch weniger zu rechtfertigen, da wir wissen, dass der Kronprinz Auftragsmörder zu seinen Untergebenen zählt. Und die Türkei? Sicher ein großer Markt, aber kein Freund Brüssels. Und will man wirklich mit Recep Tayyip Erdoğan anbandeln, dessen Vorstellung von einem guten Tag im Büro darin besteht, möglichst ein oder zwei Journalisten einsperren zu lassen? Oder nehmen wir das aufstrebende Brasilien. Dort gibt es „eine Menge leckerer Möglichkeiten“, wie es Boris Johnson vielleicht formulieren würde. Nur dass Brasilien nun von einem Rechtsradikalen regiert wird, der aus kurzfristigem finanziellen Kalkül den Amazonas-Regenwald abbrennen lässt – das passt kaum zum britischen Engagement gegen den Klimawandel.

Wenn es hart auf hart kommt, könnte man ja alte Commonwealth-Kontakte wiederbeleben, um den Aufbruch ins Unbekannte zu stützen. Nur wer im heutigen Commonwealth braucht die Briten? Indien zum Beispiel hat sich seit den Tagen des Empire enorm entwickelt und dürfte 2019 ein größeres Bruttoinlandsprodukt haben als Großbritannien. Jeder Deal mit Delhi wird teuer. Und wer kann garantieren, dass ein an Relevanz verlierendes Britannien seinen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat behauptet?

Die internationale Ordnung wird gerade durch die USA neu austariert, ohne dass dabei Schwächlinge eine Chance haben, besonders wenn sie früher einmal vor Kraft strotzten oder dies zumindest glaubten. Von Nordamerika, Asien oder Kontinentaleuropa aus gesehen, wirkt der Brexit wie eine Einladung zur Abrechnung. Indem es seine europäische Heimat verschmäht, verstößt sich das selbstzerstörerische Britannien unvorbereitet und ungeliebt in eine sorgenvolle Zukunft.

Simon Tisdall ist Kolumnist des Guardian

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Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Simon Tisdall | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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