Indie des dritten Gedankens

Musik Bei ihrer dritten CD "Tonight" hat sich britische Band Franz Ferdinand eine akustische Generalüberholung versucht, sich aber auf zu viele Kompromisse eingelassen

Tonight, das dritte Album der britischen Kult-Rocker Franz Ferdinand war eine schwere Geburt. Bevor letztendlich der Kylie-Minogue-Kollaborateur Dan Carey auf dem Produzentenstuhl Platz nahm, gab es fruchtlose Sessions mit dem eklektischen DJ und Produzenten Erol Alkan, war von afrikanischen Einflüssen die Rede gewesen und, noch viel verblüffender, der Versuch einer Zusammenarbeit mit den visionären Produktionsteam Xenomania unternommen worden, das hinter der britischen Pop-Gruppe Girls Aloud steht. Letzteres scheiterte allerdings aufgrund musikalischer Differenzen. Zu diesen gehörte auch, so ist zu vermuten, dass Franz Ferdinand ihre eigenen musikalischen Grenzen erkannten. Man kann viel darüber erzählen, mit seiner Musik Mädchen zum Tanzen bringen zu wollen. Aber man weiß erst, wie indie man wirklich ist, wenn man mit jemandem in Studio geht, der tatsächlich seinen Lebensunterhalt damit verdient, Mädchen zum Tanzen zu bringen.

So ein Verhalten ist definitiv das von Musikern, die wissen, dass die Zeit für eine akustische Generalüberholung gekommen ist. Aus dem Post-Punk-Revival, an dessen Entstehung Franz Ferdinand maßgeblich beteiligt waren, ist schon länger die Luft raus. Auf ihrem zweiten Album, dass 2005 unter dem Titel You Could Have It So Much Better erschien, arbeitete die Band mit Taschenspielertricks und Blendwerk. Ein Feuerwerk starker Singles übertönte die Defizite immerhin lang genug, um gewisse Rezensenten, darunter auch den Verfasser dieser Zeilen, zu verwirren. Das kann auch der Band selbst nicht entgangen sein, die immer ein bisschen schlauer und ambitionierter rüberkam als ihre Kollegen.

Vielleicht sind Franz Ferdinand einen Deut zu schlau - zumindest für die Art frecher, verwirrender Neuerfindung, die Tonight zu sein vorgibt. Statt dieser ist das Werk ein Album des zweiten oder dritten Gedanken, getrieben vom Verlangen alle Vorsicht in den Wind zu schlagen, das allerdings gezügelt wird von der Angst sich in unsicheren Zeiten zu weit aus der eigenen musikalischen Comfort-Zone zu entfernen. So bleibt es bei den abgehackten Gitarren, den Diskodrums und den Texten, in denen Schufte ihre sexuellen Beziehungen erörtern. Diesmal sind allerdings auch Synthesizer dabei. Man ahnt, dass Kompromisse gemacht wurden zwischen dem Drang eine künstlerische Herausforderung einzugehen und dem Drang Kontinuität zu wahren und die Fans nicht zu verschrecken. Und man ahnt auch, dass es oft die falschen Kompromisse waren, die geschlossen wurden.

In einem Interview hat die Band vor kurzem berichtet, die Refrains der Songs auf Tonight „runtergeschraubt“ zu haben, um sie weniger offenkundig kommerziell klingen zu lassen: Und siehe da, von "Ulysses" und "Live Alone" einmal abgesehen gibt es keine Aufsehen erregende Refrains mehr. Wirft man mutwillig die Pop-Anleihen beiseite, die Franz Ferdinand vormals Unwiderstehlichkeit verliehen, tut man gut daran, sie durch etwas ähnlich Großartiges zu ersetzten. Es bringt nichts, einfach einen Synthesizer zu kaufen, und dann das Beste zu hoffen.

Der Fairness wegen soll gesagt sein, dass es, besonders zu Ende des Albums, durchaus Momente gibt, in denen Tonight mehr ist. Lucid Dreams verwandelt sich unerwartet und aufregend auf halber Strecke in einen flirrenden, leicht durchgeknallten kosmischen Disco-Track, Dream Again ist eine dub-inspirierte Elektronik-Ballade. Beide Stücke könnten Franz Ferdinand den Weg in die Zukunft weisen. Das Bedauerliche ist, dass die Gegenwart der Band nicht mehr nach ihnen klingt. Tönen diese Songs aus den Lautsprechern, stellt sich die Frage: Warum habt ihr nicht ein ganzes Album von solchen Dingern gemacht?

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Alexis Petridis, The Guardian | The Guardian

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