Die Insel wird dort entstehen, wo die Flotte des Britischen Empire einst vor Anker lag“, sagt Anne Skovbro, während sie aus dem Fenster ihres Büros in einem Zollgebäude aus dem 19. Jahrhundert auf den Hafen von Kopenhagen blickt. Sie zeigt auf Anlegeplätze, an denen einst große Schiffe ihre Fracht löschten, einen alten Mastkran, der einmal den äußersten Rand des Hafens markierte, und auf eine bestimmte Stelle im Meer. Dort soll der englische Admiral Horatio Nelson (1758 – 1805) sein Fernrohr angeblich an sein blindes Auge gehalten und so das Zeichen zur Kapitulation übersehen haben, sodass seine Schiffe den mittelalterlichen Stadtkern in Brand schossen.
Nicht eine Krone
„Damals mussten wir uns gegen die Briten verteidigen, heute gegen das Wasser“, meint Skovbro, die ihre Rolle als Stadtplanerin für das Areal des Kopenhagener Hafens sichtlich genießt. Die geplante Insel, von der sie spricht, heißt Lynetteholm und ist der am weitesten fortgeschrittene Ausdruck einer Idee, die sich gerade weltweit verbreitet: Städte vor dem ansteigenden Meeresspiegel zu schützen, indem man dem Meer Land abgewinnt und die Kosten deckt, indem man den neu entstandenen Grund und Boden verkauft.
Die Insel, bei der es sich genauer gesagt um eine Halbinsel handelt, soll sich über die Mündung der Kopenhagener Hafeneinfahrt erstrecken, sodass nur ein Kanal für Fähren und Kreuzfahrtschiffe bleibt, der bei Sturmfluten geschlossen werden kann. Der Grund, warum die Idee funktioniert und nicht so ohne Weiteres auf andere Städte zu übertragen ist, besteht darin, dass der Hafen als enger Kanal zwischen der Insel Amager und dem Festland existiert. Entlang der Binnenküste von Amager sind bereits Maßnahmen zum Hochwasserschutz getroffen, und die südliche Hafeneinfahrt lässt sich leicht versperren. Auch die Öresund-Meerenge hat einen sehr kleinen Tidenhub.
Insel und Schleuse sollen für Jahrzehnte vor Sturmfluten schützen. Steigt der Meeresspiegel im Binnenhafen auf die Höhe der Uferpromenade, wird die Schleuse durch ein Verriegelungssystem geschlossen. Dabei hat die neue Insel den Vorteil, dass nicht nur unschöne Betonmauern überflüssig sind, wie sie nach dem Hurrikan Katrina um New Orleans herum errichtet werden mussten, sondern gleichzeitig auch Grundstücke gewonnen werden. In Kopenhagen wird die neue Insel einen schmalen Küstenstreifen für Strände, Parks und Feuchtgebiete aufweisen. Hinter einem Schutzhügel soll Platz für Häuser entstehen, von 35.000 Wohnungen ist die Rede.
Als das Projekt vor einem Jahr vorgestellt wurde, rühmte sich der damalige Wohnungsbauminister Ole Birk Olesen: Der Schutz gegen einen steigenden Meeresspiegel werde den Staat nicht eine einzige Krone kosten. „Wir erhalten eine Vergütung für die Entsorgung der Abfallböden und zusätzlich eine Insel, deren Grundstücke wir veräußern können. Mit den Erlösen lässt sich dann ein Seetunnel bauen.“ Dadurch, dass die projektierte Fläche mittlerweile von 190 auf 282 Hektar erweitert wurde, hat das Vorhaben an Attraktivität zugelegt. Während der Bau eines Deichs zum Schutz Kopenhagens 750 Millionen dänische Kronen gekostet hätte, schätzt die Stadtverwaltung, dass die Insel einen Gewinn von 2,7 Milliarden Kronen abwirft, einfach aus dem Verkauf der Grundstücke.
Die Vorstellung, der Schutz vor Folgen des Klimawandels könnte zu einem einträglichen Geschäft werden, regt andere Städte an, ähnliche Ideen auszuloten. Im Architekturzentrum, das sich ebenfalls am Kopenhagener Hafen befindet, stellt die Bjarke Ingels Group ihre kühne Vision einer neu gestalteten Küste New York Citys vor. Auf Tischplatten wird ein Modell von Manhattan mit neuen Parks und solarbetriebenen Hochhäusern an der Küste präsentiert. Auf Monitoren leuchten Bilder der Verwüstung von Hurrikan Sandy auf. „Im Grunde schlagen wir vor, Manhattan ein wenig in den Hudson River hinein zu erweitern und ein paar neue Kieze entstehen zu lassen, die einen solchen Wert schaffen werden, dass wir mit dem Erlös die Parks am Ufer finanzieren können“, so Ingels im Vorjahr auf der Venedig-Biennale.
Die Idee wird inzwischen von New Yorks Bürgermeister, Bill de Blasio, unterstützt, der zehn Milliarden Dollar ankündigte, um den Küstenstreifen um 150 Meter zu verbreitern. „Wird aus dem Bundesetat nichts zugeschossen, sind wir auf private Einnahmen angewiesen und müssen bauen“, meint er.
Parkhaus unterm Deich
Unterdessen hat Singapurs Premier Lee Hsien Loong wegen der etwa 100 Milliarden Singapur-Dollar (gut 150 Milliarden Euro), die der Schutz vor einem ansteigenden Meeresspiegel demnächst kosten wird, vorgeschlagen, entlang der Südostküste des Stadtstaates neue Inseln oder eine Reihe von Poldern nach niederländischem Vorbild zu bauen. „Wir schaffen so neues Land, das dem Meer abgerungen wird und für Wohnungen oder andere nützliche Dinge genutzt werden kann“, sagte er in seiner Rede an die Nation. „Das neue Land hilft, die Kosten zu senken.
Jakarta hat aus dem gleichen Grund wie Singapur ein Programm aufgelegt und es als dringlich etikettiert, weil die indonesische Hauptstadt ansonsten früher oder später im Meer versinken werde. Der Plan stellt eine weniger ehrgeizige Version des viel kritisierten Great-Garuda-Projektes dar: Die Stadt will entlang der Westküste nicht weniger als 2.000 Hektar Neuland gewinnen, das sie verkaufen könnte, um den Bau eines 20 Kilometer langen Deiches zu bezahlen, der schätzungsweise 18 Milliarden Dollar kostet. Da sich zwei Fünftel der Stadtfläche bereits unter dem Meeresspiegel befinden und manche Gegenden pro Jahr 25 Zentimeter absinken, bleibt wenig Zeit.
Die Niederländer, Experten für den Schutz tief liegenden Landes gegen das Meer, verfahren ähnlich. Als das Wasseramt Rijnland 2013 einen Seedeich entlang der Küste von Katwijk errichtete, kombinierte es das Projekt mit einem unterirdischen Parkhaus für 650 Fahrzeuge. „Es ist mehr als nur ein Deich, sondern eine Düne, die ein positives Ökosystem schafft. Dabei handelt es sich tatsächlich um den weltweit ersten Damm dieser Art, der Gewinne abwirft, weil Parkscheine verkauft werden“, schwärmt Piet Dircke von Arcadis, dem zuständigen Ingenieurbüro. Aber nicht jeder ist davon überzeugt. Ahmed Aboutaleb, Bürgermeister von Rotterdam, einer Stadt, der viele eine Führungsrolle zuschreiben, wenn es um die Anpassung an Folgen des Klimawandels geht, schüttelt nur den Kopf. „Nein, nein“, sagt er. „Sicherheit ist kein Geschäftsmodell.“ Warum sollte in den Niederlanden der Küstenschutz nicht mit Steuergeldern finanziert werden? „Ich glaube, die nationalen Investitionen für verstärkte Deiche und Dämme belaufen sich gegenwärtig auf eine Milliarde Euro pro Jahr. Dazu braucht es im Parlament noch nicht einmal eine Debatte.“ Auch Henk Ovink, Sondergesandter der Regierung in Den Haag für internationale Wasserangelegenheiten, missfällt die Vorstellung, Städte könnten quasi kostenlos Auswirkungen der Erderwärmung trotzen, weil sie Schutzmaßnahmen vermarkten. „Ich bin immer ein wenig skeptisch, wenn plötzlich alles einen Business Case haben muss“, sagt er. Ovink, ein weit gereister Geschäftsmann, ist Verfechter eines öffentlich finanzierten Hochwasserschutzes. Die Niederländer vertrauten darauf seit dem 13. Jahrhundert, als sich erstmals Landwirte vereinten, um „Waterschapen“ – wörtlich: Wasserschaften – zu bilden. Deshalb gefalle ihm nicht übermäßig, was mit der Insel in Kopenhagen geplant sei.
Einige Architekten teilen dieses Urteil: „Es handelt sich um ein reines Ingenieursprojekt, völlig leblos. Es soll damit vor allem Geld verdient werden“, kritisiert Eva Sara Rasmussen, die NaTour gegründet hat, ein klimafreundliches Stadtplanungsbüro. „Der Entwurf ist weder mit Gott noch mit der Natur in Berührung gekommen, und auch mit niemandem, der über ästhetisches Empfinden verfügt.“ Die Entwürfe wiesen eine harte Küstenlinie auf der Meeresseite und Strände auf der geschützten Seite auf. „Dabei werden Fehler wiederholt, die schon bei der Landgewinnung in Dubai und andernorts gemacht worden sind. Die Strände müssen auf der Seite zum offenen Meer hin liegen, sie brauchen die Wellen. Sie sind – wie die Meeresströmung – entscheidend für die Qualität des Strandes“, sagt Jacob Høst-Madsen, Geschäftsführer von DHI, einem dänischen Ingenieurbüro, das derzeit mit der Ausführung des Projekts befasst ist. „Wenn Sie sich ‚The World‘ oder ‚The Palm‘ ansehen (unvollendete künstliche Inseln vor Dubais Küste, R. O.), sehen Sie, dass es dort stinkt, wo schöne Strände sein sollten. Es ist nichts da, was man gern berühren würde.“
Mit anderen Worten, es wird erwartet, dass diesbezügliche Pläne mit der Natur in Einklang stehen. So sollte garantiert sein, dass in den Untiefen Aalgras wächst. Da ein Teil von Lynetteholm jedoch weit draußen in einem 16 Meter tiefen Kanal liegt, werde das ebenso schwer zu bewirken sein wie eine geschwungene Küstenlinie mit attraktivem Strand, so Eva Sara Rasmussen.
Es bleibt wenig Zeit, um den Kritikern Gehör zu schenken. Wird zum Schutz Kopenhagens keine Insel errichtet, müsste man stattdessen einen hässlichen Deich bauen. „Wenn Wasser in die Stadt eindringt, wird alles überflutet“, sagt Rasmussen und fährt mit der Hand über eine Karte vom inneren Hafen und seiner Umgebung. Die Geografie Kopenhagens sei seit jeher von Verteidigungsanlagen geprägt worden, fährt sie fort und verweist auf die Enklave Christiania, die Tivoli-Gärten und die Zitadelle, die nicht zuletzt als ein einziger Ring von Befestigungsanlagen entstanden sind. „Lasst uns nun einen neuen – einen Hochwasserschutzring – bauen“, sagt sie. „Nennen wir das Ganze einen Klimaring.“
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