Kopfsache Fußball

Sport Sie nennen sich Les Hijabeuses: In Paris wollen Fußballerinnen auch mit Kopftuch spielen dürfen
Ausgabe 27/2021

Founé Diawara war 15, als ihr zum ersten Mal gesagt wurde, dass sie bei einem Fußballspiel ihren Hijab nicht tragen darf. Es war ein wichtiges Spiel. Sie war seit Kurzem in einer Mannschaft in Meaux, der Stadt nordöstlich von Paris, in der sie aufgewachsen ist, und ihr Team spielte gegen einen lokalen Rivalen. Während des Trainings hatte Diawara ihr Kopftuch immer getragen, aber als sie das Spielfeld betreten wollte, stoppte sie der Schiedsrichter: Wenn sie spielen wolle, müsse sie den Hijab ablegen.

Der französische Fußballverband FFF verbietet Frauen das Tragen des Hijab bei offiziellen Vereinsspielen und internationalen Spielen. Mit dieser Regel steht der französische Dachverband im Widerspruch zum internationalen Fußballverband Fifa, der sein Hijab-Verbot 2014 aufhob.

Diawara weigerte sich, ihr Kopftuch abzunehmen. „Es ist Teil meiner religiösen Überzeugung“, sagt sie. „Es ist etwas, das ich freiwillig trage.“ Der Schiedsrichter weigerte sich, eine Ausnahme zu machen. So verbrachte sie das Spiel auf der Bank und schaute ihrem Team dabei zu, wie es ohne sie spielte. Heute ist Diawara 21, macht gerade ein Masterstudium in Paris und sagt, das Erlebnis habe sie wütend gemacht und ihr das Gefühl gegeben, nicht dazuzugehören. „Ich war in einer Zwickmühle gefangen: zwischen meiner Leidenschaft für Fußball und etwas, das einen sehr großen Teil meiner Identität ausmacht“, erzählt sie. „Es war, als wollten sie mir sagen, dass ich zwischen den beiden wählen muss.“

Diawara nutzte ihre Wut, um etwas zu tun. Sie ist die Co-Vorsitzende von Les Hijabeuses, einem Kollektiv junger Fußballerinnen, die einen Hijab tragen und sich gegen das Kopftuchverbot des FFF wehren – als Teil eines breiteren Kampfes für eine integrativere französische Gesellschaft, in einer Zeit, in der rechtsextreme Gruppen erstarken und die Islamfeindlichkeit zunimmt.

Das Team ist ein Schutzort

Die Hijabeuses mit Sitz in Paris wurden im Mai 2020 mit Unterstützung des Vereins Alliance Citoyenne gegründet, der sich gegen soziale Ungerechtigkeiten in Frankreich einsetzt. Inzwischen hat die Gruppe mehr als 100 Mitglieder. Sie spielen gemeinsam Fußball, vernetzen sich mit anderen Teams in ganz Frankreich und organisieren Trainingsveranstaltungen, um andere junge kopftuchtragende Frauen als aktive Fußballerinnen zu gewinnen.

Für die 19jährige Informatikstudentin Hawa Doucouré sind die Les Hijabeuses wie eine Familie. „Sie fordern und ermutigen mich“, erzählt sie. Dabei spielt Fußball schon lange eine wichtige Rolle in ihrem Leben: Jeden Samstagnachmittag spielt sie mit ihrer eigenen Familie Fußball und liebt es, Fußballspiele zu gucken. „Weil ich ein Mädchen bin, ging es aber darüber nicht hinaus. Ich hab nie im Verein gespielt. Dann entdeckte ich die Hijabeuses. Sie eröffneten mir einen Weg, anzufangen.“

Auch Leïla Kellou ist bei den Hijabeuses dabei. Sie macht ihren algerischen und französischen Hintergrund dafür verantwortlich, dass ihr eine „große Liebe zum Fußball im Blut liegt“. Seit sie 19 ist, trägt die heute 29-Jährige, die beim Fernsehsender Canal+ arbeitet, Kopftuch, weil das „für meine spirituelle und persönliche Überzeugung der natürliche Schritt war“. Sie kann nicht verstehen, wieso manche Leute in Frankreich glauben, dass muslimische Frauen gezwungen werden, Kopftuch zu tragen, aber sich weigern, sich die Sichtweise derer anzuhören, „die den Hijab tatsächlich tragen“.

Für viele der Spielerinnen fühlt sich Les Hijabeuses wie ein Schutzort an. Die 18-jährige Karthoum Dembélé, die digitale Kommunikation studiert, schloss sich der Gruppe an, um deren „Kampagne zu unterstützen und um frei zu spielen, ohne Angst, dass mir irgendetwas passiert“. Ihr Interesse für Fußball kam ursprünglich durch ihren älteren Bruder: „Ich dachte, wenn er spielen kann, dann kann ich das auch.” Als sie mit ihm und anderen kickte, war es für sie als einziges Mädchen am Anfang schwierig. Aber sie habe durchgehalten, erzählt sie stolz: „Ich liebe alles am Fußball; ich liebe den Wettkampf und ich liebe es zu gewinnen. Ich liebe es auch, die ganzen Emotionen miteinander zu teilen.“

Auch Dembélé beschreibt die Gruppe als „einen sicheren Raum“ für die jungen Frauen. „Unter den Spielerinnen herrscht ein großes Wohlwollen. Wir teilen vieles miteinander und es wird viel gelacht.“ Sie könnte sich vorstellen, professionelle Fußballerin zu werden. Aber wenn das FFF-Verbot bleibt, wird der Augenblick kommen, „an dem ich nicht weitergehen kann.“

Auf dem Platz steht Bouchra Chaïb am liebsten im Tor. Die 27-jährige Hebamme aus Saint-Denis im Norden von Paris ist die zweite Co-Präsidentin der Hijabeuses. Wann immer es geht, spielt sie Fußball. Dabei sei sie „keine Hijab tragende Frau, die Fußball spielt, sondern einfach eine Frau, die Fußball liebt“.

Auch Chaïb entdeckte Les Hijabeuses nach einer schlechten Erfahrung bei einem offiziellen Match mit ihrem Verein. Chaïb trägt einen Kopfschutz ähnlich dem, der beim Rugby getragen wird. Er verdeckt den Großteil ihrer Haare und ist normalerweise erlaubt, auch nach den FFF-Regeln. Trotzdem forderte der Schiedsrichter sie vor dem Spiel auf, ihn abzunehmen, ohne ihr die Chance zu geben, zu erklären, warum sie ihn trug. Sie fühlte sich gedemütigt und verängstigt. „Es hat mich wirklich erschreckt“, erzählt sie.

Laizismus versus Bürgerrechte

Ihr Trainer überzeugte dann den Schiedsrichter, Chaïb spielen zu lassen. Aber nach dem Spiel suchte sie im Internet nach anderen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. So fand sie Les Hijabeuses.

Das Ziel der Gruppe ist laut Chaïb, dass alle Frauen „unabhängig davon, was sie tragen oder welchen Hintergrund sie haben, frei spielen können, ohne stigmatisiert zu werden und sich mental darauf vorbereiten müssen, einen Kampf zu bestreiten – denn genau so fühlt es sich an“.

Der FFF lehnte eine Bitte um Stellungnahme ab und verwies stattdessen auf seine Satzung und einen Leitfaden, in dem die Verpflichtung der Organisation zu Neutralität, Nichtdiskriminierung und Laizität festgehalten ist. Laizität oder frei übersetzt Säkularismus bedeutete in Frankreich ursprünglich die Trennung von Kirche und Staat. Heute bezeichnet es die Neutralität des Staates gegenüber allen Religionen.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich das im Verbot religiöser Symbole manifestiert, darunter das Kopftuchverbot an staatlichen Schulen. 2011 untersagte Frankreich als erstes europäisches Land Frauen das Tragen eines Niqab oder Vollgesichtsschleiers außerhalb ihres Zuhauses. Derzeit liegt dem französischen Parlament ein umstrittener Gesetzesentwurf vor, der unter anderem Frauen unter 18 Jahren verbieten würde, den Hijab an öffentlichen Orten zu tragen. Kritische Stimmen argumentieren, das Gesetz beschneide die Bürgerrechte und stigmatisiere Frankreichs geschätzt 5,7 Millionen Muslim*innen zusätzlich.

„Sie behandeln uns wie Kinder“, kommentiert Hawa Doucouré das Gesetz, „als hätten wir kein Gehirn, als könnten wir nicht für uns selbst sprechen oder denken“. Chaïb meint, die Regierungsvertreter hielten sich für „Helden“, die muslimische Frauen vor dem Kopftuch retten. Trotz des mühsamen Kampfes setzen sich Les Hijabeuses weiterhin dafür ein, die Wahrnehmung von kopftuchtragenden Frauen zu verändern – Fußballspiel um Fußballspiel. „Wir wollen nicht für unsere Religion werben“, erklärt Diawara. „Wir sind einfach hier, weil wir Fußball lieben, wie alle anderen auch. Es geht nur um das Spiel.“

Jessie Williams ist freie Autorin und schreibt für den Guardian

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Übersetzung: Carola Torti
Geschrieben von

Jessie Williams | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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