Lebe wohl, Floppy Disk

Techniknostalgie Sony will die Produktion von Disketten 2011 einstellen. Warum die dünnen Scheiben mal revolutionär waren. Und was der Medienwandel fürs Familienarchiv bedeutet

Als Kind mochte ich meine Vinyl-Platte von Prokofiews Peter und der Wolf. Ich sage bewusst Vinyl- und nicht Langspielplatte, denn diese Platten drehten sich 78 Mal pro Minute im Kreis. Sie waren dick, schwer und schienen robust genug, um ewig zu halten. Als ich gerade mal alt genug war, um zu Alkohol zu trinken, waren diese Platten aber bereits überholt.

Jetzt bin ich 56 Jahre alt und habe sowohl das Aufhebens miterlebt, das um die VHS-Kassette gemacht wurde, als auch das Achselzucken, das ihr Ende begleitete. Betamax-Videokassetten, Magnetbänder, DAT-Bänder, analoge Audio- und Acht-Spur-Kassetten sowie 5,25''-Disketten kamen und gingen. Diese Woche erklärte nun Sony, die 3,5''-Diskette werde all den anderen ins Walhalla der toten Datenträger folgen.

Sicherlich: Es fällt schwer, einem Medium mit so geringer Speicherkapazität allzu viele Tränen nachzuweinen. Meine Digitalkamera macht Bilder, die nicht auf eine Disk passen würden (auf denen ganz nebenbei immer nur 1,4 MB Platz hatten und nicht die 1,44 MB, die uns die Industrie versprach). Meine Kamera speichert sie auf einer Acht-Gigabyte-Karte von der Größe einer Briefmarke. Auf einer 1.4MB-Diskettte würde nicht einmal ein einziger durchschnittlicher Popsong Platz finden, ein Manuskript von der Länge eines Buches wäre bei den heute so aufgedunsenen Textverarbeitungsprogrammen das Höchste der Gefühle.

Ähnliche Ängste wie heute bei sozialen Netzwerken

Doch zu Zeiten ihrer Markteinführung war die 3,5''-Disk revolutionär. Sie konnte doppelt so viel Daten speichern wie ihr Vorgänger, die 5,25''-Disk. Ihr Aufkommen rief ähnliche Ängste hervor wie die sozialen Netzwerke heute. Ich kann mich noch an Geschichten in den Boulevardzeitungen erinnern, nach denen Disketten mit pornographischen Inhalten und voll von Computerviren auf den Schulhöfen des Landes den Besitzer wechselten. Aber die Dinger sind nicht tot zu kriegen. In meiner Schreibtischschublade finden sich immer noch 30 bis 40 von ihnen, die ich zusammen mit einem Diskettenlaufwerk sorgfältig eingepackt habe, damit sie nicht verstauben – schließlich ist das Laufwerk ebenso wichtig wie die Disketten, wenn nicht noch wichtiger.

Die permanente Modernisierung und der Austausch der Datenträger erfordern einen gewissen zeitlichen Aufwand. Wenn die gespeicherten Daten für Sie wichtig sind, müssen Sie von Zeit zu Zeit auf ihre Lesbarkeit hin überprüfen und sie auf neue übertragen, wenn die alten Träger anfangen, den Geist aufzugeben. Büchereien haben für diese Aufgabe Archivare, Familien nicht. Die Fotografien aus meinen Kindertagen mögen vergilbt sein, man kann sie sich aber immer noch ansehen. Wird man dasselbe auch über die Bilder sagen können, die man vergangene Woche auf Facebook gepostet hat, wenn die heute Sechsjährigen einmal so alt sein werden wie ich heute?

Drei Jahre um eine Disk wieder lesbar zu machen

Die BBC ist 1986 in diese Falle getappt, als sie eine digitale Version des Domesday Books – einer Landesbeschreibung Englands aus dem elften Jahrhundert – anfertigen wollte und zu diesem Zwecke einen Arcorn-Computer mit Video-Disk-Player verwendete. 1999 war das digitale Buch unlesbar geworden und es kostete eine Gruppe von Wissenschaftlern drei Jahre, um eine Software nachzubilden, mit der der Text wieder zugänglich gemacht werden konnte.

Das Original aus dem Jahr 1086 ist freilich auch heute noch lesbar. Und dabei könnten die digitalen Domesday-Forscher es noch erheblich leichter gehabt haben als vielleicht dereinst ihre Kollegen des Jahres 2050, denn sie wussten immerhin, was sie nachzubilden versuchten. Wie ein befreundeter Tontechniker mir immer wieder versichert, kann man magnetische Datenträger immer analysieren und eine Lesesoftware anfertigen, mit den heutigen optischen Disketten DVD und CD sei dies hingegen nicht möglich. Um die dauerhafte Zugänglichkeit zu gewährleisten, sind ausgedruckte Kopien daher nach wie vor die beste Wahl.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Wendy M. Grossman | The Guardian

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